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Mit einem Comic durch Israel

Eine junge Amerikanerin reist nach Israel, um ihre jüdische Herkunft zu erforschen. Zehn Tage lang entdeckt sie mit ihrer Reisegruppe die verschiedenen Seiten des Landes und erfährt hautnah, wie komplex der Konflikt ist. Ihre Beobachtungen hat Sarah Glidden allerdings nicht in einem klassischen Reisebericht zusammengefasst, sondern in einem über 200 Seiten langen Comic.

Die New Yorkerin Sarah ist Jüdin, linksliberal, allgemein kritisch und ihre feste Meinung über Israelis hat sie auch schon. Daran wird auch der bevorstehende Zehn-Tage-Trip ins Heilige Land nichts ändern, davon ist sie überzeugt. Die junge Frau hat sich von ihrer Mutter zu dieser Reise überreden lassen. Juden weltweit können am sogenannten „Taglit-Birthright“-Programm kostenlos teilnehmen und den jüdischen Staat besuchen, Sarah ist ein Teil davon. In Tel Aviv angekommen, bestätigen sich die ersten Vorurteile. „Vorurteil Nr. 142: ‚Israelis rempeln.‘ Überprüft und bestätigt.“ Doch je länger sie im Land ist, desto schneller merkt sie, dass es in dieser Geschichte nicht einfach die Guten und die Bösen gibt.

Ein Reisebericht als Bildroman?

Der Leser des Buches „Israel verstehen – in 60 Tagen oder weniger“ wird von Glidden auf eine sehr persönliche Reise mitgenommen. Wer schon in Israel war, wird bei der Lektüre  auf den Zeichnungen viele Orte wiedererkennen. Die Klagemauer mit dem Tempelberg im Hintergrund, das Holocaustmuseum Yad Vashem oder die Jerusalemer Malcha Mall finden sich auf den unzähligen gemalten Bildern.

Das Buch ist nicht nur eine Reise durch das Land, sondern auch ein Streifzug durch die Geschichte Israels. Kurze Fakten dazu werden immer wieder eingebaut und zeigen den historischen Zusammenhang. Dabei schweift Sarah oft in Tagträumereien ab. An einer Stelle sieht sie den Geist des verstorbenen Staatsgründers David Ben-Gurion, der seine Sicht der Dinge erklärt. Auf den Golanhöhen werden Panzer mit israelischen Soldaten vor ihrem inneren Auge zu Dinosauriern, die um das Land kämpfen. Klingt kitschig überzogen? Ist es aber nicht. Glidden spielt die Möglichkeiten des graphischen Romans im Gegensatz zum klassischen Roman gelungen und unterhaltsam aus. Die persönlichen Gedanken oder Zweifel werden lebendig und nachvollziehbar. Als die Autorin beispielsweise mit sich selbst in einem inneren Konflikt steht, diskutiert sie die verschiedenen Ansichten in Form einer Gerichtsverhandlung in ihrer Fantasie aus.

„So viel Glaube auf einem Fleck“

Die religiösen Aspekte des Nahostkonflikts werden kaum angesprochen. Sarah selbst ist säkulare Jüdin und interessiert sich wenig für den jüdischen Glauben. Dennoch erkennt sie, dass die Gründe für den Konflikt religiöser Art sind. Nach und nach entsteht eine vorher nicht da gewesene Verbundenheit zum jüdischen Staat, der „Birthright-Glanz“, wie Sarahs Cousin Matt dieses Phänomen nennt.

„Wie ist es denn so in Israel?“, wird die Comicfigur Sarah am Ende des Buches gefragt. Sie ist sich irgendwann selbst nicht mehr sicher, was eigentlich ihr Standpunkt ist. Wer erwartet, eine klare Stellungnahme zum Nahostkonflikt zu bekommen, wird enttäuscht. Das ist aber auch nicht der Anspruch des Werks. Wichtig ist der Autorin zu erzählen, was sie erlebt hat und wie die Dinge auf sie gewirkt haben. Der Leser wird mit in das Geschehen hineingenommen und erlebt die Entwicklung von Sarah und anderen Figuren in der Novelle mit. Eine nach der anderen werden die anfangs so felsenfest scheinenden Überzeugungen angezweifelt und hinterfragt.

Die verschiedenen Begegnungen mit israelischen Soldaten, einer Gruppe Beduinen oder einem orthodoxen Juden zeigen auf, wie vielfältig die Ansichten sind und wie weit die Meinungen innerhalb Israels auseinander gehen. Vielleicht sind ja doch nicht alle Israelis palästinenserfeindlich? Gibt es möglicherweise doch nachvollziehbare Gründe, warum ein Land einen Grenzzaun baut, um sich zu schützen? Diese und viele andere kritische Fragen stellt sich Sarah. Durch ihre Überlegungen entsteht viel mehr als nur eine einseitige, eindeutige Antwort.

Der Comicroman ist eine gute Einführung in ein schwieriges Thema. Der Prozess, den die Hauptfigur Sarah mitmacht, weckt das Interesse und zeigt, dass im Nahostkonflikt nicht alles so einfach ist, wie viele glauben. „Wenn ich zurück bin, ist alles glasklar“, meinte Sarah noch vor der Reise. Am Ende bleiben jedoch mehr Fragen als Antworten. Eine endgültige Meinung muss sich der Leser selbst bilden, und der Weg dahin ist mit diesem Buch unterhaltsam, bewegend und informativ. Sowohl für Israelkenner als auch für Neulinge auf diesem Gebiet eine lohnenswerte Lektüre.

Sarah Glidden, Israel verstehen – In 60 Tagen oder weniger, Panini Comics, 24,95€, 212 Seiten.

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