„Ich bin schlicht überwältigt von diesem Land und seinem Volk.“ Dies schrieb der amerikanische Musiker Leonard Bernstein im Oktober 1948 an seinen Mentor Serge Koussevitzky – und meinte damit den zu diesem Zeitpunkt nur wenige Monate alten jüdischen Staat. Seine Solidarität mit Israel bekundete er durch unzählige Konzerte im Land.
Bereits vor der Staatsgründung besuchte er im April 1947 das damalige britische Mandatsgebiet Palästina. Zwei Tage nach seiner Ankunft schrieb er an Koussevitzky: „Es gibt in diesem Volk eine Kraft, die eindrucksvoll ist. Sie werden nie zulassen, dass das Land von ihnen genommen wird; sie werden vorher sterben. Und das Land ist unbeschreiblich schön.“ Biographin Susan Gould merkt auf der Webseite „leonardbernstein.com“ an: „Er war zutiefst gerührt von den Juden Palästinas und ihrer Sehnsucht – und Entschlossenheit –, den unabhängigen jüdischen Staat zu haben, den ihnen die Briten 30 Jahre zuvor in der Balfour-Erklärung versprochen hatten.“
Von Gott als Assistent empfohlen
Leonard Bernstein wurde am 25. August 1918 in Lawrence im US-Bundesstaat Massachussetts in eine jüdisch-ukrainische Familie geboren. Mit zehn Jahren bekam er ein Klavier geschenkt, nahm in der Folge Unterricht und studierte schließlich in Harvard, dabei erhielt er Bestnoten. Das Musikstudium schloss er 1939 ab.
Seine Laufbahn begann vier Jahre später: „An Bernsteins 25. Geburtstag fragte ihn Artur Rodzinski, Chef der New Yorker Philharmoniker, ob er dessen Assistent werden wollte“, schreibt dazu Johannes Roßteuscher für den Bayrischen Rundfunk. „Gott habe ihm die Empfehlung gegeben. Bernstein fand an dieser Empfehlung nichts auszusetzen und sagte ja.“ Bereits am 14. November 1943 musste er bei einem Konzert in der Carnegie Hall für den erkrankten Bruno Walter einspringen. Chefdirigent Rodzinski war eingeschneit und konnte die Vertretung nicht selbst übernehmen.
In den folgenden Jahren und Jahrzehnten führte seine Karriere den Dirigenten, Pianisten und Komponisten in viele Länder der Welt. Doch der jüdische Staat nahm zeitlebens einen besonderen Platz in seinem Herzen ein. Kurz nach seinem Tod, am 17. Oktober 1990, gedachte die Knesset des einzigartigen Musikers. Der damalige israelische Kulturminister Sebulon Hammer sagte in jener Sitzung: „Bernstein dirigierte die größten und die berühmtesten Orchester der Welt, aber der Ort, an dem er sich zu Hause fühlte, war unser Philharmonieorchester. Er dirigierte es in Israel und im Ausland, und er erreichte mit ihm Höhepunkte, die das Publikum begeisterten.“
Konzerte in Zeiten des Krieges
Selbst der Unabhängigkeitskrieg hielt ihn nicht davon ab, in Israel aufzutreten. Am 19. November 1948 hatten die Vereinten Nationen die Israelis angewiesen, ihre Truppen aus der Wüstenhauptstadt Be’er Scheva abzuziehen. Die Soldaten blieben jedoch, weil sie die wichtige Stellung halten wollten.
Susan Gould schreibt dazu: „Gleich am nächsten Tag sahen sie sich einer unerwarteten Invasion ausgesetzt: 35 Mitglieder der Israelischen Philharmonie, geführt (durch die Wüste, wie von Mose, ebenso wie musikalisch) von Leonard Bernstein, trafen in einem gepanzerten Bus ein. Bernstein war, als ‚musikalischer Ratgeber‘ dessen, was das Palästina-Sinfonieorchester gewesen war, als er es im Vorjahr dirigiert hatte, zwei Monate lang mit dem Ensemble durch das vom Krieg verwüstete Land getourt. Er war gleichermaßen vor Langzeitbewohnern, neuen Siedlern und Soldaten aufgetreten – ein aufreibender Zeitplan mit 40 Konzerten in 60 Tagen.“
Der südafrikanische Autor Colin Legum schilderte die Situation so: „Die Arena des Amphitheaters ist voller plaudernder Soldaten – Männer und Frauen von der Armee der vordersten Front, Juden aus Palästina und dem britischen Commonwealth und den USA, Marokko, Irak, Afghanistan, China, dem Balkan, dem Baltikum und sogar einer aus Lappland.“ Die Ägypter indes verlegten Truppen von Jerusalem in den Negev, weil sie fälschlicherweise mit einem unmittelbar bevorstehenden israelischen Angriff rechneten. Der spätere Staatspräsident Chaim Weizmann hatte Verständnis für diese Fehlinterpretation: „Wer würde sich im Krieg auch die Zeit nehmen, ein Mozartkonzert anzuhören?“
In dieser Phase sei das Geräusch von Artilleriefeuer während eines Konzerts nicht ungewöhnlich gewesen, heißt es bei Gould weiter. In Rehovot etwa wurde Bernstein mitten in einer Aufführung des Klavierkonzerts von Ludvig van Beethoven von der Bühne gerufen, weil möglicherweise ein Luftangriff bevorstehe. Doch der Pianist ließ sich nicht beirren. Die Zeitung „Palestine Post“ merkte damals an: „Er kehrte zum Klavier zurück, als ob nichts gewesen wäre.“ Bernstein selbst kommentierte den Vorfall mit den Worten: „Ich habe noch nie so ein Adagio gespielt. Ich dachte, es wäre mein Schwanengesang.“
Konzerte zur Wiedervereinigung Jerusalems
Auch nach dem Sechs-Tage-Krieg demonstrierte Bernstein seine Solidarität mit Israel: Er dirigierte drei Konzerte, zwei in Jerusalem und eines in Tel Aviv. Das Konzert am 9. Juli 1967 im Amphitheater der Hebräischen Universität auf dem Skopusberg wertete Bürgermeister Teddy Kollek als „die kulturelle Eröffnung der vereinigten Stadt Jerusalem“. Der Erlös war nach seiner Aussage dafür bestimmt, „das geistige, kulturelle und körperliche Leben der Kinder Jerusalems zu bereichern, der arabischen und jüdischen Jungen und Mädchen“. Premierminister Levi Eschkol, Präsident Salman Schasar und Staatsgründer David Ben-Gurion waren zugegen.
Aus den drei Konzerten entstand die Schallplatte „Hatikvah on Mt. Scopus“. Weil der Wind die Akustik beeinträchtigte, wurde allerdings nur die israelische Nationalhymne vom Skopusberg für die Aufnahme verwendet. Die anderen Stücke stammten von den anderen Konzerten in geschlossenen Räumen.
Doch Bernstein trat in Israel nicht nur auf. Er würdigte auch gefallene israelische Soldaten mit einer Komposition. Sie trägt den Namen „Halil“ – das hebräische Wort für Flöte. Das Stück ist dem Geist von Jadin Tenenbaum und seinen gefallenen Brüdern gewidmet. Tenenbaum war ein israelischer Flötenstudent, der im Jom-Kippur-Krieg 1973 beim Suez-Kanal getötet wurde.
„Durchwoben von jüdischen musikalischen Motiven“
Die Aufnahme „The Sweet Psalmist of Israel“ (Der süße Psalmist Israels) von 1952 greift ebenso auf die jüdische Tradition zurück wie die Werke „Jeremia“ oder „Kaddish“ (das Gebet zum Gedenken an die Verstorbenen). Kulturminister Hammer sagte 1990 in seiner schon erwähnten Knessetrede: „Man kann sagen, dass all sein Werk durchwoben ist von jüdischen musikalischen Motiven, und man kann auch sagen, dass er seine Musik mehr als in technischer Weise mit dem Herzen gemacht hat – einem menschlichen Herzen und einem jüdischen Herzen.“ In seiner „Freude an der Musik“ habe er dargelegt, „dass ein Musikliebhaber ein Mensch des Glaubens ist, wie er es über Bach sagte, bei dem das Geheimnis seines Schaffens der reine Glaube war“.
Bernstein war seit 1951 mit der chilenischen Schauspielerin Felicia Montealegre verheiratet, die 1978 einem Krebsleiden erlag. Sie bekamen drei Kinder. Am 14. Oktober 1990 starb der vielseitige Musiker im Alter von 72 Jahren in seiner New Yorker Wohnung.
„Bei allen frohen und traurigen Ereignissen Israels zugegen“
Der damalige stellvertretende Knessetvorsitzende Mordechai Virschubski würdigte den Verstorbenen in der Parlamentssitzung drei Tage später mit den Worten: „Leonard Bernstein war vieles: Er war ein großer Komponist; er war ein großer Dirigent; er war ein großer Lehrer; er war ein großer Jude in seinem musikalischen Schaffen und ein Freund des Staates Israel und des jüdischen Volkes in Seele und Tat.“ Er sei ein Komponist gewesen, „der aus den Quellen des Judentums schöpfte“. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei er in Lagern der Displaced Persons aufgetreten, die die Scho’ah überlebt hatten.
Virschubski bilanzierte in der Gedenkstunde: „Er war bei allen frohen und traurigen Ereignissen des Staates Israel zugegen, er nahm Anteil und gab von seinem Herzen und von seinem Können. Es war nicht nur Freundschaft und Liebe zu Israel, zu seinem Volk, zu seinem Theater und seinen Musikern, sondern es war eine Selbstverständlichkeit, eine echte Sache, ja, die aus der Tiefe seines Herzens kam.“
Von: Elisabeth Hausen