UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon sieht in der Abriegelung des Gazastreifens eine „kollektive Bestrafung“. Diese gieße Öl auf die Flammen der Gewalt. Die Situation dürfe so nicht weitergehen, erklärte Ban bei seinem vierten Besuch in Gaza am Dienstag. „Die Gaza-Blockade schnürt den Menschen die Luft ab, bremst die Wirtschaft und behindert die Bemühungen um einen Wiederaufbau“, sagte Ban weiter.
Im Gazastreifen besuchte der Generalsekretär auch eine Schule des UN-Hilfswerkes für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) in Tel al-Hawa. Die Verantwortlichen verhüllten vorsorglich eine große Landkarte, die „Palästina“ auf dem Gebiet von Israel und den Autonomiegebieten zeigt, mit einem weißen Leintuch. Diese Aktion löste palästinensische Proteststürme in den Sozialen Medien aus. Ein Schüler schrieb: „Wie soll uns die Welt respektieren, wenn wir nicht einmal das Land respektieren, das zu Recht uns gehört?“ Der UNRWA-Sprecher in Gaza, Adnan Abu Hasna, ließ verlauten: „Es gab während Bans Pressekonferenz in Gaza keine verhüllte Landkarte.“
Am Montag hatte Israel erklärt, dass es trotz eines
Normalisierungsabkommens mit der Türkei die Blockade des Gazastreifens aufrecht erhalten werde. Diese sei von hohem Sicherheitsinteresse für Israel, hatte Premierminister Benjamin Netanjahu betont. Israel will mit der Abriegelung verhindern, dass Material zum Bau von Waffen und Schmuggeltunneln in die Hände der radikal-islamischen Hamas oder anderer Terrorgruppen gerät. Auch Ägypten hält die Grenze zu dem Küstengebiet weitestgehend geschlossen. Es öffnet den Rafah-Übergang nur gelegentlich für einige Tage.
Ban traf sich am Dienstag in Jerusalem mit Premierminister Netanjahu. Dieser bat den Generalsekretär um Unterstützung bei dem Versuch, die sterblichen Überreste israelischer Soldaten nach Hause zu bringen, die von der Hamas zurückgehalten werden. „Ich bitte Sie, Ihre Position zu nutzen, um sicherzustellen, dass sie nach Hause gebracht werden. Dies ist eine grundlegende humanitäre Forderung“, sagte Netanjahu laut „Yediot Aharonot“. Er wies darauf hin, dass die Hamas offen die Vernichtung Israels zum Ziel habe.
Angehörige appellieren an Ban
Im Büro des Premierministers traf Ban auch Angehörige der beiden Soldaten Hadar Goldin und Oron Schaul. „Sie haben die Feuerpause initiiert, die von der Hamas ausgenutzt wurde, um Hadar Goldin zu verschleppen“, sagte die Familie Goldin. „Jetzt streben wir Ihre Mitwirkung an. Genau wie Gaza humanitäre Unterstützung verdient, verdienen wir ebenfalls humanitäre Unterstützung.“
Die Mutter Sehava Schaul schloss sich dem Appell an: „Ich wende mich als Mutter an Sie. Zwei Jahren lang hatten wir kein Leben. Zwei Jahre lang habe ich auf die Rückkehr meines Sohnes gewartet.“ Netanjahu zeigte Bilder der Vermissten.
Der Zivilist Avera Mengisto befindet sich vermutlich seit September 2014 in den Händen der Hamas. Dessen Bruder Ilan Mengisto nahm ebenfalls an dem Treffen teil. Die Familien sprachen sich erneut gegen das Abkommen mit der Türkei aus, weil die Vermissten dort keine Erwähnung finden. Ban versprach, einen offiziellen Repräsentanten zu ernennen, der sich der Sache annehmen soll. Er werde sich sofort nach seiner Rückkehr nach New York um Unterstützung bemühen.
„Gewalt ist keine Lösung“
Am Montag hatte sich Ban bereits mit dem israelischen Staatspräsidenten Reuven Rivlin in Jerusalem getroffen. Dabei erklärte er, 50 Jahre Besatzung palästinensischen Landes hätten Israel keine Sicherheit gebracht. Der Generalsekretär verurteilte zudem palästinensische Terroranschläge gegen Israelis. Messer- und Schussattacken sowie Bombenanschläge würden zu nichts führen, sie zerstörten nur Vertrauen und Hoffnung. Gewalt „ist nie eine Lösung“, so Ban laut einer Mitteilung der Vereinten Nationen. Nur eine „ausgehandelte Zweistaatenlösung bleibt die einzige lebensfähige Option“.
Ban begrüßte zudem die am Montag verkündete Aussöhnung zwischen Israel und der Türkei. „Dies ist ein wichtiges und hoffnungsvolles Signal für die Stabilität der Region“, sagte der UN-Chef.
Ehrung für Verurteilung von Terror und Rassismus
Zuvor hatte Ban in der Universität Tel Aviv gesprochen. Dort erhielt er die höchste Auszeichnung der Hochschule, die „George S. Wise“-Medaille, benannt nach dem ersten Präsidenten der Einrichtung. Ban wurde damit für seine „lange und hervorragende Karriere als internationaler Diplomat und Staatsmann“ geehrt sowie für „seine mutige Verurteilung von Antisemitismus, Rassismus und Terrorismus in allen Formen und seine Bemühungen um friedliche Lösungen für anhaltende humanitäre und geopolitischen Krisen im Nahen Osten einschließlich des israelisch-palästinensischen Konfliktes“.
Vor den Studenten forderte Ban die palästinensische und die israelische Führung auf, gegen Terror, Gewalt und Hetze vorzugehen. Innovatives Denken und Handeln sei nötig, um die Mauern des Misstrauens niederzureißen. „Ich appelliere an die Start-Up-Nation, uns allen zu helfen, Frieden zu starten, Verständnis zu starten, Versöhnung zu starten – für eine bessere Welt.“
Die Reise ist voraussichtlich Bans letzter Besuch in Israel und den Palästinensergebieten als Generalsekretär. Sein Mandat geht am 31. Dezember zu Ende. (dn)