TEL AVIV (inn) – Acht Jahre verbrachte der israelische Künstler und Bildhauer Itzchak Belfer im Waisenhaus des berühmten polnischen Arztes Janusz Korczak. In der Nacht zum Samstag ist er im Alter von 98 Jahren in Tel Aviv gestorben, wie die Zeitung „Yediot Aharonot“ berichtet. Er war der letzte der noch lebenden „Korczak-Waisen“.
Itzchak Belfer wurde 1923 als drittes von sechs Kindern in Warschau geboren. Sein Vater war ein Händler. Er starb, als Itzchak vier Jahre alt war. Die Mutter zog mit den Kindern zu den Großeltern, wo die Familie in sehr beengten Verhältnissen lebte. Deshalb vertraute die Mutter ihren Sohn 1930 der Fürsorge von Korczak und dessen Assistentin Stefania Wilczyńska, genannt Stefa, an. Der Siebenjährige fasste sofort Vertrauen zu dem Arzt.
„Das Waisenhaus nannten wir ‚Zuhause‘, weil wir es dort so gut hatten“, erinnerte er sich Jahre später. „Ich hatte zu Hause 107 Freunde – 56 Mädchen und 51 Jungen. Das gemeinsame Leben war voller Farben und Formen. In der Schule waren wir wie eine Elite. Unsere Höflichkeit und unser Verhalten hob sich positiv von anderen Kindern ab, wir waren einfach glücklich. Korczak spielte mit uns und las uns aus seinen Büchern vor, bevor sie veröffentlicht wurden.“
Geförderte Leidenschaft
Schon früh entdeckte er seine Leidenschaft für die Bildende Kunst. Deshalb stellte ihm Stefa Farben, Pinsel, Papier und einen Raum zur Verfügung. Dort konnte er ohne Aufsicht malen, was ihm in den Sinn kam.
Mit 15 Jahren musste Belfer das Waisenhaus verlassen und kehrte zu seiner Familie zurück. Im Oktober 1939 besetzten die Nationalsozialisten Warschau. Er beschloss mit einem Kameraden, nach Russland zu fliehen und mit der dortigen Armee gegen die Deutschen zu kämpfen. Vorher baten sie Korczak um seinen Segen – und erhielten ihn von dem jüdischen Erzieher samt ein wenig Taschengeld.
Tatsächlich gelang Belfer, der nun 17 Jahre alt war, die Flucht. Erst verdiente er in einem Kohlebergwerk im Ural seinen Lebensunterhalt. Anfang 1941 begab er sich nach Taschkent, wo ihn die Rote Armee für die Kavallerie rekrutierte. Nachdem die Brigade aufgelöst war, arbeitete er in einer Fabrik.
Schockierend war 1946 die Rückkehr ins zerstörte Warschau: Seine Familie war ausgelöscht. Im ehemaligen jüdischen Waisenhaus stieß er auf ein christliches polnisches Internat. „Ich betrat das Haus, ging hinauf in die große Halle, und eine Frau, die offensichtlich dort arbeitete, kam mir entgegen“, erinnerte er sich als 90-Jähriger in einem Film, den das israelische Außenministerium mit englischen Untertiteln veröffentlicht hat. Von dieser Frau erfuhr er, dass Korczak, Stefa und die Kinder im Vernichtungslager Treblinka ermordet worden waren.
Lager auf Zypern: Künstlerische Fähigkeiten ausgebaut
Belfer schloss sich einer Gruppe jüdischer Flüchtlinge an, die mit dem Schiff „Af Al Pi Chen“ (Dennoch) ins damalige Mandatsgebiet Palästina gelangen wollten. Es wurde jedoch von der britischen Armee vor der Küste abgefangen. Die Insassen kamen in ein Lager auf Zypern. Dort konnte der angehende Künstler seine Fertigkeiten ausbauen: er lernte professionelles Schreiben und Bildhauen. Nach der Staatsgründung wanderte er 1948 nach Israel ein und kämpfte im Unabhängigkeitskrieg.
Im Jahr 1961 heiratete er eine Frau namens Rosa. Sie bekamen einen Sohn und nannten ihn Chaim. Nach einem Kunststudium war Belfer unter anderem künstlerischer Berater der Stadt Tel Aviv und arbeitete bis 2007 als Dozent. Im Mittelpunkt seiner eigenen Kunst standen Korczak, Stefa und die Kinder. Auch ein von ihm gefertigtes Denkmal in Günzburg an der Donau zeigt den Arzt, der jahrelang ohne Entgelt in dem Waisenhaus arbeitete und die Kinder bis in den Tod begleitete. Ein Buch, das Belfer geschrieben und illustriert hat, erschien unter dem deutschen Titel „Janusz Korczak. Kinder lieben und achten“.
Im Film des Außenministeriums, „The Last Korczak Boy“ (Der letzte Korczak-Junge), erzählt er mit leuchtenden Augen von dem Arzt und Pädagogen. Obwohl er nun schon so viel älter sei, als Korczak je werden konnte, höre er manchmal noch dessen Worte in seinem Ohr. „Und dann bin ich wieder Itzchakele.“ Ein besonderer Augenblick der Freude sei es für ihn gewesen, als sein Sohn Chaim ihm verkündete, dass er Erzieher werden wolle: „Ich denke, dass das die Verkörperung der Schönheit im Menschen ist.“
Von: eh