Suche
Close this search box.

Neuer Zugang zu den Schriftrollen vom Toten Meer

"Bitte nur ohne Blitzlicht fotografieren!", ist den Mitarbeitern der israelischen Altertumsbehörde (IAA) enorm wichtig, als sie eine kleine Gruppe von Journalisten ins "Allerheiligste" führen. Der kleine Raum ohne Fenster ist klimatisiert. Nicht nur die Luftfeuchtigkeit wird in diesem Labor streng kontrolliert. Auch im Blick auf die Lichtverhältnisse ist alles "steril". "Dieses Licht strahlt keine Hitze aus, enthält keinerlei ultraviolette Strahlung", erklärt Simon Tanner vom Kings College in London.

Nur eine kleine, ausgewählte Schar von Menschen hat bislang die berühmten Schriftrollen vom Toten Meer im Original zu Gesicht bekommen. Zu empfindlich sind die Bücher, die kurz vor der Gründung des Staates Israel im November 1947 zufällig von Beduinen in der Wüste Juda gefunden wurden. Bis in die jüngste Zeit gaben die unzähligen Höhlen um das Tote Meer immer wieder spektakuläre Funde frei. Heute gehören 15.000 Schriftrollen oder Fragmente von Schriftrollen zum Staatsschatz Israels. 900 Manuskripte konnten bislang identifiziert werden.

Diese Schriftrollenfunde haben nicht nur die Erforschung des hebräischen Alten Testaments entscheidend beeinflusst. Sie lieferten neue Erkenntnisse über die Geschichte des jüdischen Volkes, die Zeit um das Ende des zweiten Tempels im sechsten vorchristlichen Jahrhundert und die Entstehung des Christentums. Die frühesten Funde stammen aus der Zeit des dritten Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung.

In 38 Bänden veröffentlicht

„Das ist der größte Schatz des Staates“, davon ist IAA-Generaldirektor Schuka Dorfman überzeugt. Dabei sind nicht nur die uralten Schriftrollen einzigartig, sondern auch ihre Bedeutung für das jüdische Volk. „Wir können das Hebräisch lesen und verstehen, so wie sie es damals geschrieben haben“, sagt Dorfman. Die IAA verweist stolz auf die Errungenschaft, innerhalb von zehn Jahren bis 2001 mit 80 Wissenschaftlern aus aller Welt unter der Leitung von Professor Emmanuel Tov von der Hebräischen Universität die gesamte Schriftrollensammlung in 38 Bänden bei der Oxford University Press in Großbritannien veröffentlicht zu haben. Doch selbst Experten hatten keinen Zutritt zu diesem Staatsschatz und mussten sich bislang mit mehr oder weniger guten Abschriften, Rekonstruktionen oder Fotografien begnügen.

Das soll jetzt anders werden. Ende August stellte die IAA ein Pilotprojekt vor, das die Dokumentation der gesamten Schriftrollensammlung Israels ermöglichen soll. Letztendlich soll so im Laufe der nächsten Jahre im Internet eine riesige Datensammlung der Fachwelt, aber auch der interessierten Öffentlichkeit, zugänglich gemacht werden. Ein hochkarätiges Spezialistenteam aus aller Welt fotografiert die 2.000 Jahre alten Bücher mit den besten heute verfügbaren technischen Möglichkeiten. Dorfman ist überzeugt, dass auch in diesem Fall neue Technologie wieder einmal alte Theorien durcheinanderbringen wird.

Auslöser dieses Vorhabens war das Anliegen, die einzigartigen Funde der Nachwelt möglichst vollkommen zu erhalten. „Wenn das nicht erhalten wird, geht es unwiederbringlich verloren“, erzählt Schuka Dorfman und: „Wir haben ein Problem: Es gibt kein Labor, keine früheren oder parallelen Erfahrungen, aus denen man lernen könnte, wie solche Schriftrollen konserviert werden können.“ Um das herauszufinden, hat die israelische Altertumsbehörde im Israel Museum in Jerusalem eigens ein Speziallabor eingerichtet.

Drei Arten der Fotografiertechnik

Jetzt sollen die Zigtausende Pergament- und Papyrusfragmente und Schriftrollen auf dreifache Weise fotografiert werden. Pnina Schor, Leiterin der Konservierungsabteilung der IAA, erklärt, dass eine Farbfotografie nur das zeigt, was auch das menschliche Auge erkennen kann. Aber immerhin wird schon dafür das Beste vom Besten verwendet: Eine Digitalkamera mit 39 Megapixel und Hasselblad-Body stellt 16-bit-Farbbilder her, von denen jedes einzelne 200 Megabyte auf einer Festplatte verschlingt.

Durch Infrarotaufnahmen werden Buchstaben sichtbar, wo bislang nichts zu sehen war. In den 1950er Jahren wurden zwar alle damals im Rockefeller-Museum in Jerusalem gesammelten Schriftrollen schon einmal infrarot abgelichtet. Aber der technische Fortschritt eines halben Jahrhunderts ist unübersehbar. Simon Tanner, der für die arbeitstechnischen Abläufe des Mammutprojekts zuständig ist, zeigt auf einem Computerbildschirm stolz „Buchstaben, die hier das erste Mal sichtbar werden. Die sind bislang in noch keinem wissenschaftlichen Text erschienen!“ Begeistert verfolgt der Brite die Schriftzüge einer Psalmenrolle, die vor mehr als zwei Jahrtausenden geschrieben worden war.

Und drittens werden von vielen Dokumenten noch spezielle spektrale Aufnahmen hergestellt. Dafür konnte der Forscher Dr. Greg Berman gewonnen werden, der bis vor kurzem bei der US-amerikanischen Weltraumbehörde NASA als Experte angestellt war. Mit einer Spezialkamera macht er von jedem Objekt 35 Aufnahmen im Infrarotfrequenzbereich zwischen 600 und 1000 Nanometern. Was mit bloßem Auge braun-schwarz erscheint, gewinnt Farbe. „So können wir beispielsweise erkennen, was Tinte ist, wo das eigentliche Pergament vorhanden ist und was Verschmutzungen oder Schimmel sind. Wir können sogar den Feuchtigkeitsgehalt der Materialien ganz genau bestimmen“. Dies ist für den Erhalt der kostbaren Zeugnisse aus der Antike von entscheidender Bedeutung. Um den Schriftrollen ideale Verhältnisse zu gewähren, haben die israelischen Wissenschaftler jahrelang die genauen Temperatur- und Feuchtigkeitsverhältnisse in den Höhlen am Toten Meer im Sommer wie im Winter, bei Tag und Nacht, erforscht.

Wie lange dieses Projekt bis zu seinem Abschluss brauchen wird, kann bislang noch nicht abgeschätzt werden. Schuka Dorfman rechnet mit einem finanziellen Aufwand von zwei bis drei Millionen US-Dollar. Aber auch das kann heute noch niemand sicher voraussagen. „Wir haben mit diesen Rollen nicht nur das gesamte Alte Testament im Original vor uns“, wirft der IAA-Generaldirektor ein, „sondern auch Gebetsriemen und damit Traditionen, die für das jüdische Leben von entscheidender Bedeutung sind.“ Mit einem ultra-orthodoxen Journalisten entspinnt sich sogleich eine Diskussion über die Schreibweise des hebräischen Buchstabens „Zadik“ – über die sich die sephardischen und aschkenasischen Juden seit Jahrhunderten streiten.

Bitte beachten Sie unsere Kommentar-Richtlinien

Schreiben Sie einen Kommentar

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

Israelnetz-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen