LOD / JERUSALEM (inn) – Ein Gerichtsurteil aus Lod hat für Zehntausende von heiratswilligen Israelis große Konsequenzen. Das Bezirksgericht kippte am vergangenen Freitag den aktuellen Status quo: Künftig können sich israelische Paare unterschiedlichen Glaubens standesamtlich trauen lassen, ohne das Land verlassen zu müssen.
Die Zivilehe in Israel ist ein heikles Thema. Bisher dürfen Ehen nur innerhalb der in Israel etablierten Institutionen geschlossen werden. Demnach können etwa Juden nur innerhalb des Rabbinats getraut werden, Muslime innerhalb eines Scharia-Gerichts und Christen innerhalb ihrer Kirche.
Die gängige Praxis hat in den vergangenen Jahrzehnten für immer wieder aufflammende Diskussionen gesorgt: Wenn Paare unterschiedlicher Religionszugehörigkeit heiraten wollten, blieb ihnen in der Regel nur die Reise ins Ausland übrig. Ihren Ehestatus konnten sie bei ihrer Rückkehr nach Israel beim Innenministerium anerkennen lassen. Dies hatte ein Urteil vom Obersten Gericht im Jahr 1963 festgelegt.
Wer ist Jude?
Was bei der ersten Betrachtung wie ein marginales Phänomen aussieht, betrifft bei näherem Hinsehen Hunderttausende von Israelis. Denn das Problem betrifft nicht nur interreligiöse Ehepaare. Es stellt auch allgemein die Frage nach der jüdischen Identität, auf die es unterschiedliche Antworten gibt. Denn viele Juden, die sich als Juden wahrnehmen, werden vom Rabbinat nicht als solche anerkannt.
Ein Beispiel sind die etwa eine Million Bürger, die nach dem Fall der Sowjetunion nach Israel einwanderten, weil sie jüdische Wurzeln hatten. Das Rabbinat legt dieser Frage die Halacha, das jüdische Religionsgesetz, zugrunde – demnach ist Jude, wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde oder nach bestimmten Regeln zum Judentum konvertiert ist.
Einwanderer, die einen jüdischen Vater oder Großvater haben oder etwa in Amerika zum Reformjudentum konvertierten, werden vom israelischen Rabbinat nicht als Juden anerkannt und können demnach nicht unter der Schirmherrschaft des Rabbinats heiraten. Auch Mitglieder der messianischen Gemeinschaft, also Juden, die an Jesus glauben, werden offiziell nicht vom Rabbinat getraut. Dasselbe gilt für adoptierte Kinder aus dem Ausland und Kinder, die von Leihmüttern ausgetragen wurden.
Bahnbrechendes Urteil
Die Konversion oder Reise ins Ausland kann den Heiratswilligen vielleicht künftig erspart bleiben. Denn das Bezirksgericht Lod hat am vergangenen Freitag den aktuellen Status quo gekippt. Die Richterin Efrat Fink hatte verfügt, dass das Innenministerium den Ehestatus eines Paares registrieren muss, das im Dezember 2020 online unter der Aufsicht des US-Bundesstaates Utah getraut worden war.
Orthodoxe politische Parteien kämpfen seit Langem gegen Eheschließungen, die dem jüdischen Religionsgesetz entgegenstehen. Eine solche Praxis sei die „Untergrabung des jüdischen Charakters des Staates“. So prangerte etwa der Likud-Abgeordnete Schlomo Karhi die Entscheidung des Gerichts umgehend an. Sie „nage am jüdischen und demokratischen Charakter“ des Staates. Er versprach, sich für eine Änderung des Gesetzes einzusetzen, um das Urteil zu umgehen.
Auch Avi Maos von der Religiösen Zionistischen Partei sagte, es sei „undenkbar für Richter im Staat Israel, den jüdischen Staat zu untergraben und eine stille Revolution durchzuführen, um den Staat Israel in einen Staat aller seiner Bürger zu verwandeln. Wir werden das bald beheben, so Gott will.“
Präzedenzfall aus Utah
Die Onlinezeitung „Times of Israel“ beschreibt den Fall, der zum aktuellen Urteil führte: Im Dezember 2020, inmitten der Corona-Pandemie, hatten sich Israelis im Rahmen einer Onlinezeremonie des US-Bundesstaates Utah trauen lassen. Als diese Paare ihren Ehestatus im Innenministerium registrieren wollten, stoppte der damalige Innenminister und Vorsitzende der ultra-orthodoxen Schass-Partei Arje Deri den Prozess und ordnete eine rechtliche Überprüfung an.
Die Paare klagten gegen das Innenministerium. Doch das von Deri angeordnete Rechtsgutachten vom Juni 2021 besagte, dass die Ehen ungültig seien. Denn die Paare hielten sich zum Zeitpunkt der Online-Eheschließung in Israel auf, für sie gelte daher das israelische Recht. Deris Amtsnachfolgerin, die Jamina-Abgeordnete Ajelet Schaked, gab zu der Angelegenheit keine Stellungnahme ab. Das Bezirksbericht Lod urteilte am Freitag, dass der Standort eines Online-Dienstes eine hochkomplexe Angelegenheit sei, die über die Kompetenzen eines Angestellten im Innenministerium weit hinausgingen.
Das Gericht sagte weiter, dass die Beamten lediglich die Gültigkeit der ihnen zur Verfügung gestellten Dokumente zu prüfen hätten. Im Urteil schreibt die Richterin: „Als klar wurde, dass die Heiratsurkunde bestätigt, dass die Antragsteller in einer vom Bundesstaat Utah anerkannten Zeremonie geheiratet haben, und dass die Urkunde von einer dazu befugten Behörde ausgestellt wurde, hätte der Sachbearbeiter angewiesen werden müssen, die Eintragung vorzunehmen.“
Voraussetzung für Eheschließung: Gültige Dokumente
Im Jahr 2019 ließen sich 9.950 Paare, die im Ausland geheiratet hatten und von denen mindestens einer israelischer Staatsbürger war, im Innenministerium als Ehepaar registrieren. Doch während der Pandemie wurden Auslandsreisen für mehrere Monate unmöglich. Für den Bundesstaat Utah waren die Onlinedienste Teil der Bemühungen, Verwaltungsdienste für seine Einwohner zu rationalisieren. Darüber, dass ihre Dienste nun auch von Ausländern in Anspruch genommen würden, zeigten sich die US-Beamten erfreut.
Vlad Finkelshtein, ein Anwalt, der die Paare in der Klage vor dem Bezirksgericht Lod vertrat, begrüßte die Entscheidung und bezeichnete sie als Sieg für die Menschenrechte in Israel. „Das Gericht hat klargestellt, dass jedes Paar mit einer gültigen Heiratsurkunde zusammen mit einer geprüften Beglaubigung berechtigt ist, sich als verheiratet registrieren zu lassen.“ Der Anwalt der Organisation „WedinSea“ (Wortspiel, etwa: Heiraten in Übersee) fasst das Urteil erfreut zusammen: „Der Aufenthaltsort des Paares innerhalb der israelischen Grenzen für die Registrierung bei der Behörde ist irrelevant.“ (mh)
4 Antworten
Wunderbar! Das nenne ich mal eine Entscheidung einer modernen Gesellschaft entsprechend. Wenn nun noch das Scheidungsrecht dahingehend reformiert würde, dass die Frau für eine Scheidung nicht mehr die Zustimmung des Ehemannes benötigt, wäre Israel im 21.Jahrhundert angekommen.
Doch das ist nach diesem Urteil sicherlich nur noch eine Frage der Zeit.
Vielen Dank für diese aufschlussreiche Erklärung. Leider ist es in vielen Zeitungen nicht selbstverständlich, weil zu viel vorausgesetzt oder einfach nur schnell etwas zusammengeschustert wird.
Aber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Israelnetz haben dafür ein gutes Händchen!
Ich begrüsse das Urteil des Bezirksgerichts, sogar nachdrücklich.
Nur: Es ist natürlich berufungsfähig – vor dem Obersten Gerichtshof. Weswegen das letzte Wort noch nicht gesprochen wurde.
Ein Hinweis darauf hätte dem ansonsten lesenswerten Beitrag nicht geschadet.
Kommt jetzt als nächstes die digitale Beerdigung? Mal sehen wie sich die digitale Welt da noch entwickelt.
Aber: ja es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es war so lange ein Problem, das dringend einer Lösung bedurfte. Hoffen wir, dass der Oberste Gerichtshof es nicht noch kippt.