Suche
Close this search box.

Mit Liebe aus Istanbul

Bei einer Geschäftsreise trifft Igor Popov in Istanbul auf offenherzige Iraner. Der Moskauer stellt fest: Viele Iraner sind enttäuscht vom Islam. Doch trotz der religiösen Unterdrückung erkennen sie: Gott ist Liebe.
Blick auf die Sultan-Ahmed-Moschee, die Hauptmoschee Istanbuls

Im Advent, mit der nahenden Feststimmung mein Lieblingswintermonat, bot sich mir die Gelegenheit, für einen Betriebsausflug nach Istanbul zu reisen. Der Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk hat diese Stadt einmal so bemerkenswert mit „Stadt der Erinnerung“ beschrieben. Istanbul begrüßte uns mit warmem Wetter, und an den Winter erinnerten uns lediglich die wenigen Schneereste auf Häuserdächern und am Wegesrand.

Schmelztiegel am Bosporus

Istanbul liegt am Ufer des Bosporus, der Meerenge, die die Stadt in den asiatischen und den (größeren) europäischen Teil gliedert. Die Stadtgebiete sind mit Brücken verbunden. Der Bevölkerungszahl nach ist Istanbul die drittgrößte Stadt in Europa. Es war die Hauptstadt des Römischen, Byzantinischen, Lateinischen und des Osmanischen Reichs. Istanbul ist ein Schmelztiegel von Religionen, Nationen und Kulturen.
Wir wurden in dem Bezirk Schischli untergebracht, wo es viele alte Friedhöfe und Moscheen gibt. Frühmorgens wurde ich durch den Ruf des Muezzins geweckt. Es ist eine malerische Gegend. Kleine, enge Gassen winden sich zwischen den alten Häusern sehr unterschiedlicher Bauart hindurch. Aus dem Fenster flattern türkische Fahnen und Handtücher mit der Abbildung von Atatürk, dem türkischen Premierminister, der einst das Land in einen europäischen Staat verwandelt hat.

Mit Iranern auf Tuchfühlung

In unserer Arbeitsgruppe sind einige Iraner, unter ihnen auch eine Frau. Es sind sehr offene Leute. Die Iranerin sieht überhaupt nicht so aus, wie man es aus der Darstellung im Fernsehen gewöhnt ist. Genau deshalb schätze ich solche internationalen Begegnungen so sehr – man kann einfach zusammen sein und sich mit Leuten aus anderen Ländern unterhalten. „Face to face“, wie es auf Englisch so schön heißt, beginnt man ein bisschen zu begreifen, was für andere Leute „ein normales Leben“ bedeutet.
Nach der ersten Begeisterung fing ich bald an, mir die Stadt und ihre Bewohner genauer anzusehen. Istanbul ist eine sehr lebendige Stadt, in ihr brodelt das Leben. Die schmalen Gassen sind unentwegt mit Leben erfüllt. Junge Leute sind zusammen unterwegs und lautstark in irgendeine Diskussion verwickelt. Eine streng aussehende türkische Hausfrau mit fest gebundenem Kopftuch folgt ihnen und schüttelt dabei unzufrieden den Kopf. In den Gassen gibt es viele Buden, winzige Geschäfte und Dönerstände, um die herum es ganz schön dreckig ist.
Bei den Abendspaziergängen in der Stadt fand ich Gelegenheit, mich mit den Iranern zu unterhalten. Nach diesem Aufenthalt hatten wir uns richtig mit ihnen angefreundet. Sie erwiesen sich wirklich als sehr offene, freundliche und taktvolle Menschen, und das trotz dem, was sich in ihrer Heimat abspielt. Weil sie in ihrem Land durch ihr Regime so einem enormen Druck ausgesetzt sind, schätzte ich es umso mehr, dass sie sich mit uns offenbar so frei fühlten. Ab dem Alter von neun Jahren müssen die Mädchen ein Kopftuch tragen. Ohne dasselbe ist es Iranerinnen verboten, auf die Straße zu gehen. Wenn bekannt würde, dass sie es im Ausland nicht getragen haben, besteht das Risiko, dass sie nie wieder eine Arbeit finden oder ein bestehender Job gekündigt wird.

Enttäuscht vom Islam

Erstaunlich ist, dass die Iraner dem radikalen Islam gerade wegen dieses bestehenden Drucks zunehmend mit Angst und Unbehagen begegnen. Das iranische Volk lebt nun seit 28 Jahren unter dem Gesetz der Scharia. Den muslimischen Führern ist es jedoch nicht gelungen, die ökonomischen oder sozialen Probleme im Land zu lösen und der Welt einen islamischen Vorzeigestaat zu präsentieren.
Die Iraner sind vom Islam enttäuscht. Und diese Enttäuschung führte zu einer stetig wachsenden Gruppe von Iranern, die zum Christentum übergetreten sind. Laut der Organisation „International Antioch Ministries“ (IAM), die Verbindungen zur christlichen Kirche im Iran unterhält, gibt es in der muslimischen Republik Iran eine sprunghaft angestiegene Nachfrage nach den Evangelien und dem Alten Testament. Täglich gehen dort viele Anfragen von Christen ein, die auf der Suche nach der Heiligen Schrift auf Persisch sind. Die IAM erklärte, sie könne die wachsende Nachfrage nach Bibeln schon nicht mehr decken. Nach Angaben der Organisation hänge der gestiegene Bedarf mit der hohen Zahl an Neukonvertiten zusammen. Die Zahl der Christen im Iran wächst schnell; je nach Quelle beträgt sie in der muslimischen Republik heute zwischen 500.000 und einer Million Menschen (bei 70 Millionen Einwohnern).

Einig in Gottes Liebe

Mit den iranischen Freunden schlenderten wir durch das abendliche Istanbul und sahen uns dabei die Sehenswürdigkeiten an. Im Stadtteil Sultan Ahmed, den wir nach einer langen Fahrt mit der U-Bahn erreichten, konzentriert sich der größte Teil der Sehenswürdigkeiten der Stadt am Bosporus. Im Zentrum von Sultan Ahmed liegt der gleichnamige Platz, um den herum sich auch die berühmtesten historischen Baudenkmäler befinden: Die Hagia Sofia (Sofienkirche), die Blaue Moschee (Sultan-Ahmed-Moschee) und das Hippodrom. Insgesamt ist es bemerkenswert, welche Mengen von einzigartigen historischen Denkmälern auf so engem Raum in diesem Stadtteil zu finden sind – Kirchen, Moscheen, Museen, Springbrunnen und vieles mehr.
Durch die Unterhaltung mit den Iranern habe ich etwas sehr Grundlegendes verstanden. Egal, um welche Religion es sich handelt – wenn sie sich nur auf Angst stützt, wird sie früher oder später scheitern. Und ich stellte überrascht fest, was es heißt, diese einfachen und für mich so gewohnten Worte, „God is Love“, aus dem Mund meines iranischen Freundes zu hören. „Gott ist die Liebe.“ Wie außergewöhnlich das von jemandem klingt, der jahrelang gelehrt wurde, dass Gott grausam ist, dass er jedes falsche Handeln bestraft und dass man, um seine Liebe zu verdienen, zum Märtyrer werden muss. Als wir uns auf dem Flughafen Atatürk verabschiedeten, umarmte mich mein iranischer Freund und sagte „Gott ist Liebe, mein Bruder im Geist.“ Ich bekam einen Kloß im Hals und konnte die Tränen nicht zurückhalten.
Das ist die wichtigste Entdeckung, die ich auf dieser Reise gemacht habe. Uns trennt Ideologie und Politik, oft auch Angst und Unbehagen. Aber wenn die Liebe Gottes mein Herz berührt, werden die über so viele Jahre errichteten Mauern aus Hass und Angst eingerissen. Und dann beginne ich, den Ausdruck von Gottes Liebe in dem anderen zu schätzen, auch wenn er in einer anderen kulturellen Umgebung lebt, in einer anderen Sprache betet und die Welt mit anderen Augen betrachtet. Doch das Wichtigste ist, dass er diese Welt mit der Liebe Gottes sieht. Und deshalb kehrte ich mit der Liebe und Wärme aus Istanbul, die mir meine iranischen Freunde geschenkt hatten, in das verschneite Moskau zurück.

Bitte beachten Sie unsere Kommentar-Richtlinien

Schreiben Sie einen Kommentar

Israelnetz-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen