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Netanjahu ein Jahr im Amt

Die Welt stöhnte laut, als vor einem Jahr Benjamin Netanjahu zum zweiten Mal in Israel die Zügel in die Hand nahm. Mit seinem Rechts-Links-Bündnis mit Orthodoxen, der ultrarechten Partei seines Außenministers Avigdor Lieberman und der linkskonservativen Arbeitspartei unter Verteidigungsminister Ehud Barak verfügt Netanjahu über eine fast unumstößliche Koalition.

Um die Oppositionspartei Kadima unter Zippi Livni ist es still geworden. Mehrere Abgeordnete dieses von Premierminister Ariel Scharon 2005 geschaffenen Sammelbeckens von rechts und links sehnen sich gar zurück in den Likudblock. Netanjahu war nach seiner ersten Kadenz ab 1996 in schlechter Erinnerung geblieben. Mit dem Argument, „dazugelernt“ zu haben, gewann er das Vertrauen der Israelis, während die Amerikaner dem aalglatten Rhetoriker misstrauten.

Die Palästinenser verweigerten eine Fortsetzung der unter Ehud Olmert noch intensiv geführten „Friedensgespräche“. Sie konfrontierten Netanjahu mit der Bedingung eines völligen Baustopps in den Siedlungen und in Ost-Jerusalem. Die Europäer empörten sich über die Ernennung des „rassistisch-rechtsextremen Außenministers“ Lieberman. Netanjahu übernahm die Regierung, als das Land wegen des Gaza-Krieges international fast alle Sympathien verspielt hatte. Seine Wahl verschlimmerte Israels Ruf.

Souverän durch die weltweite Finanzkrise gesteuert

„Obgleich ich von Netanjahu als Politiker gar nichts halte, muss ich ihn loben“, sagt der angesehene Wirtschaftsexperte Sever Plotzker. Denn Netanjahu hat Israel souverän durch die weltweite Finanzkrise gesteuert. Dank eines Zwei-Jahres-Haushaltes schuf er Stabilität. Er nahm langfristige Infrastrukturprojekte in Angriff, den Aufbau der sträflich vernachlässigten Wasserentsalzungsanlagen und den Ausbau des kümmerlichen Eisenbahnnetzes.

Um politischen Konzessionen an die Palästinenser auszuweichen, entwarf er die Idee eines „Wirtschaftsfriedens“. Tatsächlich ließ er im besetzten Gebiet fast alle Straßensperren öffnen oder wegräumen. Netanjahu bescherte so den Palästinensern ein Wirtschaftswachstum von „acht bis elf Prozent“, wie Premierminister Salam Fajjad sagt. „Ich kann heute ungehindert mit meinem Auto von Ost-Jerusalem zur Börse in Nablus fahren, während ich mich früher mit dem Esel auf Schleichwegen an den Sperren vorbei zur Börse durchlagen musste“, erzählt der Chef der boomenden Börse in Nablus.

Doch politisch läuft nichts, zumal der fast zeitgleich ins Amt gewählte amerikanische Präsident Barack Obama neue Töne der Annäherung an die arabische Welt auf Kosten Israels angeschlagen hat. Obamas Forderung nach einer Zustimmung zur „Zwei-Staaten-Lösung“ akzeptierte Netanjahu mit Beschränkungen der palästinensischen Souveränität und einer Entmilitarisierung. Die Palästinenser wiesen Netanjahus Vision empört zurück. Die zweite Forderung, nach einem Baustopp in den Siedlungen, akzeptierte Netanjahu ebenfalls, aber auf zehn Monate befristet und mit Ausnahme Ost-Jerusalems.

Durch eine Hintertür ins Weiße Haus gelassen

Mit dem Gefühl, von Netanjahu über den Tisch gezogen worden zu sein, ließ Obama den israelischen Premier spüren, was er über ihn denkt. In Washington wurde Netanjahu „wie der letzte Politiker aus der Dritten Welt“ durch eine Hintertür ins Weiße Haus gelassen. Es gab weder ein Foto des Treffens noch eine gemeinsame Abschlusserklärung. Der drohende Bruch zwischen den USA und Israel, von Kommentatoren als „Katastrophe für Israels Sicherheit“ bezeichnet, hat Netanjahus Popularität erstmals seit seiner Amtsübernahme abnehmen lassen. Nur noch 44 Prozent halten ihn für „passend“ für sein Amt. Gleichwohl liegt eine Fortsetzung der Bautätigkeit in Ost-Jerusalem, wo rund 250.000 Israelis leben, voll im nationalen Konsens.

Netanjahu gilt auch bei vielen Israelis als wenig gradlinig, erpressbar und unzuverlässig. „Sein schlimmster Fehler war der Beschluss, Früchte und Gemüse mit Mehrwertsteuer zu belasten. Kaum hatte er das im Brustton der Überzeugung vorgetragen, gab er kleinlaut bei, als die Zeitungen über Empörung in der Bevölkerung berichteten. Der Mann hat einfach kein Rückgrat“, meint ein Israeli namens Itzik.

Mit der Wahrheit nicht so genau genommen

Ein typisches Beispiel für Netanjahus Vorgehen, es mit der Wahrheit nicht zu genau zu nehmen und Vertrauen zu brechen, veröffentlichte kürzlich die Zeitung „Ha´aretz“. Netanjahu hatte Journalisten erzählt, auf eigene Initiative die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel angerufen zu haben, um sie über seine Baupolitik in Ost-Jerusalem aufzuklären. Tatsächlich aber hatte Merkel auf Bitten der Amerikaner in Jerusalem angerufen. Zudem sollte das Gespräch vertraulich bleiben.

Mangels Vertrauen auf dem internationalen Parkett scheiterte Netanjahu bei dem wichtigsten Thema, das die Israelis heute bewegt: die iranische Atombombe. Netanjahu schaffte es nicht, die Amerikaner von scharfen Sanktionen gegen den Iran zu überzeugen. Schon heißt es, dass Obama sich mit einer iranischen Atombombe abfinden könnte, während den Israelis nahegelegt wird, „sich an die iranische Bombe zu gewöhnen“. Dieses Thema wird Netanjahus größte Herausforderung im zweiten Jahr seiner Amtszeit werden, denn ein Frieden mit den Palästinensern wirkt aus israelischer Sicht fern und unrealistisch.

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