Ich dränge mich in einer winzig kleinen Tierhandlung im Zentrum von Jerusalem mit ein paar orthodoxen Jüdinnen. Für unsere Wellensittiche möchte ich gleich zwei Packungen Vogelfutter kaufen. „Hältst du Gebote?“, fragt mich der Verkäufer. Obwohl ich hier schon länger lebe, ist mir nicht sofort klar, was er meint. Auf mein „Wie bitte?“ erklärt er mir, daß das Vogelfutter Sauerteig enthält. Wenn ich mich streng an die jüdischen Vorschriften halten würde, müßte ich den Rest vor dem Passahfest verbrennen. Dann wäre es wenige Wochen vor „Pessach“ ratsam nur noch eine Packung zu kaufen.
„Es soll sieben Tage lang kein Sauerteig gesehen werden in deinem ganzen Lande“, heißt es in 5. Mose 16,4. Deswegen sind die Vorbereitungen für das Passahfest, das an den Auszug aus Ägypten erinnert, sehr gründlich. Dem Fest geht ein Frühjahrsputz voraus, der bei orthodoxen Familien einem Umzug gleicht. Auch die letzte Ecke muß gründlich von allem Sauerteig gereinigt werden. Möbel werden verschoben oder hinaus getragen. Jeder Gegenstand, jedes Buch, das einmal auf dem Tisch lag und mit gesäuerten Brosamen in Berührung gekommen sein konnte, muß gereinigt werden – der Passahputz ist schlicht und einfach eine Plackerei.
„Lauft mir nicht mit den Keksen ins Kinderzimmer“, ermahnt eine jüdische Mama, bei der wir gerade zu Besuch sind, ihre Kinder. „Das Kinderzimmer habe ich schon fertig“, fügt sie erklärend hinzu. Dann lächelt sie uns an: „So sorgt Gott für unsere Reinheit.“
Alle Lebensmittel, die „Gesäuertes“ beinhalten, von Cornflakes bis zum Whisky, aber auch Farben oder andere Produkte, müssen weggeschafft werden. Nicht nur einzelne Familien, sondern der Staat verkauft vor „Pessach“ alles „Gesäuerte“ symbolisch an einen Nichtjuden. Das ist die Aufgabe des Oberrabbinats. In den Lebensmittelläden erscheinen dann überall die typischen Packungen mit Matzen, den ungesäuerten Broten. Wer in der Passahwoche Essen gehen möchte, muß damit rechnen, daß auch die Pizza aus Matzen gemacht wird.
Die letzten Reste des Sauerteigs werden am Vormittag vor dem ersten Passahabend verbrannt. In diesem Jahr ist das am 27. März, dem 14. Nissan nach jüdischer Zeitrechnung. Überall in den Parks und vor den Häusern brennen dann kleine Feuer. Unter Gebeten verbrennen meist die Familienväter mit ihren Kindern den letzten Sauerteig.
Zur Zeit des Tempels pilgerten riesige Menschenmassen nach Jerusalem, um das Passahlamm zu opfern. Der römisch-jüdische Geschichtsschreiber Josephus Flavius schätzte, daß im Jahre 65 v.Chr. drei Millionen Menschen am Passahfest teilnahmen.
Heute gibt es in Israel noch eine Bevölkerungsgruppe, die dieses Opferfest ganz ursprünglich hält. Das sind die Samaritaner, eine kleine Volksgruppe, die sich für einen Teil des Volkes Israel hält, aber von den Juden nicht als Juden anerkannt werden. Sie leben teilweise in Holon bei Tel Aviv und teilweise auf dem Berg Garizim, ihrer heiligen Stätte im Herzen Samarias. Feierlich gekleidet singen die Priester ihre Gebete. Jeder Familienvater opfert ein Lamm und zeichnet die Stirn seiner Familienmitglieder mit dem frischen Blut. Die Lämmer werden dann ganz auf dem Feuer gebraten. Noch in der Nacht müssen sie verzehrt werden. Alle Reste werden verbrannt, ganz wie es die Tora verlangt (2. Mose 12,43-46).
Der Sederabend eröffnet das jüdische Passahfest. Nur ein Knochen auf dem Sederteller erinnert an das Lamm, dem kein Knochen gebrochen werden durfte. Die „Pessach-Haggada“, eine liturgische Abfolge von Fragen, Antworten, Gebeten, Bibeltexten und Liedern, bestimmt den feierlichen Verlauf des Abends.
Auf dem Tisch liegen drei Matzen und ein Teller mit symbolischen Speisen. So erinnern zum Beispiel die bitteren Kräuter (4. Mose 9,11) an das schwere Schicksal des Volkes als Sklaven in Ägypten. Das Sedermahl soll man angelehnt einnehmen, denn im Gegensatz zu den Sklaven, die immer zu Diensten stehen müssen, darf sich der freie Mensch anlehnen.
Im Laufe des Abends werden vier Becher Wein getrunken. Ein weiterer Becher steht für den Propheten Elia, den Vorgänger des Messias, bereit. Gegen Ende des Sederabends wird die Eingangstür geöffnet. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, daß die Passahnacht „eine Nacht des Wachens für den Herrn“ (2. Mose 12,42) ist. So wie die Israeliten in Ägypten beim ersten Passah auf das Zeichen zum Aufbruch warteten, wartet Israel heute auf das Kommen des Messias.