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„Orchestra of Exiles“: Mit Musik gegen Hitler

Am Donnerstagabend hat die Dokumentation „Orchestra of Exiles“ im Jüdischen Museum Berlin Europa-Premiere gefeiert. Der Film des Oscar-nominierten Regisseurs Josh Aronson erzählt die Geschichte des Geigers Bronislaw Huberman, der mit Hilfe seiner Musik Dutzende Juden vor dem Holocaust rettete.
Der Geiger Bronislaw Huberman rettete Dutzende Juden vor dem Holocaust.

Mitte der 30er Jahre gab es noch keine Konzentrationslager. Doch die Nazis machten den Juden im Deutschen Reich das Leben bereits merklich schwer. Geschäfte wurden boykottiert, nichtarische Beamte konnten in den Ruhestand versetzt werden. Zwar waren die Grenzen zu diesem Zeitpunkt noch offen, wer das Land aber verließ, lief Gefahr, in der neuen Heimat keine Arbeit zu bekommen. Hab und Gut mussten Emmigranten oft zurücklassen. So entschieden sich viele gegen die Auswanderung – und bezahlten das mit dem Leben. Einer, der zahlreichen jüdischen Europäern den Weg ins heutige Israel erleichterte, war Bronislaw Huberman. 1936 gründete er das „Palestine Symphony Orchestra“, heute bekannt als „Israel Philharmonic Orchestra“. Seine Vision: Die besten Juden Europas zu einem Orchester zusammenzubringen. Ausgerechnet im heutigen Israel sollten sie auftreten und ein Zeichen gegen den Nationalsozialismus setzen. Nicht nur das gelang ihm. Weil er den von Hitler mit einem Berufsverbot belegten Juden Arbeit in einem neuen Land ermöglichte, rettete er Dutzenden das Leben.
Auf die Idee, aus diesem Stoff einen Film zu machen, kam der amerikanische Autor und Regisseur Josh Aronson, als er vor einigen Jahren eine Frau kennenlernte, deren Vater im Orchester Hubermans gespielt hat. Die Erkenntnis, dass ohne den berühmten Geiger weder sie noch der Rest ihrer Familie heute am Leben wäre, habe sie zutiefst bewegt, erinnerte sich der Regisseur bei der Europa-Premiere seines Films in Berlin. Sein 85-Minüter ist eine Mischung aus nachgespielten Szenen und Zeitdokumenten. Er zeigt den jungen Huberman, wie er in einer polnisch-jüdischen Familie aufwächst und ob seines musikalischen Könnens schnell als Wunderkind gilt. Schon mit zwölf Jahren spielt er in Wien Brahms. Im Publikum sitzt der Komponist höchstpersönlich: Johannes Brahms.
„Kommt mit mir, hier haben wir Freiheit“
Huberman bereist schon in jungen Jahren die Welt. Mit Ausbruch und Entwicklung des Ersten Weltkrieges formt sich sein politisches Empfinden. „Menschlichkeit ist das Ziel“, zitiert Aronson ihn im Film. Geleitet von diesem Gedanken setzt er sich für ein Europa ein, dessen Staaten gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Mit dem Aufkeimen des Nationalsozialismus wird er ein entschlossener Kritiker dieser Ideologie. 1929 tritt Huberman erstmals im Gebiet des heutigen Israel auf. Eine Einladung des Dirigenten Wilhelm Furtwängler, in Deutschland zu spielen, lehnt er ab: „Die Deutschen sind zu Tieren geworden“, schreibt er ihm in einem Brief. Zugleich reift in ihm die Idee, das „Palestine Symphony Orchestra“ zu gründen. Im italienischen Dirigenten Arturo Toscanini, einem der bedeutendsten seiner Zeit, findet er einen prominenten Mitstreiter. Innerhalb von zwei Jahren castet Huberman Musiker in ganz Europa. Die besten lädt er in das britische Mandatsgebiet Palästina und in sein Orchester ein. „Kommt mit mir, hier haben wir Freiheit“, fordert er sie auf.
Aronson betonte in Berlin die Zwiespältigkeit der Arbeit Hubermans. Zum einen habe er es als seine Mission begriffen, Juden vor Hitler zu retten. Andererseits habe er darauf bestanden, nur die besten Musiker für sein Orchester auszuwählen. Zudem habe Mitte der 30er Jahre niemand sicher gewusst, dass es einmal Konzentrationslager geben würde, auch wenn Huberman die Gefahr erahnt habe. Auch viele Juden in Deutschland sahen nicht voraus, was ihnen bevorstand. Noch 1933 gründete unter anderem der Musikwissenschaftler Kurt Singer den Kulturbund Deutscher Juden, der dazu beitragen sollte, jüdische Kultur im Deutschen Reich zu erhalten. Er wurde zu einem Rivalen Hubermans, viele Musiker mussten sich entscheiden, entweder auszusiedeln oder mit Singer zu bleiben. Singer selbst starb 1944 im Konzentrationslager Theresienstadt.
Aufschrei gegen den Nationalsozialismus
Im Dezember 1936 tritt das neu gegründete Orchester erstmals in Tel Aviv auf – mit vollem Erfolg. Die Menschen stehen Schlange und lauschen selbst von draußen, um nur ein paar Töne zu erhaschen. Die Musik der Künstler wird von der weltweiten Presse als Aufschrei gegen den Nationalsozialismus gewertet. Es folgt eine Tour durch den Nahen Osten. 1948 spielt das Orchester bei der Staatsgründung Israels die Nationalhymne „HaTikwa“.
„Orchestra of Exiles“ ist derzeit ausschließlich in englischer Sprache und in den USA zu sehen, soll aber bald auch in Europa regelmäßig vor ausgewähltem Publikum gezeigt werden. Aronson erklärte, sein Film sei wohl kein klassisches Popcorn-Kino, daher strebe er nicht an, ihn in Kinos zu zeigen. Vielmehr wünsche er sich, dass die Dokumentation für die Bildungsarbeit in Schulen oder jüdischen Gemeinden genutzt werde.

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