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Pilgerberichte im Wandel der Zeit

Der bekannte Sachbuchautor Bernd Brunner hat unzählige Reiseberichte von Pilgern, Forschern und Verrückten gesammelt, die sich durch die Jahrhunderte vom Heiligen Land haben beeindrucken lassen. Herausgekommen ist ein wunderschönes, unterhaltsames und informatives Buch, bei dem man nebenbei viel über Israels Geschichte lernen kann.
Von Jörn Schumacher

Das Heilige Land war immer schon ein Sehnsuchtsziel. Utopie und Verheißung zugleich. Für Fanatiker die Möglichkeit, die eigene religiöse Verrücktheit gänzlich auszuleben, für Schriftsteller ein Ort, um die Bibel-Berichte mit der eigenen Erfahrung abzugleichen, für Naturforscher ein riesiges Betätigungsfeld. Bernd Brunner ist Autor vieler erfolgreicher Sachbücher. Dazu gehören „Die Erfindung des Nordens – Kulturgeschichte einer Himmelsrichtung“, „Nach Amerika – Die Geschichte der deutschen Auswanderung“ und „Wie das Meer nach Hause kam. Die Erfindung des Aquariums“.

Das neueste Buch trägt den Titel „Unterwegs ins Morgenland: Was Pilger, Reisende und Abenteurer erwarteten, und was sie fanden“. Dafür hat er unzählige Reiseberichte gesichtet, von denen er die interessantesten Ausschnitte hier präsentiert.

Foto: Galiani Berlin
Beduinen beim Wasserschöpfen, Ende des 19. Jahrhunderts, fotografiert von einem Mitglied der in Beirut lebenden, für ihre Orientalben berühmten Fotografenfamilie Bonflis

Der Blick der vielen Pilger auf das kleine, aber so bedeutende Land der Weltgeschichte macht dieses Buch zugleich höchst unterhaltsam und informativ. So persönlich gefärbt alle diese Berichte auch sind, mal freudig erregt, oft zutiefst enttäuscht, so lassen sie den Leser doch mit auf eine Reise gehen, auf eine Zeitreise.

Beginnend im 4. Jahrhundert, gibt der Autor etwa die Eindrücke einer Klosterfrau aus dem Benediktinerkloster von Monte Cassino wieder. Die Pilgerin war fast vier Jahre in Ägypten und im Heiligen Land unterwegs. Egeria, wie sie vermutlich hieß, benutzte dabei die Bibel als Reiseführer.

„Anders als Rom“ sei Israel jahrhundertelang der Ort gewesen, wo die Gläubigen das Land der Bibel be-greifen konnten, stellt Brunner fest: Sie konnten dort gehen, wo Jesus gegangen ist. Viele meinten, durch den Besuch sich ihrer Sünden entledigen zu können oder besonders „effektiv“ für das eigene oder das Heil anderer zu beten. Der Autor spricht eine interessante und noch heute relevante Frage an: Gibt es eigentlich Orte, die heiliger sind als andere?

Israel: Wenn Erwartung und Realität aufeinanderprallen

Ab dem 19. Jahrhundert wurde Israel durch die zunehmenden Besucher aus Europa und Amerika zu einem eigenen literarischen Topos, schreibt Brunner. Der Autor stellt fest: „Die Reise wurde zum Prüfstein für die Festigkeit des eigenen Glaubens.“ Denn Erwartung und Realität klafften oft genug drastisch auseinander. Einige Pilger meinten sogar, in muslimischen Arabern, die sie auf dem Land antrafen, biblische Gestalten wiederzuerkennen.

Foto: Galiani Berlin
Aus dem Archiv der Biblischen Schule in Jerusalem: eine christliche Familie in festlicher Aufmachung, als Pilger zu Besuch in Jerusalem

Die in Massen pilgernden Wallfahrer benötigten schon im Mittelalter Schutz, denn Räuberbanden kontrollierten die Wege nach dem und im Heiligen Land. Während des Osterfestes 1120 sollen von einer 700 Seelen umfassenden Pilgergruppe 30 getötet und 60 gefangengenommen worden sein. Nachvollziehbar also die Gründung der Orden der Templer, der Franziskaner oder der Johanniter – sie waren die Pilger-Versicherung, und Brunner widmet ihnen konsequenterweise ein eigenes Kapitel.

Natürlich darf in diesem Buch das „Jerusalem- Syndrom“ nicht fehlen. Brunner nennt mehrere solcher bizarr erscheinenden Kurzzeit-Psychosen, bei denen Israel-Reisende sich auf einmal in die Zeit der Bibel versetzt fühlen.

Die britische Mystikerin Margery Kempe reiste 1414 nach Jerusalem, fest überzeugt, in lebhaftem Austausch mit Christus und der Jungfrau Maria zu sein. Als sie Jerusalem zum ersten Mal sah, war sie so überwältigt, dass sie beinahe von ihrem Esel fiel. Zwei deutsche Pilger konnten es gerade noch verhindern.

Nägel, Dornen und Knochen

Auch den sehr früh einsetzenden Touristen-Nepp in Sachen Reliquien beschreibt Brunner. Im Grunde wurden schon seit dem Mittelalter massenweise angebliche Stücke vom Kreuz, Nägel, Dornen, Knochen und so weiter an willfährige Touristen verkauft. Dem großen Thema widmet Brunner mit „Amulette, Knochensplitter und zweifelhafte Konterfeis“ daher ebenfalls ein eigenes Kapitel.

Brunner kann mit teilweise witzigen Anekdoten aufwarten. Da ist der Londoner Quäker George Robinson, der 1657 nach Jerusalem kam, um gegenüber dem Herrscher der Stadt das Königreich Gottes auszurufen. Die Franziskaner wollten das Vorhaben verhindern. Einer von ihnen verkleidete sich als islamischer Rechtsinhaber, er empfing Robinson und bestätigte ihm, dass seine Verkündung rechtskräftig sei, worauf der Quäker zufrieden das Heilige Land wieder verließ.

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Auch die Israel-Berichte prominenter Autoren gibt Brunner wieder. Der „Moby Dick“-Autor Herman Melville etwa schrieb 1856 über die Versuche amerikanischer Missionare, Juden und Muslime zum Christentum zu bekehren: „Genauso gut könnte man versuchen, Ziegelsteine in Hochzeitstorten zu verwandeln, wie die Orientalen in Christen.“

Die englische Lady Hester Lucy Stanhop glaubte einem Insassen einer Londoner psychiatrischen Anstalt und wollte die Juden der Welt ins Land ihrer Vorfahren geleiten. Sie suchte in Aschkelon nach einem vergrabenen Goldschatz, und herrschte schließlich jahrzehntelang als eine Art Königin den Bergen des Libanon und in Syrien, wo sie vereinsamt starb.

Auch die Berichte seriöser Forscher erwähnt Brunner, so etwa den des amerikanischen protestantischen Theologen Edward Robinson, der als Begründer der biblischen Archäologie gilt. „Mit Bibel, Teleskop und Kompass“ traf er 1838 in Jerusalem ein, und er identifizierte etwa am Tempel den Mauervorsprung als Überrest eines Bogens an der Westmauer. Heute ist der „Robinson“-Bogen jedem Jerusalem-Touristen ein Begriff.

Prominente Autoren enttäuscht vom kargen Land

Wie ein roter Faden zieht sich durch das Buch die aufkeimende Enttäuschung der Besucher, die voller großer Erwartungen die Stadt Jerusalem betreten. Als 1849 der junge Gustave Flaubert nach Jerusalem kam, war er geradezu angewidert: „Überall Ruinen, es riecht förmlich nach Grab und Verwesung; Gottes Fluch scheint über der Stadt zu liegend, der Heiligen Stadt von drei Religionen, die vor Langeweile, Entkräftung und Verlassenheit dahinstirbt.“

1867 besuchte auch der Schriftsteller Mark Twain das Heilige Land, und ihm ging es ähnlich: „Die Berge sind kahl, ihre Farben sind matt, ihre Form unansehnlich. Die Täler sind hässliche Wüsten, gesäumt von armseliger Vegetation, die aussieht, als würde sie sich ihrer Kargheit schämen. … Es ist das hoffnungsloseste, trostloseste, unglückseligste Land jenseits von Arizona.“

Foto: Galiani Berlin
Das Gemälde „Die Klagemauer“ (1904) von Gustav Bauernfeind, dem schwäbischen Orientmaler, der die letzten Jahre seines Lebens ganz in Palästina verbrachte. Heutzutage werden seine Bilder für Millionenbeträge versteigert.

Brunners Buch endet mit dem aufkeimenden Zionismus, dem Engagement Theodor Herzls und dem Plan des britischen Außenministers Arthur Balfour am 2. November 1917, eine „nationale Heimstätte für das jüdische Volk“ zu gründen. Und zwar nicht in Afrika, sondern in Eretz Israel. Durch das Buch zieht sich die Frage: Ist nun die Bibel der „beste Führer für das Heilige Land“ (wie der britische Verlag John Murray behauptete), oder ist doch eher das Heilige Land der beste Führer für die Bibel (der Baedeker Reiseführer)?

Der Ulmer Dominikanermönch Felix Fabri war sich 1480 unsicher, ob er ins Heilige Land reisen soll. Der Graf Eberhard der Ältere von Württemberg, der seinerseits schon Jerusalem besucht hatte, sagte ihm: „Drei Taten gibt es für den Menschen, bei denen ihm keiner zu- noch abraten soll. Die erste ist, eine Ehe zu schließen, die zweite, einen Krieg anzufangen, die dritte ist, ins Heilige Land zu fahren.“ Fabri macht die Reise dann doch, sogar zwei Mal. Und er stellte am Ende fest: „Ich behaupte ganz entschieden, dass sich jemand in 40 Wochen auf dieser Pilgerfahrt besser kennenlernt als sonst in 40 Jahren.“

Bernd Brunner: „Unterwegs ins Morgenland: Was Pilger, Reisende und Abenteurer erwarteten, und was sie fanden“, Galiani-Berlin, 320 Seiten, 28 Euro, ISBN: 978-3869712529

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5 Responses

  1. Danke für den Hinweis dieses interessanten Buches!
    Es regt mich zum Kauf an, um tiefer in der Vergangenheit zu graben vor der Staatsgründung Israels mittels der Aussagen der damaligen Reisenden!

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  2. Man kann den Berichten von Reisenden, Pilger oder Abenteurer, des 18./19. Jahrhunderts entnehmen, in welchem traurigen Zustand sich das Heilige Land befand. Die diversen islamischen Herrscher, zuletzt die Türken, kümmerten sich nicht darum. Interessant wurde es erst wieder, als dort die Juden einen modernen Staat aufbauten und die Wüste zum Blühen brachten. Die Palästinenser würden sich das alles gerne aneignen, was Gott verhüten möge.

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    1. Ja, so ist es auch. Aber das interessiert die nicht, die ständig von „blühenden Landschaften“ bevor die Juden wieder ins Land kamen, faseln. Der Tempelberg, der so „heilig“ sein soll, war bis vor ein paar Jahrzehnte noch eine Mülllhalde. Das Interesse an ihm kam erst auf, als Israel 1967 die Altstadt befreite.

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  3. Danke für den Bericht. Die „Faszination Israel“ (aus Bibel-TV) zeigt sich immer wieder, und Gott zeigt allen Pilgern die Besonderheit des Gelobten Landes.
    Möge Sein Volk bessere Zeiten erleben, mit viele Touristen und OHNE Terroristen, wir erleben derzeit die Zeit der Finsternis mit vielen Terroristen.

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  4. Im Laufe der Zeit haben sich solche alten Berichte bei mir angesammelt.
    Ein Buch berichtet von einem Missionstreffen in Jerusalem und der Anreise über Ägypten, wo man Missionare besucht und die deutschen Schulen dort besucht. Das geht weiter über den Sinai nach Betlehem. Ein Buch über Samuel Gobat evangelisch-anglikanischer Bischof in Jerusalem +1879.
    Ein Bildband von 1925 hat ähnliche Bilder wie hier gezeigt. Großteils in schwarz-weiß. Palästina und das Ostjordanland. Einige sind coloriert. Interessant sind Bilder von Stätten beiderseits des Jordan die heutige Reisende auch besuchen. Verbotsschilder auf englisch die den britischen Soldaten verbieten den Ort zu betreten, da er heilig wäre. Man sieht ein armes Land das sich 1925 nicht von 1825 unterscheidet. Dann geht der Autor nach Tel Aviv, das damals keine 25 Jahre alt war und fotografiert ein Auto und viellicht unbewusst ein Schild in hebräischer Sprache. Ich sah Interviews von Leuten die berichteten dass Tel Aviv Hinweisschilder hatte, hier würde hebräisch gesprochen.

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