Mit acht weiteren Deutschen bin ich Anfang Oktober für zwei Wochen nach Israel geflogen. Vor meiner Abreise sagte mir jemand im Spaß: „Wenn dich eine Rakete trifft, dann spreche ich nicht mehr mit dir.“ Der Titel eines Filmes der Sächsischen Israelfreunde lautet „Ja, seid ihr denn von Sinnen?“. Auch das wurde ich gefragt. Meine Antwort war jeweils: „Besucht man nicht Freunde gerade dann, wenn es ihnen nicht gut geht?“
Bei unserer Ankunft am Flughafen in Tel Aviv begrüßten uns die Fotos der Geiseln. Überall war der Aufruf zu lesen: „Bringt sie jetzt nach Hause!“. Vom Flughafen fuhren wir durch das wunderschöne Land in den Süden.
Unser Ziel war der Kibbuz Nirim, etwa vier Kilometer vom Gazastreifen entfernt. Unterwegs fiel mir die Veränderung im Land auf. So waren viel weniger Autos in Richtung Süden unterwegs, als ich es von vorherigen Reisen kannte. Was wir in Nirim, so nah am Kampfgebiet Gaza vorhatten? Seit mehr als 20 Jahren hilft der Handwerkerdienst der Sächsischen Israelfreunde (SIF), Holocaustüberlebenden, die zum Teil in großer Armut leben, Wohnungen zu renovieren.
Über die Jahre haben die SIF viele Freunde in Israel gewonnen. In Sderot, nur wenige Kilometer vom Gazastreifen entfernt, haben sie eine Suppenküche gebaut. Und nun boten sie auch ihre Hilfe zum Aufräumen und Wiederaufbau in den durch Krieg und Massaker von Zerstörung gezeichneten Kibbuzim. Nachdem ein kleiner Trupp zur Vorbereitung vor Ort gewesen war, war unser Team nun das erste, das zur praktischen Hilfe nach Nirim kam.
Seit dem 7. Oktober vergangenen Jahres ist der Kibbuz militärisches Sperrgebiet und darf offiziell nicht bewohnt werden. Trotzdem leben von den einst 500 Menschen 24 im Kibbuz. Die 1.000 Kühe, zahlreiche Katzen und eine Papageienzucht wollen schließlich versorgt sein.
Bewegender Auftakt zum Arbeitseinsatz
Der 7. Oktober, ein Jahr nach dem furchtbaren Massaker, hätte unser erster Arbeitstag sein sollen. Stattdessen wurden wir zur Gedenkveranstaltung eingeladen. Auch Präsident Jizchak Herzog nahm teil. Die Gedenkveranstaltung hat mein Herz erschüttert. Weil es auf Englisch und Hebräisch war, habe ich von den Wortbeiträgen nicht viel verstanden. Aber in Wortbeiträgen, Liedern und Gebeten wurde der Toten gedacht.
Nie zuvor habe ich so viele traurige und weinende Menschen gesehen. Es schien, dass fast alle überlebenden Bewohner gekommen waren. Seit dem Terrorangriff leben sie in Be’er Scheva oder im nordisraelischen Naharia im Pflegeheim. Dort sind sie zur Zeit ständig Raketenalarmen ausgesetzt sind. Während ich schreibe, zeigt mir die AlarmApp auf meinem Smartphone an, dass gerade auch jetzt dort die Sirenen heulen.
Am 8. Oktober starteten wir die Arbeit. Zunächst wurden uns sechs Häuser zur Renovierung übergeben. Das Problem waren viele Risse, die sich durch die Wände zogen. Sie sind durch die Erschütterungen der Tunnelsprengungen und der Raketen aus Gaza entstanden.
So hieß es für uns, die Schäden zu begutachten, die Risse aufzustemmen und mit einem Leichtputz und einer Elastikbinde wieder zu verschließen. Das war viel Arbeit bei 30 Grad und viel Staub in der Luft, aber es war schön zu sehen, wie die Männer fleißig ans Werk gingen. Der technische Leiter des Kibbuz schrieb mir: „Ihr seid wirklich besondere Menschen. Ein Gewinn für uns hier.“
Die Arbeit hat Freude gemacht. Wir hatten gute Gemeinschaft, obwohl wir uns untereinander zuvor nicht kannten. Für mich als Teamleiter war es eine Herausforderung, mit Menschen zu arbeiten, von denen ich zuvor nicht wusste, welche Fähigkeiten sie haben. Ich kannte auch die Baustelle nicht, alles war sehr herausfordernd und spannend. Zum Abschluss glätteten wir die Wände noch mit Spachtelmasse und strichen sie neu.
In einem Haus wurde ich besonders erschüttert. Auf dem Tisch lag die Tageszeitung vom 6. Oktober 2023, an der Wand hing der Kalender vom Oktober letzten Jahres. Auf dem Wäschetrockner hing die Wäsche, als ob jemand die Zeit angehalten hätte. Die Leute sind nie zurückgekehrt in ihr Haus.
Später kam die Tochter des älteren Ehepaares vorbei. Sie holte ein paar Sachen ab und war erfreut darüber, dass wir das Haus ihrer Eltern wieder herrichten. Einige Bewohner haben signalisiert, dass sie zurückkommen wollen. Hoffen und beten wir, dass das bald geschieht. Israel braucht unser aller Gebet.
Neues Bewusstsein für die Bedeutung von Gottes Wort
Inmitten der Arbeitstage erlebten wir jüdische Feiertage: Jom Kippur und den Beginn des Laubhüttenfestes Sukkot. Es war besonders, diese Tage in dem Kibbuz zu erleben. Vor dem Krieg war der Kibbuz säkular geprägt und wir hatten den Eindruck, dass der große Versöhnungstag Jom Kippur in diesem Jahr ganz bewusst gefeiert wurde.
Wir waren bei den Gebeten dabei und als die Torarolle gezeigt wurde. Uns berührte, zu sehen, mit welcher Ehrfurcht ihr begegnet wurde. Ich habe mich gefragt, wie ich mit Gottes geschriebenem Wort umgehe. Meistens lese ich die Bibel auf dem Handy und erlebte hier nun die heilige Ehrfurcht vor dem geschriebenen Wort, der Tora, dem 1. bis 5. Buch Mose.
Mein Kopf ist noch voll von den Eindrücken; und die Gedanken springen hin und her: Dem Kriegslärm vom Gazastreifen, die Erschütterungen, die wir in Nirim gespürt haben, wovon die Häuser gerissen sind. Ich denke an die Berichte von einem Teil des Teams, der zeitgleich im Norden beim Aufbau der Laubhütte für das Pflegeheim von dem christlichen Verein „Zedakah“ half.
Dort schießt die Hisbollah anhaltend Hunderte Raketen und Drohnen nach Israel. Bei dem ständigen Alarm müssen alle in den Bunker rennen, die Heimbewohner werden seit einem Jahr im Bunker gepflegt. Ich bange und fühle mit Gottes Volk und dem verheißenen Land. Im Süden haben wir nur einen Alarm miterlebt, es war ein Fehlalarm.
Ich bete, dass Israel den gegen seine Existenz gerichteten Terrorismus aufhalten und in eine Zeit der Ruhe einkehren kann. Wirklichen ewigen Frieden wird es erst geben, wenn der Messias wiederkommt. Das wissen wir, das weiß aber auch sein Volk. Ein Rabbiner sagte zu mir: „Jetzt ist die Zeit des Messias“. Israel erwartet den Messias, auch wir warten auf den Messias. Ich empfinde, dass die Zeit reif ist, das Trennende zu überwinden, Israel die Hand zu reichen, um gemeinsam auf den Messias zu warten.
Von: Jens Bretschneider
Im Oktober war Jens Bretschneider zum zehnten Mal in Israel. Er ist Fachberater im Malergroßhandel und lebt in Halver bei Lüdenscheid. Er liebt Israel, weil er glaubt, dass es Gottes auserwähltes Land und Volk ist.
Der Text entstand unter Mitwirkung von Merle Hofer.
8 Antworten
Es gibt sie wirklich: Leute, die nicht nur dumm rumlabern, sondern aufstehen, anpacken, Gott die Ehre geben. Großartig!
Vielen Dank für diesen Bericht. Er ruft meine Erinnerung an das Pflegeheim Zedakah Shavei Zion im Norden Israels zurück. Der Sohn des Hausvaters, Urija Bayer (20), kam im Krieg ums Leben. Und wie schlimm muss es für die alten Menschen sein, 1 Jahr lang im Bunker zu verbringen. 2016 erzählten sie, dass der längste Aufenthalt im Bunker 36 Tage betrug.
Und wieder rückt das Gebet für die Soldaten, für die Geiseln und für alle bedrohten Menschen für heute an die erste Stelle.
Beim Lesen musste ich mit den Tränen kämpfen. Diese Menschen, Handwerker, die zupacken wo es nötig ist, machen Hoffnung. Solange es solche Menschen gibt, ist nicht alles verloren. Der Autor hat Recht, Freunde braucht man, wenn es einem nicht gut geht. Dieser Verein, von dem wir nicht zum ersten Mal hören, verdient grossen Respekt. Israel ist nicht allein, trotz allem.
Danke an Jens Bretschneider und Israelnetz.
Danke auch an alle Personen, die Israel praktisch unterstützen — sei es durch einen Handwerkseinsatz oder als Erntehelfer. Im Krieg nach Israel zu reisen, erfordert viel Mut. Man sieht es am Tourismussektor, der ist seit dem 7. Oktober 23 stark eingebrochen.
Danke für den aktuellen Bericht. Ihr lieben Handwerker der Sächsischen Israelfreunde seid nicht nur auf dem Papier Freunde Israels, sondern ihr reist dorthin, macht euch die Hände schmutzig, und ihr ermutigt Israelis durch euer Zupacken und uns, auch Israel erneut zu besuchen. In 10 Tagen ist es für uns wieder so weit, wir freuen uns schon und beten, daß unser Herr uns begleitet!
@ Rofenaschim. Behütete Reise wünschen wir.
Wir kommen im Dezember wieder. Shalom
Danke. Herzlichen Dank.
Auch ich werde Anfang 2025 wieder zum Handwerkerdienst nach Israel fahren.
Es ist traurig , immer wieder erfahren zu müssen, dass Holocaustüberlebende in Armut leben, und es ist eine Schande für den deutschen Staat, dass er sich nicht moralusch verpflichtet fühlt, sie bis zu deren Lebensende ( das ja immer näher rückt) so zu unterstützen, dass sie ihre letzten Jahre ohne materielle Not leben können. Die Nazi – Juristen z.B. , die gnadenlos die Nürnberger Gesetze anwandten, bekamen ihre dicken Pensionen dagegen bis zuletzt (und ihre sie überlebenden Familienmitglieder Witwen- und Waisenrenten.)