FRANKFURT/MAIN (inn) – „Deutschland und Israel sind verbunden durch den Horror der Vergangenheit und die Versprechungen der Zukunft.“ Das hat der israelische Minister für strategische Angelegenheiten, Gilad Erdan, am Sonntag auf dem 5. Deutschen Israelkongress in Frankfurt am Main gesagt. Einerseits lobte der Likud-Politiker Deutschland als Vorbild, wenn es um den Kampf gegen die in seinen Augen antisemitische Boykottbewegung BDS (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen) geht. Andererseits kritisierte er die indirekte Finanzierung von BDS durch die Bundesregierung. Auch müsse Deutschland entschieden gegen den Iran einstehen.
„Beim Kampf gegen Hass und Antisemitismus sind wir verbunden“, sagte Erdan, der explizit die Stadt Frankfurt lobte, die ein „Anführer im Kampf gegen die so genannte BDS-Organisation“ sei. BDS stehe für einen neuen Antisemitismus, der den israelischen Staat kritisiere und zum Boykott von dessen Produkten aufrufe. „Sie haben die selben vergifteten Wurzeln und müssen mit der selben Intensität bekämpft werden“, forderte Erdan. „BDS-Extremisten wissen, dass es nicht mehr politisch korrekt ist, offen antisemitisch zu sein. Deswegen habe ich als Minister für strategische Angelegenheiten in diesem Fall drei Aufgaben: BDS zu demaskieren, Israel im Kampf gegen diese Bewegung aus der Defensive in die Offensive zu bringen und die Wahrheit über Israel zu verbreiten.“ BDS sei durch sein Agieren jetzt in der Verteidigung.
Deutschland sei ein Vorbild, wenn es um die Anerkennung der antisemitischen Ausrichtung der Bewegung gehe. Erdan zeigte sich positiv überrascht, dass deutsche Radiosender ein Konzert des prominenten BDS-Aktivisten Roger Waters nicht übertragen haben. „Als ich jung war, habe ich gerne seine Band Pink Floyd gehört. Heute mache ich das Radio aus, wenn deren Songs laufen, weil Antisemitismus nicht Teil unseres Lebens sein sollte“, erklärte Erdan.
Kritik an der deutschen Bundesregierung
Gleichzeitig kritisierte der israelische Minister die deutsche Bundesregierung, weil sie heute immer noch Nichtregierungsorganisation finanziere, die BDS unterstützen. Das gelte auch für die Europäische Union. Erdan habe der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini einen Bericht zum selben Thema geschickt. Sie habe sich gerechtfertigt, dass das EU-Geld nicht direkt an BDS gehen würde. „Wie die EU auch nie eine Organisation unterstützen würde, die Rassismus unterstützt, so sollte das auch für den Antisemitismus gelten.“ Erdan kritisierte auch den UN-Menschenrechtsrat, der mit deutschem Steuergeld finanziert werde und deren Resolutionen Israel dämonisierten.
Deutschland müsste sich laut Erdan auch gegen das „antisemitischste Land der Welt“, den Iran, erheben. Der iranische Präsident Hassan Rohani habe Israel erst am Samstag als „Krebsgeschwür“ bezeichnet. Das zeige, dass dieses Regime ernst genommen werden müsse. Es solle von Europa und Deutschland nicht als normales Land behandelt werden. Deutschland solle sich den amerikanischen Sanktionen gegen den Iran anschließen. „Deutschland ist eine Führungsnation in Europa. In diesem Punkt muss es größere Führungsqualität zeigen“, sagte Erdan.
Bürgermeister Becker: Jerusalem als Hauptstadt anerkennen
Der Frankfurter Bürgermeister und Stadtkämmerer Uwe Becker (CDU) bezeichnete in seiner Rede auf dem Kongress die Mainmetropole als „israelfreundlichste Stadt außerhalb Israels“. Aktuell feiere eine Straßenbahn mit dem Schriftzug, der auf Deutsch und Hebräisch geschrieben sei, die 40-jährige Städtepartnerschaft mit Tel Aviv. „Das ist ein klares Bekenntnis zu unserer Freundschaft“, sagte Becker. Aber in seinen Augen sollten Worten auch Taten folgen. Es sei zwar ein starkes Signal der Bundesregierung, für das Staatsrecht Israels einzutreten. „Aber von deutschem und europäischem Boden sollte die Antwort klar sein, was die Hauptstadt Israels ist. Es ist die Stadt, in der Israel seine Regierung hat und in der viele internationale Staatsgäste in der Knesset gesprochen haben – Jerusalem ist die Hauptstadt Israels“, forderte Becker unter anhaltendem Applaus. Am späteren Nachmittag erhielt er einen Ehrenpreis vom Kongress für seinen Einsatz zur Förderung der deutsch-israelischen Beziehungen und der deutsch-israelischen Städtepartnerschaften.
In einer Videobotschaft bedankte sich der israelische Staatspräsident Reuven Rivlin bei den Kongressteilnehmern für den Enthusiasmus und die Unterstützung Israels. Er wies gleichzeitig auf den wachsenden Antisemitismus in Europa und den USA hin. „Dafür darf es null Toleranz geben“, sagte Rivlin. Nur gemeinsam könne die Welt sich der Herausforderung stellen, diese Entwicklung zu bekämpfen.
Die Bundeskanzlerin Angela Merkel bedankte sich per Video für die über Jahrzehnte gewachsene Freundschaft zwischen Deutschland und Israel. Sie erwähnte den Besuch der deutschen Regierung in Israel zu Konsultationen und betonte den dort gefassten Beschluss, ein gemeinsames Jugendwerk zu gründen. Sie lobte Israel für seine gesellschaftliche Vielfalt. Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu zeigte sich in seiner Videobotschaft als Fan des Israelkongresses in Frankfurt, der dazu beigetragen habe, die Verbindung zwischen den beiden Ländern zu stärken. Diese engen Verbindungen seien ein Vorbild für die ganze Welt. „Die Beziehung zeigt angesichts der Geschichte Hoffnung, wie man Brücken zwischen Völkern bauen kann“, sagte Netanjahu.
Botschafter sieht gute Entwicklung mit arabischen Staaten
Der israelische Botschafter in Deutschland, Jeremy Issacharoff, sprach über die Sicherheitslage im Nahen Osten: „Der Iran sollte nie vergessen, dass Israel die Fähigkeiten besitzt, jeden neuen Holocaust zu verhindern.“ Er betonte die Friedensabkommen seines Landes mit Ägypten und Jordanien und die verbesserten diplomatischen Beziehungen mit den arabischen Nachbarn in der Region. Er nannte dabei speziell den Staatsbesuch von Premier Netanjahu im Oman. Issacharoff sieht Israel Schulter an Schulter mit Deutschland bei der Bekämpfung von Terror. Er lobte aber auch die Zusammenarbeit auf den Sektoren Sport, Wissenschaft, Kultur und Innovation.
Der hessische Kultusminister Ralph Alexander Lorz (CDU) freute sich über die „schöne und gute Tradition“, dass in Frankfurt am Main schon der 5. Deutsche Israelkongress stattfindet. In der heutigen Zeit sei das wichtig, weil der Antisemitismus aktuell leider sehr lebendig sei. „Dagegen hilft nur Aufklärung“, sagte Lorz, der das Zusammenbringen und Kennenlernen von jungen Menschen aus Deutschland und Israel für einen guten Lösungsansatz hält.
„Wichtiger ist, dass ihr nicht vergesst!“
Zu den zahlreichen Veranstaltungen des Sonntagnachmittags zählte auf dem Kongress auch eine Veranstaltung zu deutsch-israelischen Identitäten. Das Projekt „Zeugen der Zeitzeugen“ hatte den Israeli Schaja Harsit eingeladen, der an Bord des weltberühmten Flüchtlingsschiffs „Exodus“ im Jahr 1947 war. Die Moderatorin Hannah Schmidt begrüßte auch Pnina Kaufman, die von ihren Erfahrungen nach dem Zweiten Weltkrieg in Polen und Israel erzählte, sowie die in Berlin lebende jüdische Schriftstellerin Mirna Funk. Schaja berichtete von seinen Beobachtungen eines ansteigenden Antisemitismus in den USA und Europa. Deswegen sei es auch so wichtig, dass die Juden ihren eigenen Staat hätten. Bei Vorträgen vor deutschen Schülern im Bezug auf den Holocaust sagt er immer: „Ich werde nicht vergessen. Aber es ist wichtiger, dass ihr nicht vergesst!“
Die Podiumsteilnehmerin Kaufman wurde zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg in Polen geboren. Dort sei sie als „dreckige verfluchte Jüdin“ diskriminiert worden. Ihre Familie habe in großer Angst gelebt. Erst als sie 1957 nach Israel gekommen sei, habe sie sich als Mensch tatsächlich geboren gefühlt. „Ich wurde erzogen, selbstsicher und stolz auf meine Herkunft zu sein“, sagte Kaufman. Sie sei dort ein fröhlicher Mensch geworden. „Deswegen sage ich immer, dass Israel mich gerettet hat“, erklärte sie, die heute in Deutschland lebt.
Die Berliner Schriftstellerin Funk, die 2015 Alija nach Israel machte und dann nach Deutschland zurückkehrte, sieht die deutschen Nichtjuden in der Pflicht: „Der Antisemitismus ist in Deutschland nie weg gewesen. Es war nach dem Krieg verboten, über Ideen zu Juden zu sprechen. Der Antisemitismus existierte nur noch in den Wohnzimmern.“ Über die heutige Generation sagte sie: „Sie hat nicht mit ihren Großeltern gesprochen.“ Es gebe leere Stellen in den Biografien. Bei jüdischen Familien sei das anders. Deswegen empfiehlt sie der nichtjüdischen Generation, sich mit der eigenen Familiengeschichte auseinanderzusetzen. „Es gibt einen großen Spalt zwischen den politischen Reden und dem, was die Menschen wirklich denken“, sagte sie im Bezug auf den Antisemitismus.
Der 5. Deutsche Israelkongress besaß das Motto „Israel – Nation of Nations – Jerusalem – City of Nations“ (Israel – Nation der Nationen – Jerusalem – Stadt der Nationen). Organisiert hatte ihn der Verein „I Like Israel“. Die Direktoren Sacha Stawski und Maja Zehden hatten ein volles Programm mit vielen Parallelveranstaltungen zusammengestellt. Zu den Highlights gehörten der Auftritt der Miss Irak, Sarah Idan, die ihren Titel aberkannt bekam, nachdem sie ein Foto mit Miss Israel gemacht hatte. Der Arno-Lustiger-Ehrenpreis wurde an den Fußballklub Eintracht Frankfurt und an die Deutsche Sportjugend verliehen. Ein Raum des Kongresses war den Beziehungen zwischen Kurden und Israel gewidmet.
Weitere Berichte zum Israelkongress lesen Sie in den folgenden Tagen auf Israelnetz.com.
Von: Michael Müller