Bereits am 9. Januar dieses Jahres hatte Heba Sa‘adijeh Historisches erreicht. Es ist der Tag, an dem der internationale Fußballverband FIFA die Liste der Schiedsrichterinnen veröffentlicht, die für die diesjährige Weltmeisterschaft der Frauen nominiert sind. Unter den Ausgewählten ist auch die 34-jährige Sa‘adijeh.
Sie ist die erste Palästinenserin überhaupt, die als Schiedsrichterin bei einer Fußballweltmeisterschaft mitwirkt. Auch ihren männlichen Kollegen ist sie somit einen Schritt voraus. Ihr Weg bis auf die höchste Ebene des Frauenfußballs zeugt von großem Durchhaltevermögen und Ehrgeiz.
Als Tochter palästinensischer Eltern wächst sie im Flüchtlingslager Al-Jarmuk in der syrischen Hauptstadt Damaskus auf. Die Begeisterung für alles Sportliche – insbesondere den Fußball – besitzt sie seit Kindheitstagen. Dass sie nach ihrem Schulabschluss Sport auf Lehramt studiert, ist somit nur konsequent.
Noch während ihres Studiums in Damaskus kommt sie in Berührung mit dem Schiedsrichterwesen. Sa‘adijeh beobachtet ein entsprechendes Training und ihr fällt auf: Es ist keine Frau unter den angehenden Schiedsrichtern. Nachdem sie mit den Herren ins Gespräch kommt, wird sie ermutigt, sich ihnen anzuschließen.
Der Anfang ist gemacht. Schon bald folgen die ersten Einsätze als sogenannte Vierte Offizielle. Die Aufgabe hierbei ist die Unterstützung des Hauptschiedsrichters und seiner Assistenten von der Seitenlinie aus.
Von Syrien über Malaysia nach Schweden
Mit Ausbruch des Krieges im Jahr 2011 wird Sa‘adijeh zur Flucht nach Malaysia gezwungen. Ihre Ausbildung zur Schiedsrichterin setzt sie trotz der widrigen Umstände zielstrebig fort. Sie schließt sich dem malaysischen Fußballverband an und besucht einige Weiterbildungsprogramme.
Im Jahr 2016 zieht sie erneut um – dieses Mal freiwillig. Es geht in die schwedische Hauptstadt Stockholm. Dort arbeitet sie weiter an ihrer Karriere und wird schließlich mit dem Erhalt der FIFA-Schiedsrichterlizenz belohnt. Diese ermöglicht es ihr, auch auf internationaler Bühne die Pfeife in den Mund beziehungsweise die Abseitsfahne in die Hand zu nehmen – denn Sa‘adijeh wird häufig als Linienrichterin eingesetzt.
In Schweden selbst steht sie mittlerweile sowohl bei Frauen- als auch bei Männerspielen auf dem Rasen. Die meisten Einsätze hat sie in der Damallsvenskan, der ersten Frauenliga. Im Herrenbereich ist sie in der dritten Liga aktiv.
Freude an Entscheidungen
Sie habe große Freude am Analysieren von Situationen und am Treffen von Entscheidungen, erklärte sie kürzlich in einem Interview gegenüber dem arabischen Fernsehsender „Al-Dschasira“. Außerdem schätze sie an ihrem Beruf das viele Reisen und Kennenlernen neuer Menschen, Kulturen und Traditionen. Die Schattenseite sei jedoch, dass man immer wieder für einige Zeit von seiner Familie getrennt sei.
Ihre Art der Spielleitung beschreibt sie als streng, aber auch fair. Gleichzeitig gibt sie zu, dass selbstverständlich auch Fehler passieren.
Die erste palästinensische Schiedsrichterin überhaupt zu sein, die Teil einer Weltmeisterschaft ist, erfülle sie mit großem Stolz. „Ich hoffe, ich kann damit sowohl palästinensischen Frauen als auch Männern Türen ins Schiedsrichterwesen öffnen“, erklärt sie.
Erster WM-Einsatz in Gruppenphase
Saa‘dijehs bisher größte Erfolge sind unter anderem die Teilnahme am Finalspiel der Asienmeisterschaften der Frauen 2022 in Indien sowie mehrere Einsätze in Qualifikationsspielen für Weltmeisterschaft und Olympia. Mit ihrer Nominierung am 9. Januar hat sie eine weitere bedeutende Wegmarke gesetzt – sowohl für sich persönlich als auch in ihrer Funktion als Vorbild für junge, am Schiedsrichterwesen interessierte Frauen.
Ihren ersten – und bisher einzigen – Einsatz bei der diesjährigen WM in Australien und Neuseeland, die am Sonntag endet, hat die Palästinenserin am 1. August im Gruppenspiel zwischen England und China. Das Spiel im australischen Adelaide gewinnt England mit 6:2. Der Einsatz ist eine weitere Etappe hin zu ihrem selbsterklärten Ziel, einmal zu den besten ihrer Zunft zu gehören.
Von: Valerie Wolf
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Gratulation.