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Auswärtiges Amt erklärt angebliche Völkerrechts-Verstöße Israels

Das Auswärtige Amt hat auf eine Bürgeranfrage zu jenem Völkerrecht, gegen das Israel angeblich verstoße, mit einer ausführlichen Erläuterung geantwortet. Weil das in dieser Form zuvor noch nie veröffentlicht worden ist, wird hier der gesamte E-Mail-Verkehr ungekürzt wiedergegeben. Eine Analyse von Ulrich W. Sahm
Das Auswärtige Amt in Berlin

Israels Siedlungspolitik sei ein Verstoß gegen das Völkerrecht. So heißt es bei der deutschen Regierung in Berlin. Zuletzt hat das auch Bundesaußenminister Sigmar Gabriel während seines Besuchs in Israel behauptet. Auf eine Bürgeranfrage an das Auswärtige Amt, jenes Völkerrecht zu nennen, gegen das Israel angeblich verstoße, erfolgte nun eine ausführliche Erläuterung durch einen Vertreter des Referats 500 – Völkerrecht.

Weil das in dieser Form zuvor noch nicht veröffentlicht wurde, ist hier die Anfrage und die gesamte Antwort im Wortlaut ungekürzt wiedergegeben. Anmerkungen und Fragen des Autoren Ulrich Sahm stehen jeweils kursiv zwischen den Passagen. Die jeweiligen Namen sind der Redaktion bekannt.

E-Mail von Herrn F. an Bundesaußenminister Sigmar Gabriel vom 5. Mai 2017:

Sehr geehrter Herr Gabriel, am 05.05.2017 haben Sie im ZDF gesagt, „die israelische Siedlungspolitik verstößt gegen das Völkerrecht“. Bitte nennen Sie mir die Stelle im Völkerrecht, auf welche Sie sich mit dieser Aussage beziehen. Vielen Dank Herr F.

Antwort eines Vertreters vom Auswärtigen Amt, Referat 500 – Völkerrecht in Berlin:

Sehr geehrter Herr F., vielen Dank für Ihre Email an Bundesaußenminister Sigmar Gabriel vom 5. Mai 2017, die mir zur Beantwortung weitergeleitet wurde.

In den Palästinensischen Gebieten gelten die Bestimmungen der IV. Genfer Konvention zum Schutze der Zivilbevölkerung in Kriegszeiten von 1949, da Israel die Palästinensischen Gebiete besetzt hält.

Ulrich Sahm: Was ist hier mit „Palästinensischen Gebieten“ gemeint? Den ehemals von Ägypten besetzten oder „verwalteten“ Gazastreifen hat Israel 2005 völlig geräumt. Das Westjordanland mitsamt Ost-Jerusalem war 1949 im Krieg gegen den frisch ausgerufenen Staat Israel von Jordanien erst erobert und später annektiert worden. Die Annexion Ost-Jerusalems ist nur von Pakistan und die des restlichen Westjordanlandes auch von den Briten anerkannt worden. Wann hat Israel „Palästinensische Gebiete“ erobert? Erst 1968, mit der Zweiten PLO-Charta hat Jassir Arafat den Arabern im ehemaligen britischen Mandatsgebiet Palästina den Namen „Palästinenser“ verpasst. Bis 1948 bezeichneten sich alle Bewohner des Mandatsgebiets, Juden wie Araber und Andere, als „Palästinenser“.

1967 führte Israel Krieg gegen Jordanien. Also waren es „jordanische Gebiete“ – und nicht, wie vom Auswärtigen Amt behauptet „palästinensische“? Hier kann man auch einwerfen, dass die Vertreibung („Ethnische Säuberung“) ausnahmslos aller Juden aus uralten angestammten Wohngebieten wie Hebron oder dem jüdischen Viertel in der Altstadt Jerusalems mitsamt der Zerstörung von Synagogen und anderen heiligen Stätten durch die Jordanier gewiss nicht dem „Völkerrecht“ entsprach.

Laut welchem Kriterium hat das Auswärtige Amt da einen Stichtag gesetzt, ab dem das Völkerrecht relevant wird?

Das britische Mandatsgebiet „Palästina“ beendete seine Existenz mit dem Abzug der Briten am 15. Mai 1948. Die Araber haben auf den Teilungsplan der UNO vom 29. November 1947 mit Krieg reagiert. Der Teilungsplan sah die Errichtung eines „jüdischen“ und eines „arabischen“ Staates in Palästina vor. Entstanden sind einerseits Israel und andererseits „besetzte Gebiete“ der Ägypter (Gaza) und der Jordanier. 1967 haben „jüdische Palästinenser“ Gebiete erobert, die von arabischen Palästinensern bewohnt waren.

Festzustellen ist hier auch, dass die zitierte IV. Genfer Konvention von einer Besetzung eines fremden staatlichen Territoriums redet. Weder der Gazastreifen noch das Westjordanland haben seit 1948 einem anerkannten „Souverän“ gehört. Aus diesem Grund zweifeln israelische Rechtsexperten wie Alan Baker, ob die Genfer Konvention überhaupt „greift“, da Israel kein „fremdes“ Territorium erobert hat, wie tatsächlich die syrischen Golanhöhen oder den ägyptischen Sinai. Das ist auch der Grund, weshalb das offizielle Israel im Falle von Gaza und dem Westjordanland nicht von „besetzten Gebieten“, sondern von „umstrittenen Territorien“ redet.

Die Grenzen zwischen Israel und diesen Gebieten sind übrigens 1949 auf Rhodos zwischen jordanischen und israelischen Offizieren (Mosche Dajan) aufgrund der zufälligen Waffenstillstandslinien festgelegt und mit einem dicken Stift auf eine Landkarte gezeichnet worden. In dem Abkommen heißt es, dass diese „Linien“ keinen Vorgriff auf künftige Verhandlungen bedeuten. Es gibt also keine offiziellen und anerkannten Grenzen für die vom Auswärtigen Amt bezeichneten „Palästinensischen Gebiete“.

Referent für Völkerrecht, Auswärtiges Amt: Dies hat auch der Internationalen Gerichtshof [sic!] der Vereinten Nationen in seinem Gutachten „Legal consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territories“ im Jahr 2004 bestätigt.

Ulrich Sahm: Die rechtliche Gültigkeit dieses Gutachtens wird von Israel bezweifelt, da der davon betroffene Staat (Israel) gar nicht eingeladen war, seine Position zu erläutern.

Referent für Völkerrecht, Auswärtiges Amt: Die IV. Genfer Konvention enthält in den Artikeln 47 bis 78 eingehende Vorschriften darüber, wie eine Besatzungsmacht besetzte Gebiete zu behandeln hat.

Ulrich Sahm: Es wird da immer wieder auf die Nazi-Zeit Bezug genommen. Zudem ist da mehrfach die Rede von Konflikten zwischen Staaten. Zu welchem souveränen Staat gehörten die 1967 durch Israel eroberten Territorien? Die Palästinenser waren damals noch gar nicht erfunden worden, deshalb ist es ein Anachronismus, hier von „Palästinensischen Gebieten“ zu sprechen.

Referent für Völkerrecht, Auswärtiges Amt: Für die Frage des israelischen Siedlungsbaus ist Art. 49 der IV. Genfer Konvention maßgeblich. Hier heißt es in den relevanten Absätzen 1 und 6:

– (1) Einzel- oder Massenzwangsverschickungen sowie Verschleppungen von geschützten Personen aus besetztem Gebiet nach dem Gebiet der Besatzungsmacht oder dem irgendeines anderen besetzten oder unbesetzten Staates, sind ohne Rücksicht auf deren Beweggrund untersagt.

– (6) Die Besatzungsmacht darf nicht Teile ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet verschleppen oder verschicken.

Ulrich Sahm: Relevant für die Siedlungspolitik ist hier nur Abschnitt 6. Dort steht im bindenden englischen Text: „deport or transfer“. Bisher hat sich noch kein einziger der rund 600.000 jüdisch-israelischen oder auch arabisch-israelischen Bewohner Ost-Jerusalems oder des Westjordanlandes gemeldet und von sich behauptet, er sei dorthin deportiert oder zwangs-umgesiedelt worden.

Referent für Völkerrecht, Auswärtiges Amt: Art. 49 Abs. 6 der IV. Genfer Konvention verbietet nicht nur die mittels Zwang herbeigeführte Verschickung der eigenen Bevölkerung in die besetzten Gebiete, sondern auch freiwillige Umsiedlungen.

Ulrich Sahm: Hier fragt sich, ob in Deutschland jeder individuelle Umzug in eine andere Stadt als „Umsiedlung“ bezeichnet wird. In einem offiziellen Kommentar des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes von 1958 zu diesem Abschnitt heißt es unter anderem: „Such transfers worsened the economic situation of the native population and endangered their separate existence as a race.“ (Solche Umsiedlungen verschlechterten die wirtschaftliche Situation der eingeborenen Bevölkerung und gefährdeten deren separate Existenz als Rasse.)

Mal abgesehen davon, dass die israelische Besatzung in jenen besetzten Gebieten einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung für die arabische Bevölkerung gebracht hat, wäre es gewiss interessant, dazu eine Erklärung des Experten des Auswärtigen Amtes zu erhalten. Wer gehört hier zu welcher „separaten Rasse“? Was ist da der Maßstab? Etwa die Nürnberger Gesetze? Demgemäß wären doch Juden und Araber allesamt Angehörige der gleichen „semitischen Rasse“.

Referent für Völkerrecht, Auswärtiges Amt: Anders als Art. 49 Abs. 1 enthält Abs. 6 nämlich gerade nicht die Qualifizierung „forcible“ (‚zwangsweise‘). Wenn der Vertragstext in ein- und demselben Artikel einmal die Qualifizierung „forcible“ benutzt und dann einige Absätze später hierauf verzichtet, dann kann dies nur bewusst geschehen sein.

Ulrich Sahm: Also muss man sich nicht an den Text halten. Jemand könnte sich ja „bewusst“ etwas Anderes gedacht haben. Ist das ordentliches juristisches Vorgehen, zu vermuten, was sich die Autoren der Konvention „bewusst“ oder gar „unbewusst“ gedacht haben?

Referent für Völkerrecht, Auswärtiges Amt: Somit sollte Art. 49 Abs. 6 und das Verbot des „transfer“ der eigenen Bevölkerung in besetzte Gebiete gerade nicht auf zwangsweise erfolgte Verschickungen beschränkt sein.

Zudem würde, wenn Art. 49 Abs. 6 IV. Genfer Konvention nur die zwangsweise Verschickung der eigenen Bevölkerung in besetzte Gebiete verbieten würde, dieser Vorschrift ein Schutzcharakter zugunsten der eigenen Bevölkerung beikommen. Das sogenannte „Humanitäre Völkerrecht“, dem die Genfer Konventionen zuzurechnen sind, schützt jedoch gerade nicht die eigene Bevölkerung, wie Art. 4 Abs. 1 der IV. Genfer Konvention zeigt. Hier heißt es: „Durch das Abkommen werden die Personen geschützt, die sich im Falle einer […] Besetzung […] im Machtbereich einer am Konflikt beteiligten Partei oder einer Besatzungsmacht befinden, deren Angehörige sie nicht sind.“

Somit verbietet Art. 49 Abs. 6 der IV. Genfer Konvention der Besatzungsmacht, durch eine auch mittelbare Verschickung der eigenen Bevölkerung die Bevölkerungsstruktur in den besetzten Gebieten zuungunsten der dort ansässigen Zivilbevölkerung nachteilig zu verändern.

Dies bestätigt auch die einstimmig vom UN-Sicherheitsrat angenommene Resolution 465 (1980), in der es heißt: „determines that all measures taken by Israel to change the physical character, demographic composition, institutional structure or status of the Palestinian or other Arab territories occupied since 1967 including Jerusalem, or any part thereof have no legal validity and that Israel’s policy and practices of settling parts of its population and new immigrants in those territories constitute a flagrant violation of the Geneva Conventions […].“

Ulrich Sahm: Wo ist die entsprechende Resolution für die 1948 von Jordanien geschaffenen Verhältnisse? Resolutionen hat es in der UNO schon viele gegeben, darunter die Gleichsetzung von Zionismus mit Rassismus. Es muss hier wohl nicht ausgeführt werden, wie in der UNO Resolutionen zustande kommen.

Welche Rolle hat die UNO gespielt, um den Ausbruch des Sechs-Tage-Krieges und die daraus resultierende „Besatzung“ zu verhindern? Die UNEF-Truppen entlang der Grenze zu Israel im Sinai wurden auf Drängen der Ägypter von Generalsekretär U-Tant abgezogen.

Untätig blieben auch die UNO-Beobachter im Niemandsland zwischen dem israelischen West-Jerusalem und dem jordanischen Ost-Jerusalem, als König Hussein trotz israelischer Warnungen den jüdischen Westteil der Stadt unter Beschuss nahm. Zusammen mit der Drohung von Ägyptens Präsident Gamal Abdel Nasser, der Sperrung der Meerenge von Tiran und dem Verschwinden der UNO-Friedenswächter blieb Israel keine andere Wahl, als sich zu verteidigen. Offenbar hat die UNO keine Mittel in der Hand, Kriegserklärungen oder gar Kriege wirksam zu verhindern. Es gab nicht einmal Resolutionen, die das zum Krieg führende Vorgehen der Ägypter und den provokativen Beschuss durch die Jordanier verurteilten.

Referent für Völkerrecht, Auswärtiges Amt: Auch der Internationale Gerichtshof hat in dem bereits erwähnten Gutachten zum Bau der israelischen Sperranlage die Ansicht vertreten, dass Art. 49 Abs. 6 der IV. Genfer Konvention alle solchen Maßnahmen einer Besatzungsmacht verbietet, die den Transfer von Teilen der eigenen Bevölkerung in das besetzte Gebiet organisieren oder ermutigen.

Unabhängig davon gilt für die Bundesregierung, was auch Bundesaußenminister Gabriel kürzlich in Israel betont hat: Die unverbrüchliche Solidarität mit Israel und das Einstehen für seine Sicherheit sind Richtschnur und Grundpfeiler unserer Außenpolitik.

Ulrich Sahm: Ja natürlich. Ob Israel heute angesichts der Vernichtungsdrohungen durch die Hamas und arabischer Staaten ohne Kontrolle des Westjordanlandes überhaupt seine physische Existenz verteidigen könnte, glaubt Gabriel offensichtlich besser zu wissen als Israel. Solange das Auswärtige Amt mit Begriffen hantiert wie „Palästinensische Gebiete“, die niemals als solche deklariert worden sind, dürfte auf die hier zitierte Solidaritätserklärung von Gabriel kein Verlass sein.

Als „Palästinensische Gebiete“ sollten bestenfalls die seit 1994 im Rahmen der Osloer Verträge eingerichteten „Autonomiegebiete“ bezeichnet werden, in denen heute kein einziger Jude lebt und wo es auch keine israelische Siedlung gibt. In ihnen leben die Palästinenser gemäß ihren eigenen Vorstellungen und Rechten, während Israel wegen Terrorgefahr zu teuren Kontrollmaßnahmen gezwungen wird (darunter dem Bau der Sperranlage) und auch noch auf eigene Kosten Strom und Wasser liefert, weil die Palästinenser ihre Rechnungen nicht bezahlen.

Referent für Völkerrecht, Auswärtiges Amt: Ich hoffe, Ihre Frage mit dieser Auskunft beantwortet zu haben und verbleibe, Mit freundlichen Grüßen, Im Auftrag (Name des Referenten für Völkerrecht, Referat 500 – Völkerrecht), Auswärtiges Amt, Berlin.

Dieser Artikel erschien zuerst bei www.audiatur-online.ch.

Von: Ulrich W. Sahm

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