Ohne Frieden mit den Palästinensern kein Frieden mit anderen Arabern. Diese seit Jahren geltende Doktrin wurde am 13. August auf den Kopf gestellt – als Israel und die Vereinigten Arabischen Emirate verkündeten, dass sie ihre Beziehungen normalisieren wollen. Die Emirate erkennen den Staat Israel offiziell an. Dieser setzt dafür vorerst die geplante Ausweitung seiner Souveränität auf Teile des Westjordanlandes aus. Vermittelt hat den Deal US-Präsident Donald Trump.
Wenige Tage vor Besiegelung des sogenannten Abraham-Abkommens am 15. September im Garten des Weißen Hauses in Washington verkündete überraschend auch das Königreich Bahrain, seine Beziehungen zum jüdischen Staat umgehend normalisieren zu wollen. Zwei Wochen zuvor hatte Saudi-Arabien mitgeteilt, es sehe ein Ende der israelischen Besatzung im Westjordanland als Voraussetzung für volle diplomatische Beziehungen mit Israel. Aus Bahrain hieß es damals noch, es werde den Schritt nicht vor Saudi-Arabien gehen.
Bei der feierlichen Unterzeichnung der Abkommen in Washington waren die Emirate und Bahrain durch ihre jeweiligen Außenminister Abdullah Bin Sajed al-Nahjan und Abdullatif Bin Raschid al-Sajani vertreten. Für Israel unterschrieb Premierminister Benjamin Netanjahu. Trump sprach vom „Beginn eines neuen Nahen Ostens“. Die Abkommen bildeten demnach die Grundlage für umfassenden Frieden in der Region. Weitere Staaten könnten dem Beispiel der Emirate und Bahrains folgen, es liefen entsprechende Gespräche. Der Außenminister der Emirate sprach bereits von einer „Veränderung im Herzen des Nahen Ostens, die Hoffnung in die ganze Welt senden wird“.
Wohlwollendes Saudi-Arabien
Eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen spielt Saudi-Arabien. Die neuen Abkommen zeigen, dass sich auch Riad und Jerusalem weiter annähern: Bahrain ist auf die Unterstützung Saudi-Arabiens angewiesen. Ohne die Zustimmung des Verbündeten hätte das Königreich den Deal mit Israel nicht geschlossen. Zudem hat Saudi-Arabien seinen Luftraum für israelische Flugzeuge geöffnet. Es scheint seine Bevölkerung langsam an eine Normalisierung mit Israel gewöhnen zu wollen: Am 5. September erinnerte der vom König eingesetzte Imam der Großen Moschee von Mekka, Abdulrahman al-Sudais, die Gläubigen in einer im Staatsfernsehen ausgestrahlten Predigt daran, dass der Prophet Mohammed um gute Beziehungen zu Juden und Nichtmuslimen bemüht gewesen sei.
In den sozialen Netzwerken brach nach der in der islamischen Welt viel beachteten Predigt ein Sturm der Entrüstung los. Nutzer beschuldigten Al-Sudais, eine Normalisierung mit Israel anzustreben. Der ägyptische Islamwissenschaftler Mohammed al-Saghir warf dem Saudi Heuchelei vor. „Er ebnet den Weg für Normalisierung und Verrat von der heiligen Kanzel in Mekka aus“, schrieb Al-Saghir auf Twitter.
Ein Wissenschaftler des „Instituts für Arabistik und Islamwissenschaft“ an der Universität von Exeter, Marc Owen Jones, sagte über die Predigt laut dem arabischen Nachrichtensender „Al-Dschasira“: „Den Saudis über einen einflussreichen Imam einen Anstoß zu geben, ist offensichtlich ein Schritt, um die öffentliche Reaktion zu testen und den Begriff der Normalisierung zu fördern.“ Bereits vor zwei Jahren hatte zudem der saudische Kronprinz Mohammed Bin Salman Israel das Existenzrecht zugesprochen. Ein großer Schritt, denn offiziell erkennt das Land Israel nicht an.
Warmer Frieden
Laut Premier Netanjahu läuten die Normalisierungs-Abkommen im Nahen Osten eine neue Ära ein. Und tatsächlich ist es dieses Mal anders als bei den Friedensschlüssen mit Ägypten (1979) und Jordanien (1994). Mit diesen beiden Staaten verbindet Israel eine blutige Vergangenheit und Erinnerungen an gemeinsame Kriege. Dieser Friede besteht vor allem auf dem Papier, er ist kalt und bei der Bevölkerung nie wirklich angekommen.
Bahrain und die Emirate hingegen wollen einen warmen Frieden mit Israel. Der Staatsminister für auswärtige Angelegenheiten der Emirate, Anwar Gargasch, brachte es auf den Punkt, als er vor der Unterzeichnung sagte, 70 Jahre der Nichtkommunikation mit Israel hätten die arabische Welt nicht weitergebracht. Daher sei eine neue Vorgehensweise angebracht. Man könne mit Israel in politischen Dingen unterschiedlicher Meinung sein, in nichtpolitischen Dingen könne man mit Israel aber durchaus zusammenarbeiten.
Wie es schien, konnten es beide Seiten kaum abwarten, die Kooperationen auf unterschiedlichsten Gebieten zu beginnen. Noch bevor das Abkommen unterzeichnet war, eröffneten Israel und die Emirate eine Telefonleitung zwischen ihren Staaten. Emiratis wurde der Zugriff auf israelische Internetseiten gewährt, Unternehmen aus beiden Staaten gaben ihre Zusammenarbeit in der Corona-Forschung bekannt und die Emirate hoben ihr Israel-Boykott-Gesetz aus dem Jahr 1972 auf. Seit Abschluss des Abkommens werden ständig neue Kooperationen bekanntgegeben.
Erzürnte Palästinenser
Die internationalen Reaktionen auf das Abkommen sind derweil gemischt. Die Palästinenserführung tobt. Präsident Mahmud Abbas spricht von „Aggression“ und einer „schändlichen Vereinbarung“, die zurückzunehmen sei. Die Türkei und der Iran werfen den Emiraten und Bahrain Verrat vor. Ägypten und der Oman begrüßten hingegen die Einigung. Erfolglos forderte die Palästinenserführung die Arabische Liga auf, die Abkommen zu verurteilen. Die EU und auch Deutschland gratulieren und sprechen von einem wichtigen Schritt, betonen jedoch, dass sie weiter an einer Zwei-Staaten-Lösung im israelisch-palästinensischen Konflikt festhalten. Die bislang letzten Verhandlungsbemühungen mit dem Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung scheiterten im Jahr 2014.
Israel, die Emirate und Bahrain sind in dieser Sache hingegen weniger festgelegt: Nach Unterzeichnung der Normalisierungs-Abkommen wurde der Wortlaut bekannt. Dabei zeigt sich, dass keines der Dokumente eine „Zwei-Staaten-Lösung“ erwähnt. Der Friedensvertrag zwischen Israel und den Emiraten fordert etwa die gemeinsame Arbeit an einer „verhandelten Lösung, die die legitimen Bedürfnisse und Hoffnungen beider Völker erfüllt“.
Annäherung hinter den Kulissen
Die Abkommen schaffen eine neue Realität im Nahen Osten. Die Saudische Friedensinitiative aus dem Jahr 2002 besagt, dass es keine normalen Beziehungen mit Israel geben kann, solange Israel am Westjordanland festhält. Mit diesem Dogma haben die Emirate nun gebrochen. Es bleibt abzuwarten, ob Europa diese neue Realität anerkennt und akzeptiert, dass der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern nicht das zentrale Problem der Region ist.
Denn dass es zwischen Israel und den sunnitischen Staaten seit Jahren hinter den Kulissen eine Annäherung gibt, ist vor allem der gemeinsamen Bedrohung durch den schiitischen Iran geschuldet. Zusammen mit seinen Verbündeten im Libanon, in Syrien, dem Jemen, dem Irak oder dem Gazastreifen arbeitet Teheran daran, seine Vormachtstellung in der Region auszuweiten. Die sunnitisch geprägten Staaten sehen in Israel einen starken Partner, der über militärische Voraussetzungen verfügt, um dem Iran die Stirn zu bieten.
„Unglaubliche Marketingmöglichkeiten“
Aber es sind nicht nur der gemeinsame Feind Iran oder der Frust über eine seit Jahren unbewegliche Palästinenserführung, die zur Normalisierung geführt haben. Israel hat in Bereichen wie Medizin, Landwirtschaft, Wasseraufbereitung oder Cybertechnologie viel zu bieten. Es ist willens, dieses Wissen mit anderen zu teilen. Die Emirate wollen ihre Fähigkeiten breiter aufstellen und verfügen über das dafür notwendige Kapital. Hinter den Kulissen gibt es schon seit Jahren Geschäftsbeziehungen zwischen israelischen Unternehmen und solchen auf der Arabischen Halbinsel, meist über Tochterunternehmen in anderen Staaten. Doch mit der Normalisierung eröffnet sich für die Parteien ein gigantischer Wirtschaftsmarkt.
Einer von Dubais bekanntesten Geschäftsmännern, Sultan Ahmed Bin Sulajem, Geschäftsführer der Unternehmergruppe „DP World“, schwärmt im Gespräch mit der Zeitung „Calcalist“: „Wir sind Händler und ich glaube, dass es hier unglaubliche Marketingmöglichkeiten gibt. Betrachten Sie Dubai nicht als einen Markt mit neun Millionen Einwohnern. Durch Dubai können Sie mehr als zwei Milliarden Menschen erreichen. Eine Flugstunde von hier entfernt leben zwei Milliarden Menschen in Indien, Pakistan, Sri Lanka, Iran, Bangladesch und Ostafrika. Unsere Leute sind Händler und wissen, wie man verkauft.“
„DP World“, einer der weltgrößten Hafenbetreiber, hat bereits ein Abkommen mit der israelischen Bank Le‘umi geschlossen. Sie wollen die Hafenentwicklung in Israel vorantreiben und neue Arbeitsplätze schaffen.
Bahrain
Staatsform Konstitutionelle Monarchie | Staatsoberhaupt König Hamad Bin Isa al-Chalifa | Regierungschef Premierminister Prinz Chalifa Bin Salman al-Chalifa | Hauptstadt Manama | Staatsreligion Islam | Einwohner 1,49 Millionen (Bundeszentrale für politische Bildung, 2017)
Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE)
1971 schlossen sich die Scheichtümer Abu Dhabi, Dubai, Schardschah, Adschman, Umm al-Quwain und Fudscheirah zusammen. 1972 folgte Ras al-Chaimah in die Föderation.
Staatsform Föderale Erbmonarchie | Hauptstadt Abu Dhabi | Präsident Scheich Chalifa Bin Sajed al-Nahjan (Emir von Abu Dhabi) | Premierminister Scheich Mohammed Bin Raschid al-Maktum (Emir von Dubai) | Staatsreligion Islam | Einwohner 9,4 Millionen, davon rund 85 Prozent Arbeitsmigranten (Bundeszentrale für politische Bildung, 2017)
Von: Dana Nowak
Diesen Artikel finden Sie auch in der Ausgabe 5/2020 des Israelnetz Magazins. Sie können die Zeitschrift kostenlos und unverbindlich bestellen unter der Telefonnummer 06441/5 66 77 00, via E-Mail an info@israelnetz.com oder online. Gerne können Sie auch mehrere Exemplare zum Weitergeben oder Auslegen anfordern.