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„Passivität des Papstes im Dritten Reich lähmte katholische Kirche“

Ohne das Schweigen von Papst Pius XII. hätten katholische Geistliche möglicherweise mehr gegen die Judenverfolgung der NS-Zeit unternommen. Diese Ansicht äußerte der israelische Historiker Saul Friedländer am Mittwoch bei einem Vortrag in Heidelberg. Er selbst hatte die Schoah in einem streng katholischen Internat in Frankreich überlebt, seine Eltern wurden in Auschwitz ermordet.

Die Mehrheit der Würdenträger habe sich nicht bewegt, sagte Friedländer. Offenbar sei sie beeinflusst gewesen durch die Passivität des Papstes, der seit März 1939 im Amt war. Der Wissenschaftler verwies auf die Niederlande, wo 1942 die nationale Kirche gegen den ersten Judentransport nach Auschwitz protestierte. Auf den öffentlichen Widerspruch reagierte das NS-Regime mit einer Razzia gegen jüdischstämmige Katholiken. Pius XII. begründete nach Angaben seiner langjährigen Haushälterin Pascalina Lehnert sein Schweigen auch damit, dass er nicht noch mehr Konvertiten in Gefahr bringen wolle. Hingegen blieb er nicht still, als es um polnische Katholiken und geistig Behinderte ging.

Als die Juden in Rom deportiert wurden, hatte der US-Botschafter Harold Tittmann ein Gespräch mit dem Papst. Dieser habe von einer „unnormalen Situation“ gesprochen. Es sei nur die Rede vom Schutz gegen Kommunisten gewesen. Später habe der Vatikan das Gespräch auf einen Zeitpunkt fünf Tage vor der Deportation vordatiert. Doch auch der britische Botschafter habe ähnliches berichtet, sagte Friedländer. „Sollten sich beide geirrt haben?“ Selbst die SS und die deutsche Gesandtschaft seien überrascht gewesen von der Tatenlosigkeit des Papstes, sie hatten sich auf Reaktionen vorbereitet.

Viele Christen halfen trotzdem

Der Historiker betonte, dass viele Katholiken die Opfer unterstützt hätten, vor allem in Osteuropa. Dabei seien sie oft große persönliche Risiken eingegangen. Manche protestierten auch offiziell. Unterschiede zwischen den Konfessionen könne er nicht feststellen, auch die Bekennende Kirche sei nicht unbedingt judenfreundlich gewesen. Der in den vorausgegangenen Jahrhunderten entstandene antisemitische Nährboden habe einen Einfluss auf die allgemeine Zurückhaltung gehabt. „Dennoch haben Menschen sich bemüht, Juden zu helfen. In dem Internat, in dem ich vier Jahre lang gelebt habe, war ein starker Antisemitismus die Norm. Aber ich war dort.“ Friedländer sieht einen Gegensatz zwischen der allgemeinen Einstellung der Kirchen gegenüber den Juden und der tapferen Entscheidung einer Minderheit, trotzdem etwas zu tun.

Der Holocaust-Überlebende zeigte auf, wie die Ablehnung des Kommunismus die katholische Kirche für faschistische Auffassungen empfänglich gemacht habe. Adolf Hitlers Antikommunismus habe den Vatikan beeindruckt. Der Diktator sei gewürdigt worden als „der erste und einzige Staatsmann, der sich öffentlich gegen den Kommunismus geäußert hat“.

Nach dem Zweiten Weltkrieg sprach sich Pius XII. gegen die israelische Staatsgründung aus. Er stand dem jüdischen Staat bis zu seinem Tod im Jahr 1958 negativ gegenüber. Die Beziehungen zwischen dem Vatikan und Israel wurden viel später formalisiert und seien bis heute problematisch. Als Beispiel nannte Friedländer den Status Jerusalems. Der Vatikan wolle eine Internationalisierung, doch das widerspreche der israelischen Einstellung zu dem Thema.

Der Historiker rechnet damit, dass Pius XII. letztlich heiliggesprochen wird, obwohl dies eine riesige Debatte auslösen werde. Lange Zeit habe er sich gefragt, warum ausgerechnet dieses katholische Kirchenoberhaupt dadurch geehrt werden soll. Eine mögliche Erklärung sieht Friedländer darin, dass die Kirche das Bild vom schweigenden Papst revidieren wolle. Der Nationalsozialismus gelte heute im historischen Bewusstsein als das schlimmste Übel. Es könne deshalb nicht sein, „dass die Kirche in der Zeit der Vernichtung passiv blieb“. Nach der Zeremonie wäre Pius XII. „ein Heiliger, über den manche schlecht sprechen“.

Zu dem Vortrag eingeladen hatten die Hochschule für Jüdische Studien, das Seminar für Alte Geschichte und Epigraphik sowie das Historische Seminar der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.

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