In Jerusalem sucht man nicht Ostereier und geht dann fein gekleidet in die Kirche. Das Fest wird gleich dreifach gefeiert. Acht Tage lang begehen die Juden ihr „Fest der Freiheit“ und gedenken des Auszuges aus Ägypten unter Moses. Wer Glück hat, wird von einer jüdischen Familie eingeladen, um den „Seder-Abend“ mitzuerleben. Dort lesen dann alle Teilnehmer die „Haggadah“, eine Legendensammlung, vermischt mit Gesängen.
Der Tisch ist überladen mit symbolischen Speisen, bitteren Kräutern, einer köstlichen Dattelpaste und Lammfleisch. Dazu gibt es Matzen, ein trockenes, aus Mehl und Wasser hergestelltes „Knäckebrot“. Denn es darf nur „Ungesäuertes“ gegessen werden. Deshalb lohnt sich ein Besuch in einem jüdischen Supermarkt. Pasta, Bier, Mehl und andere „verbotene“ Speisen sind dann mit Zeitungspapier oder Plastikplanen zugehängt.
Tanz mit Trommelmusik im Minutentakt
Genauso fremdartig sind die christlichen Osterfeiern, wobei die Westkirchen (Katholiken und Protestanten) nur alle paar Jahre ihr Ostern zeitgleich mit den orthodoxen Kirchen begehen. Das ist in diesem Jahr der Fall. Geradezu im Minutentakt werden dem Besucher musikalische Auftritte, wahrhaftige Theateraufführungen, Tanz mit Trommelmusik und Karnevalsumzüge geboten. Jeder darf sich beteiligen oder wenigstens zuschauen.
Russische Mönche oder katholische Priester tragen an Palmsonntag quer durch den bunten Basar der Altstadt Jerusalems, also entlang der traditionellen „Via Dolorosa“, kunstvoll geflochtene Palmzweige zur Grabeskirche. Manche schleppen ganze Olivenbäume in das Gotteshaus. Ein Moslem hat die Schlüsselgewalt zur heiligsten Kirche der Christenheit, in der sechs Konfessionen um ihre Rechte und Altäre kämpfen.
Der nächste Höhepunkt findet an verschiedenen Orten an Gründonnerstag statt. Ein Geheimtipp ist es, die Fußwaschungszeremonie in der armenischen St. James-Kathedrale mitzuerleben. Das ist Theater pur. Sobald der Vorhang aus Goldbrokat vor dem Altar aufgezogen ist, stehen der Patriarch, die Bischöfe und die Priester in prächtigen Gewändern aufgereiht bereit für die Zeremonie. Armenische Priester mit ihren typischen schwarzen Spitzhüten singen sonore mittelalterliche Choräle, während sich der Patriarch, eingekleidet wie ein König aus „1001 Nacht“, herabbeugt und einem Priester nicht etwa die Füße mit Wasser wäscht, sondern Butter unter die Fußsohle reibt. Diese Sitte haben die Armenier aus Indien mitgebracht.
„Unwirkliches Schauspiel in gespenstischer Atmosphäre“
Am Karfreitag der Katholiken sollte man sich Zugang zur Golgatha-Kapelle in der Grabeskirche verschaffen. An dem historischen Ort, an dem Jesus gekreuzigt wurde, bringen Priester ein Kreuz mit einem angenagelten hölzernen Jesus herbei. Ein Koreaner verliest die entsprechenden Passagen aus dem Neuen Testament. Dann machen sich die Priester an die Arbeit, den Gekreuzigten vom Kreuz abzunehmen. Mit Kneifzangen wird ihm erst die Dornenkrone vom Haupt genommen und dann ein Nagel nach dem anderen aus den blutenden Händen und Füßen gezogen, um sie laut klimpernd auf ein Silbertablett fallen zu lassen. Mit einem umgebundenen Tuch wird sein hölzerner aber naturecht bemalter Leichnam behutsam auf ein von Priestern bereitgehaltenes Leichentuch gelegt und zur nächsten Zeremonie weggetragen: ein unwirkliches Schauspiel in gespenstischer Atmosphäre.
Der Höhepunkt der orthodoxen Kirchen ist am Samstag die Osterfeuer-Zeremonie. Früher war die Grabeskirche mit tausenden Gläubigen vollgepackt. Wegen der Feuergefahr und weil die ursprünglich von Kaiser Konstantin errichtete aber mehrfach zerstörte und wieder aufgebaute verwinkelte Grabeskirche nur einen einzigen Eingang hat und die Konfessionen sich nicht auf die Öffnung eines Notausganges einigen können, beschränkt die Polizei seit einigen Jahren die Zahl der zugelassenen Gläubigen. Dazu sollten sich die Besucher rechtzeitig eine Genehmigung besorgen, um die Absperrungen passieren zu dürfen.
Eine einzige Massenekstase für die „Frohe Botschaft“
In dem versiegelten Grab Jesu in der Rotunde geht im Augenblick der Auferstehung Jesu „durch ein Wunder“ ein Licht nieder. Durch kleine Schächte in der Grabeswand reicht ein griechischer Priester im Grabmal das Feuer seiner Kerze heraus. Innerhalb von Sekunden ist dann die „Hölle“ los, wenn die Gläubigen ihre mitgebrachten faustdicken Kerzenbündel entzünden. Alle Glocken läuten wie wild durcheinander. Die Menschen schreien. Männer rennen mit brennenden Kerzen ins Freie, um die „Frohe Botschaft“ der Auferstehung durch die Stadt zu tragen. Diese Zeremonie ist eine einzige Massenekstase. Man muss sie miterlebt haben, um zu glauben, dass es so etwas in der christlichen Welt gibt.
Damit ist die „Party“ in Jerusalem aber noch längst nicht abgeschlossen. Anstatt eine Diskothek zum Austoben aufzusuchen, sollte man sich am Abend auf das Dach der Grabeskirche begeben. Rund um die Kuppel der Helena-Kapelle feiern die Äthiopier. Knallbunt bekleidet prozessieren die Priester mit Kerzen in der Hand, während über sie mitten in der Nacht bunte Sonnenschirme aufgespannt sind. Dazu gehört die passende musikalische Untermalung: ein unter die Haut gehendes rhythmisches Trommeln mit echten Buschtrommeln aus Afrika.
Zur Erholung, oder vielleicht eher zur Ernüchterung, kann man an Ostersonntag in den protestantischen oder katholischen Kirchen dann den üblichen Gottesdienst mit Orgelmusik, Chorgesang und einer Predigt auf Deutsch miterleben, wie „zu Hause“: gesittet, diszipliniert und eher temperamentlos.