Wenn die derzeitige Krise zwischen den USA und Iran nicht so ernst wäre, weil sie wieder Menschenleben kosten könnte, wäre die Lektüre der Kommentare in den Medien geradezu amüsant. Im Rahmen einer medialen Angstmache werden da alle nur denkbaren Klischees bedient. So wird schon ein „Dritter Weltkrieg“ vorhergesagt, und gelegentlich sogar gefragt, ob der nicht schon längst ausgefochten werde.
Eine Schweizer Zeitschrift verfügt offenbar über sehr gute Ferngläser, wenn sie den Krieg schon in „Sichtweite“ ausmacht. Die unterschiedlichsten „Nahost-Experten“ sind aufgefordert, Prophet zu spielen. Dabei weiß niemand, und vielleicht nicht einmal die iranische Führungsspitze, wie die Reaktion auf die „gezielte Tötung“ des iranischen Generals Kassem Soleimani aussehen könnte.
Wie nicht anders zu erwarten, werden die Hauptakteure des Dramas unterschiedslos beleidigt. In Deutschland nennt man diesen Vorgang bekanntlich „ausgewogene Berichterstattung“. Donald Trump ist deshalb vom US-Präsidenten flugs zum „Terroristen im Anzug“ avanciert, wohl, um ihn dem getöteten iranischen Generalmajor gleichstellen zu können, der ja als schlimmster Terrorist weltweit dargestellt wird.
Einseitige Bewertung
Soleimanis Sündenregister ist lang. Er habe je nach Quelle Tausende Amerikaner und ansonsten eine halbe Million Todesopfer von Kriegen und Terroranschlägen auf dem Gewissen. Ihm wird angelastet, den Krieg und Umsturz im Jemen angezettelt zu haben. Ebenso sei er verantwortlich für den Raketenbeschuss Israels durch die Organisation Islamischer Dschihad im Gazastreifen sowie von den syrischen Golanhöhen. Auch im Libanon habe Soleimani den iranischen Einfluss über die Hisbollah-Miliz vertieft.
Auffällig ist dabei, dass die gezielte Tötung von Kassem Soleimani durch die USA als Kriegsverbrechen und Verstoß gegen das Völkerrecht bezeichnet wird. Umgekehrt scheinen alle von Soleimani angezettelten Kriege und Terroranschläge, sowie das ungezielte Töten von unbeteiligten Zivilisten, darunter Frauen, Kinder und Alte, kein „Verbrechen“ zu sein und voll dem Völkerecht zu entsprechen.
Sonst wird in der Nahostberichterstattung bekanntlich meistens Israel beschimpft und die Untaten der palästinensischen Seite unter legitimer Widerstand, Demonstration oder maximal „Unruhen“ subsumiert. So scheint das Völkerrecht in den Augen der Presse bei der aktuellen Krise auch nur für Trump und die USA zu gelten, nicht aber für den Iran oder seine militanten Ableger. Wenn der Iran im Jemen oder Syrien gar mit eigenen Truppen unter dem Befehl von Soleimani mitmischte, dann handelte es sichoffenbar um eine legitime Unterstützung des gewählten Präsidenten Baschar al-Assad und legitimen Widerstand gegen Terroristen. Im Gegensatz dazu ist natürlich ein amerikanisches Eingreifen grundsätzlich illegitim und ungesetzlich.
Entsprechend werden auch die beteiligten Staaten gerne mit „passenden“ Titeln versehen. Die USA haben dabei eindeutig die schlechteste Karte gezogen: sie werden fröhlich als „Schurkenstaat“ bezeichnet, während dieser „Ehrentitel“ weder Syrien, dem Iran oder dem Libanon zuteil wurde, obgleich von ihrem Gebiet einige der schlimmsten Massenverbrechen der vergangenen Jahre ausgegangen sind.
Vorliebe für Spiralen?
Fester Bestandteil der nahöstlichen Beschreibungen aus deutschen Redaktionen ist auch die ominöse „Spirale der Gewalt“. Der Experte Volker Perthes, Direktor der Denkfabrik „Stiftung Wissenschaft und Politik“ in Berlin, scheint eine Vorliebe für Spiralen zu haben. So gibt es für ihn auch eine „Spirale des Misstrauens“, eine „Spirale des Konflikts“ und sogar eine „nach oben offene Eskalationsspirale“. Diese letzte Formulierung, die Perthes in einem Interview der „Wirtschaftswoche“ gebrauchte, verwandelt die von Politikern ersonnene und durchgeführte Krise in ein Naturphänomen, vergleichbar einem Erdbeben, dessen Stärke dann gemäß einer „nach oben offenen Richterskala“ gemessen wird.
Fragwürdig ist es auch, wenn im Fall der Auseinandersetzung zwischen den USA und dem Iran von einem „asymmetrischen“ Konflikt gesprochen wird. Diese bei der „Deutschen Welle“ beliebte Formel wird sonst üblicherweise im Falle von staatlichen Militäraktionen gegen Milizen oder „bewaffnete Arme“ politischer Parteien in anderen Ländern verwendet. Da in solchen Fällen nicht die stehenden Armeen der betroffenen Länder aufeinanderstoßen, kann laut Kriegsrecht dann nicht von einem „Krieg“ zwischen zwei Staaten reden.
Typische Beispiele dafür sind die sogenannten Libanonkriege Israels oder die Militäroperationen gegen die Hamas im Gazastreifen. Israel hatte 1982 und 2006 den halben Libanon erobert, darunter auch die Hauptstadt Beirut. Doch Israel zog nicht gegen den Staat Libanon in den Krieg, sondern gegen dort agierende bewaffnete Verbände. 1982 handelte es sich um die PLO (Palästinensische Befreiungsorganisation) und 2006 um die schiitische Miliz Hisbollah. Der Gazastreifen gilt nicht einmal als eigenständiger Staat und wird von manchen gar als „israelisch besetzt“ betrachtet, trotz des kompletten israelischen Rückzugs im Jahr 2005.
Die Anwendung des Völkerrechts und speziell die Berufung auf die Genfer Konventionen ist in all diesen Fällen problematisch, weil sich die jeweiligen Kampfparteien nicht an die infolge des Zweiten Weltkriegs aufgestellten Regeln halten. Das gängige Völkerrecht und darunter auch die allgemein akzeptierten Genfer Konventionen setzen die Existenz regulärer Staaten voraus, mitsamt uniformierten Armeen und möglichst mit einem Sitz in der UNO. Doch die Wirklichkeit änderte sich.
IS passt in kein Raster
Ein relativ neues Phänomen, das aber nicht mehr in das alte Korsett des üblichen europäischen Staatsrechts passt, ist zum Beispiel der weltweite Terror oder ein nur schwer definierbares Gebilde wie der „Islamische Staat“. Da der IS nicht als „Staat“ anerkannt war, wurden dessen „Kriegserklärungen“ nicht ernst genommen. Und selbst wenn seine „Kämpfer“ in Europa im Namen des IS Attacken ausführten, wurden diese als „Straftat“ oder bestenfalls als „Terrorangriff“ bezeichnet und „polizeilich“ geahndet. Sie wurden jedenfalls mangels eines ordentlichen Staatswesens im Hintergrund nicht als „Kriegsakt“ gewertet.
Je nach Sicht wird Soleimani mal als „Terrorist“ oder als hochrangiger General des Iran bezeichnet. Wenn nun die Amerikaner beziehungsweise Trump einen iranischen Top-Terroristen gezielt töten, stoßen hier diese Rechtsvorstellungen aufeinander. Die „besorgten“ Europäer glauben für den Nahen und Mittleren Osten an einen „Dialog“ zwecks einer „De-Eskalation“. Auch wenn das nicht ausgesprochen worden ist, hätten Politiker in Berlin oder Paris wahrscheinlich erwartet, dass die Amerikaner eine Polizeistreife nach Bagdad schicken, um den iranischen General nach gebührender Überprüfung seines Ausweises mit einem ordentlichen Haftbefehl in Gewahrsam zu nehmen und nach dem Verhör einem Gericht zwecks Verurteilung zvuüberstellen. Denn in Europa ist die Todesstrafe heute weitgehend geächtet (im Bundesland Hessen stand die Todesstrafe noch bis zum 12.12.2018 in der Verfassung).
Und selbst im Falle von Terroristen, die mit gezücktem Messer auf Sicherheitskräfte zugehen, werden Todesschüsse nicht ohne weiteres als Notwehr verstanden, sondern gerne als eine „außergerichtliche Hinrichtung“ bezeichnet. Es gibt zwar im deutschen Polizeirecht den „finalen Rettungsschuss“, etwa um bei Geiselnahmen Gefahr für Dritte abzuwenden, aber daran mag sich wohl kaum einer gerne erinnern. Wie alle unliebsamen Fakten könnte das wohl bei der redaktionellen Phrasenproduktion stören. Apropos: Besonders beliebt ist auch der falsche Griff in die biblische Mottenkiste. Kein Konflikt in Nahost, wo nicht mindestens einem Redakteur irgendwas mit „Auge um Auge“ einfällt.
Joseph Joffe in der „Zeit“ verbindet diese Phrase der Phrasen mit „Letzter Hoffnung“ und sein „Zeit“-Kollege Jörg Wimalasena fällt gar das Urteil: „Die Ermordung des iranischen Generals Kassem Soleimani war nur der letzte Schritt einer von Trump initiierten Eskalationskette.“ Und Michael Thumann, auch in der „Zeit“, lamentiert gar: „Es gibt Attentate, da hält die ganze Welt die Luft an und wartet bange auf das, was kommen kann. Die Ermordung des österreichischen Thronfolgers in Sarajevo am 28. Juni 1914 war so ein Anschlag. Die gezielte Tötung des iranischen Milizengenerals Kassem Soleimani in der Nacht vom 2. auf den 3. Januar 2020 in Bagdad ist ein weiteres Attentat dieser Art.“
Worüber soll Israel mit denen verhandeln, die seine Auslöschung fordern?
Wenn die Europäer zu Dialog, Verhandlungen und Gesprächen aufrufen, fällt auf, dass niemals gesagt wird, worüber eigentlich debattiert werden sollte. Wenn nun die eine Seite (Iran, Hisbollah oder Hamas) die Vernichtung, also den Tod der USA oder Israels betreibt und fordert, worüber sollte dann aus Sicht der Europäer am Verhandlungstisch palavert werden – erwarten sie etwa, dass die USA oder Israel zwecks De-Eskalation ihre eigene Auflösung oder Zerstörung anbieten sollten? Wie viel Terror soll es denn sein dürfen?
Die Israelis sind bekannt dafür, mit solchen „Extremisten“ nicht zu diskutieren. Dafür werden sie aus dem sicheren Abstand gemütlicher Redaktionsstuben gerne scharf kritisiert. Dass es tatsächlich Menschen oder Gruppierungen und vielleicht gar Staaten gibt, mit denen jegliche Diskussionen zu gewissen Tabu-Themen unmöglich oder sinnlos sind, wird dabei gerne übersehen. Wenn die Alliierten etwa Adolf Hitler „gezielt getötet“ hätten, würde das aus heutiger Sicht in manchen Redaktionen wohl auch als Verstoß gegen das Völkerrecht gewertet.