Israelnetz: Herr Gross, was fasziniert Sie am Bauhaus-Erbe in Tel Aviv?
Micha Gross: Wir haben hier eine Stadt, die in diesem Stil gebaut ist. Weltweit sind sonst einzelne Gebäude oder höchstens Quartiere erhalten, aber nicht ein ganzes Stadtgewebe.
Tel Avivs „Weiße Stadt“ ist eine von neun UNESCO-Weltkulturerbe-Stätten in Israel. Was bringt eine solche Auszeichnung?
Es ist eine Prestige-Frage. Touristen bedeutet es etwas, wenn ein Ort von der UNESCO anerkannt wurde. Es gibt jedoch keine konkreten Unterstützungen finanzieller Art – zumindest hier nicht. Aber die Häuser sind auf diese Weise nicht nur national, sondern international geschützt. Das hilft der Denkmalpflege hier gegenüber Interessen von Investoren, welche nicht unbedingt am Denkmalschutz interessiert sind.
Etwa die Hälfte der rund 4.000 Häuser im Internationalen Stil steht unter Denkmalschutz. Doch viele Gebäude wirken heruntergekommen. Was wird für deren Erhalt getan?
Die Stadt hat eine umstrittene Politik, die allerdings von der UNESCO soweit abgesegnet wurde: Tel Aviv erlaubt es, auf die denkmalgeschützten Häuser bis zu drei Etagen zu bauen – unter der Bedingung, dass die gesamten Häuser durch den Verkauf der zusätzlichen Etagen renoviert werden. So wird das heute gemacht. Das funktioniert sehr gut. Aber das ist auch umstritten. Es gibt Leute, die finden es unerhört, dass man durch eine Veränderung am denkmalgeschützten Objekt den Denkmalschutz finanziert.
Inwieweit sehen Sie dieses Erbe durch das intensive Bauen gefährdet?
Es ist einerseits die einzige Möglichkeit, dass man das Bauhaus-Erbe erhält, weil sonst gar nichts gemacht werden würde. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr der Übernutzung des Stadtgebietes. Es leben einfach zu viele Menschen auf zu kleinem Raum, es sind viele Autos, ist viel Abwasser, viel Elektrizität. Die Verdichtung überstrapaziert die ganze Infrastruktur.
Was passiert mit den Häusern, die nicht unter Denkmalschutz stehen?
Die werden eigentlich besser gepflegt als die anderen, weil es einfacher ist, sie zu renovieren. Man braucht keine Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege, welche auch hier gefürchtet wird.
Es gibt weitere Gebäude im Bauhaus- und Internationalen Stil in Haifa, Jerusalem und in Kibbutzim. Bedauern Sie, dass der Fokus der Öffentlichkeit meist nur auf Tel Aviv liegt?
Wir vom Bauhaus Center haben ein Buch herausgegeben über Bauhaus in Jerusalem und eins über den modernen Stil in Haifa. Wir versuchen, den Scheinwerfer auch auf die anderen Städte zu richten. Es sind spannende Orte mit spannender Architektur. In Haifa ist das Problem, dass diese Häuser in einem ganz schlechten Zustand sind. Leider wird im Moment auch nicht viel gemacht. Und Jerusalem hat noch viel spektakulärere Orte aufzuweisen, sodass das Bauhaus ein wenig in den Schatten gerät.
Inwieweit beeinflusst die Existenz der Bauten und das Bauhaus-Jubiläum die deutsch-israelische Beziehung?
Ich glaube schon, dass dies genutzt wird, um diese Beziehungen zu festigen oder zu beleben. Die Feierlichkeiten zum 100. Bauhaus-Jubiläum in Deutschland schwappen nach Tel Aviv über. Wir haben zum Beispiel eine Ausstellung gemacht und ein Buch über zwei Architekten veröffentlicht, die im Rheinland gebaut haben und dann nach Palästina eingewandert sind. Die Ausstellung war im Bauhaus Center zu sehen, nun ist sie in Köln. Die Zusammenarbeit kann man wirklich begrüßen, auch die Unterstützung und das Interesse aus Deutschland. Aber man darf das auch nicht im falschen Licht sehen, als sei das ein Exportschlager deutscher Architektur gewesen. Sondern das war immerhin das Resultat des Nazi-Regimes, das nicht beabsichtigt hat, hier indirekt ein Weltkulturerbe aufzubauen. Das darf man nicht vergessen.
Welches Gebäude muss ein Besucher in Tel Aviv sehen, bevor er wieder abreist?
Den Dizengoff-Platz.
Dieser wurde zwei Jahre lang restauriert und vor wenigen Monaten wiedereröffnet. Warum sollte man ihn besuchen?
Weil er wirklich sehr schön die Architektur von damals zeigt, aber auch, wie sie lebt. Sie ist nicht in einem Museum, sondern in einer pulsierenden Stadt. Es ist wirklich eine Freude. Hunderte von Leuten spazieren auf diesem Rondell, sitzen auf den Bänken, die Kinder spielen herum. Das ist eine gelungene Revitalisierung eines öffentlichen Platzes. Es ist ein sehr schönes Beispiel mit den konkaven Fassaden rund um den Platz, die absolut modern wirken und doch schon 80 Jahre alt sind. Es ist auch aus ästhetischen Gründen empfehlenswert. Generell ist die Tel Aviver Altstadt, der Bereich der „Weißen Stadt“, eine interessante Kombination einer lebendigen Stadt, die unter Denkmalschutz steht.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Martina Blatt
Diesen Artikel finden Sie auch in der Ausgabe 3/2019 des Israelnetz Magazins, wo der Bauhaus-Stil in Israel Titelthema war. Sie können die Zeitschrift kostenlos und unverbindlich bestellen unter der Telefonnummer 06441/5667752, via E-Mail an info@israelnetz.com oder online. Gerne können Sie auch mehrere Exemplare zum Weitergeben oder Auslegen anfordern.