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Oberster Gerichtshof beschäftigt sich ab September mit Angemessenheitsgesetz

Nach der Sommerpause befasst sich der Oberste Gerichtshof mit den Petitionen der Reform-Kritiker. Staatspräsident Herzog zeigt sich enttäuscht über die politische Führung.
Von Israelnetz

JERUSALEM (inn) – Der Oberste Gerichtshof wird sich ab September mit dem umstrittenen Angemessenheitsgesetz beschäftigen. Dies teilten die Richter am Mittwoch mit. Nach der Sommerpause der Knesset werden sich die Richter mit den eingereichten Petitionen gegen das am Montag beschlossene Reformgesetz befassen.

Eine einstweilige Verfügung, wonach das Gesetz nicht in der jetzigen Form in Kraft treten dürfte, wurde vom Gericht indes abgelehnt. Stattdessen trat das Gesetz am Mittwoch formal in Kraft: Es wurde in das offizielle Rechtsregister des Staates Israel eingetragen. Dies berichtet die Onlinezeitung „Times of Israel“.

Die Gegner des Gesetzes und der gesamten Justizreform reichten insgesamt sieben Petitionen, also Beschwerden, beim Obersten Gerichtshof ein. Sie befürchten hinter diesem Gesetz und weiteren geplanten Gesetzen eine Auflösung der Gewaltenteilung. Die Demokratie sei in Gefahr. Auch der Oppositionsführer Jair Lapid (Jesch Atid), reichte eine Petitionen gegen das Gesetz ein.

Herzog „zutiefst enttäuscht“

Israels Präsident Jitzchak Herzog äußerte sich am Mittwoch über die Social-Media-Plattform Facebook zu den Vorkommnissen der vergangenen Tage. Er sei „zutiefst enttäuscht“, dass sich kein Kompromiss zwischen der Regierung und der Opposition gefunden habe, schrieb er vor Beginn des Trauertages Tischa BeAv. Er sei „verletzt“ und „wütend“.

Stets habe er „vor diesem Moment gewarnt“, in dem die Gesellschaft tief gespalten sei. Dennoch sei er nicht bereit, „die Hoffnung aufzugeben“. „Wenn die geringste Chance besteht, werden mein Team und ich weiterhin alles tun, um Hürden abzubauen und Brücken zu bauen.“

Herzog gab der Regierung und besonders Premier Benjamin Netanjahu (Likud) die Hauptschuld an der schwierigen Lage. Die größte Verantwortung in einer solchen spannungsgeladenen Situation liege bei den Machthabern, schrieb er. Nun erwarte Herzog, dass sich Netanjahu kompromissbereiter zeige, damit die Gesellschaft nicht noch weiter gespalten werde.

Appell an Reservisten

In den vergangenen Wochen drohten Hunderte Reservisten der Armee, ihren Dienst zu quittieren. Herzog appellierte an sie: Die Reservisten seien „die Besten der Besten“. Allerdings schade die Weigerung nur der Sicherheit Israels. Er forderte die Reservisten zum Umdenken auf. Schließlich traue er ihnen zu, „einen stabilen und sicheren Staat Israel zu verteidigen“.

Wie die „Times of Israel“ berichtet, sorgt sich die israelische Politik um die Arbeitsweigerungen der Reservisten. Für Montag ist daher ein Treffen zwischen Verteidigungsminister Joav Gallant (Likud) und den Knesset-Ausschüssen für Verteidigung und für Außenpolitik geplant. Es werde über die Einsatzbereitschaft der israelischen Verteidigungsstreitkräfte gesprochen.

Auch im Gesundheitswesen sehen sich die Behörden zum Handeln gezwungen: Immer mehr Ärzte und Beschäftigte streiken wegen der Reformen und zeigen sich bereit, das Land zu verlassen. Der Generaldirektor des Gesundheitsministeriums, Mosche Bar Siman-Tov, hielt am Mittwoch eine Dringlichkeitssitzung mit Ärzten ab. Er appelliert an die Beschäftigten im Gesundheitswesen, in Israel zu bleiben und ihren Dienst an den Menschen und der Gesellschaft zu leisten.

EU ruft zu Kompromisssuche auf

Im Zuge der Verabschiedung des Angemessenheitsgesetzes gerät laut Ratingagenturen Israels Wirtschaft unter Druck. So warnte die US-Ratingagentur Moody’s am Dienstag vor „negativen Folgen“ und „erheblichen Risiken“ für Israels Wirtschaft. Der Geschäftsführer der Börse von Tel Aviv, Itai Ben-Seev, sieht die wirtschaftliche Stabilität Israels ebenso unter Druck; es drohe eine Finanzkrise. Er appellierte am Mittwoch an die Regierung Netanjahu, sich zügig um mehr Finanzsicherheit zu kümmern, ansonsten stehe es schlecht um die Wirtschaft im jüdischen Staat.

Auch im Ausland wird die politische und gesellschaftliche Lage weiter beobachtet. Die Europäische Union (EU) sieht die Entwicklungen mit Sorge. Der Staatenverbund rief die Regierung auf, weiter nach Kompromissen zu suchen. „Die andauernden Debatten und Demonstrationen sind ein Zeichen dafür, dass ein erheblicher Teil der israelischen Bevölkerung besorgt über die Reformen ist“, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Dienstes. Es sei wichtig, dass ein Konsens gefunden werde, der für alle israelischen Bürger und politischen Parteien akzeptabel sei. (joh)

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3 Antworten

  1. Das wird problematisch, denn:
    Israel ist einer von sechs Staaten der Welt, der über keine Verfassung verfügt. Sein Staatswesen wird durch einige Grundgesetze geregelt, die aber von der Knesset bislang nie als einheitliche Verfassung beschlossen und eingesetzt worden sind. Grundgesetze werden von der Knesset, wenn nicht im Gesetz anders geregelt, mit einfacher Mehrheit beschlossen und können ebenso auch wieder abgeändert werden. Der Präsident des Obersten Gerichts, Aharon Barak, entschied 1995 konträr zur bis dahin geltenden Auffassung der Gerichte, dass die Grundgesetze als Verfassung angesehen werden sollten.
    Durch Baraks Entscheidung, die er als „konstitutionelle Revolution“ bezeichnete, wurde ein unvollständiger Korpus von Grundgesetzen de facto in Verfassungsrang gehoben, der aber die Kernkompetenz des Obersten Gerichts, von der Knesset erlassene Gesetze für nichtig erklären zu können, einerseits einsetzte, andererseits aber nicht genauer definierte. Das führte dazu, dass das Oberste Gericht als Verfassungsgericht ermächtigt und die legislative Vormachtstellung der Knesset empfindlich eingeschränkt wurde. Es bestehen begründete Zweifel an der Legalität dieser Entwicklung, die dazu geführt hat, dass heute das Mittel gerichtlicher Überprüfung in Israel um ein Vielfaches häufiger und breiter eingesetzt wird als in anderen Ländern. Denn seit Aharon Barak ist alles justiziabel. Jede natürliche oder juristische Person in Israel darf das Oberste Gericht direkt ohne Umwege durch die Instanzen anrufen. Das Oberste Gericht entscheidet dabei selbst, welche Fälle es annimmt.

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  2. Jesaja kennt sich nicht aus. Er wiederholt allerdings immer wieder längst widerlegte Unwahrheiten.
    Zur Vermeidung von Wiederholungen will ich mich aber auf einen streng verfassungsrechtlichen Aspekt beschränken.
    Bezüglich Staaten wie United Kingdom und Israel wird immer mal wieder behauptet, diese hätte KEINE Verfassung. Das ist falsch! Beide haben nur keine aus einem zusammenhängenden Stück bestehende Verfassung! Das ist ein sehr großer Unterschied.
    Betr. UK verweise ich Jesaja auf die verfassungsrechtliche Standardliteratur der letzten Jahrhunderte sowieso die politikwissenschaftliche Literatur der letzten ca. 100 Jahre.
    Betr. Israel war nicht nur die internationale Zunft der Verfassungsrechtler – und das übrigens schon VOR 1995!!! – der übereinstimmenden Meinung, dass die Funktion der Verfassung in Israel von der Unabhängigkeitserklärung sowie den Grundgesetzen ausgefüllt wird. In Israel dominiert diese Meinung ebenfalls unter Verfassungsjuristen.
    Es ist auch belanglos, dass in Israel die Grundgesetze oder Änderungen mit einfacher parlamentarischer Mehrheit beschlossen werden können. Das britische Unterhaus kann auch alles Mögliche mit einfacher Mehrheit beschließen. Sofern es keine explizite Vorgabe bezüglich einer qualifizierten Mehrheit (2/3, 3/4 etc.) gibt, reicht eben die einfache Mehrheit.
    Im übrigen verweise ich auf meine Ausführungen an anderer Stelle bezüglich der weltweiter Ausdehnung des Entscheidungsbereiches der Verfassungsgerichte in den 1990er Jahren, primär zum Schutz von Individualrechten gegenüber dem Staat (sogar in Frankreich!!!)!

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