WIEN / JERUSALEM (inn) – Ein wiederentdeckter Papyrus aus dem 2. Jahrhundert wirft ein Schlaglicht auf das Leben im Land Israel zu dieser Zeit. Das Schriftstück ist Teil eines Gerichtsprozesses, in dem es um den Vorwurf des Steuerbetruges und der Fälschung von Dokumenten ging. Beschuldigt waren zwei Juden.
Ein Team aus israelischen und österreichischen Forschern hält es für den am besten belegten römischen Gerichtsprozess in Judäa und der Region abgesehen vom Prozess um Jesus. Es ist zudem das längste in Griechisch verfasste Papyrus, das in der judäischen Wüste gefunden wurde. Die Ergebnisse veröffentlichte das Team am 20. Januar im Fachmagazin „Tyche“.
Sklavenkauf über Strohmann
Einer der im Prozess Beschuldigten trägt den Namen Saulos. Er soll einem Freund, der ihm etwas schuldete, zum Schein Sklaven verkauft haben. Faktisch soll er sie behalten; einen davon ließ er im Namen des scheinbaren Besitzers frei. Auf diese Weise konnte er die damit verbundene Steuer vermeiden. Der Sohn eines Notars, Gadalias, half ihm offenbar bei der Fälschung der Dokumente.
Das Forscherteam hält es für möglich, dass bei der Aktion das jüdische Gesetz eine Rolle spielte. Demnach müssen jüdische Sklaven nach sechs Jahren Arbeit freigelassen werden (2. Mose 21,2). Falls dies ein Beweggrund war, wollte Saulos dem Gebot nachkommen, dabei aber Steuern sparen.
Verweis auf zeitgenössische Ereignisse
Anna Dolganov von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften hält den jüdischen Kontext aber auch in anderer Hinsicht für bedeutsam. Etwa 15 Jahre vor dem Prozess, zwischen 115 und 117 nach Christus, ereignete sich der sogenannte Diasporaaufstand, der für die Römer sehr gefährlich wurde.
Die Strafverfolgung nutzte dieses Schreckgespenst rhetorisch, um die jüdischen Beschuldigten in ein schlechtes Licht zu rücken. Sie betonte, dass diese in der Vergangenheit an Aufständen beteiligt gewesen seien – ein Hinweis auf ihre verbrecherische Neigung. Diese Strategie dürfte ihre Wirkung gehabt haben, da der Prozess am Vorabend des Bar-Kochba-Aufstandes (ab 132 nach Christus) stattfand und anti-römische Haltungen wohl schon verbreitet waren.
Das schließt indes nicht aus, dass die Verfasser des Dokuments aus dem Kreis der Strafverfolgung für die Römer selbst Juden waren. Darauf verweist der Fundort, eine Höhle in der judäischen Wüste. Dorthin waren die späteren Rebellen geflohen, aber auch Juden, die der Gewalt entgehen wollten.
Da derartige Dokumente, Notizen über einen Gerichtsprozess, in der Regel schnell weggeworfen wurden, halten es die Forscher für einen Schatz, über dieses Schriftstück heute noch zu verfügen. Dessen Inhalt ist für sie Beleg, dass die römische Verwaltung über ein fortgeschrittenes Dokumentationswesen verfügte und in verdächtigen Fällen der Sache nachgehen konnte.
Späte Wiederentdeckung
Gefunden wurde das Dokument bereits in den 1950er Jahren, verschwand aber in den Archiven. Erst 2014 entdeckte es die israelische Althistorikerin Hannah Cotton-Paltiel wieder und erkannte dessen Bedeutung. Seither trägt es den Namen „Cotton-Papyrus“. Mit dem deutschen Althistoriker Fritz Mitthof von der Universität Wien erstellte sie eine Ausgabe des Papyrus. Vier Jahre später traten Anna Dolganov und Avner Ecker, Archäologe an der Hebräischen Universität Jerusalem, den Untersuchungen bei.
Im israelischen Labor für die Schriftrollen vom Toten Meer gelang es den Experten zudem, Teile des Papyrus‘ so wiederherzustellen, dass der Text wieder lesbar wurde. Zudem fertigten sie hochauflösende Aufnahmen des Dokumentes an. (df)
Eine Antwort
Steuerhinterziehung: seit Jahrtausenden immer wieder versucht, wohl mit wechselndem Glück. In so manchen Dingen bleiben sich die Menschen gleich, in allen Kulturen und durch alle Zeiten. Sehr interessanter Artikel.