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Kulturelle Übersetzung – über Grenzen hinweg

Wie können Übersetzungsprobleme zwischen Deutschland und Israel überwunden werden? Mit dieser Frage befasste sich Anfang der Woche die Erste Konferenz der Deutsch-Israelischen Schulbuchkommission in Berlin. Die Tagung stand unter dem Titel: „Differenz übersetzen. Über die (Miss)Verständlichkeit von Konzepten im deutsch-israelischen Diskurs“.
Israel Bartal zeigte die Schwierigkeiten der Suche nach den israelischen Landesgrenzen auf – Moderatorin war Ute Wardenga.

Einen ersten Zwischenbericht über die Ergebnisse der deutschen Arbeitsgruppen gab Dirk Sadowski vom Georg-Eckert-Institut (GEI) in Braunschweig. Aufgrund der Fülle an Schulbüchern in Deutschland haben sich die Wissenschaftler auf fünf Bundesländer beschränkt: Nordrhein-Westfalen als das bevölkerungsreichste Land, Bayern wegen der größten Fläche, Sachsen, Niedersachsen sowie Berlin als Stadtstaat. Untersucht werden repräsentativ ausgewählte Lehrbücher der Fächer Geschichte, Geographie und Sozialkunde oder Politik.
Das erste Thema, mit dem sich die Kommission befasst, ist das Israelbild in Deutschland und das Deutschlandbild in Israel. Später will sie die Darstellung der Schoah und die Globalisierung behandeln. Neben dem GEI ist das Tel Aviver Institut „Mofet“ bei den Untersuchungen federführend. Die bisherige Forschung zeigt, dass in Geschichte und Politik der Nahostkonflikt der häufigste Kontext für eine Erwähnung Israels ist, es in Geographie hingegen um den Naturraum oder Ansätze für eine Lösung naturbedingter Probleme durch technisches Knowhow geht. Wo der Konflikt thematisiert wird, fehle der Raum, um die Komplexität darzustellen.
Die in den Schulbüchern abgebildeten Fotos seien meist ähnlich emotional wie in den Massenmedien, eine kritische Analyse bleibe aus, erläuterte Sadowski. Gewalt von israelischer Seite werde durch schwerbewaffnete Soldaten oder die Sperranlage dargestellt, auf palästinensischer Seite seien hingegen steinewerfende Kinder zu sehen. Die Mehrdimensionalität komme zu kurz.
Die Zwischenergebnisse der israelischen Arbeitsgruppen stellte Arie Kizel von der Universität Haifa bei der Tagung im Auswärtigen Amt vor. Demnach nehmen beim Thema Deutschland in den Lehrbüchern der Zweite Weltkrieg, der Nationalsozialismus und die Schoah einen weiten Raum ein. Diese Aspekte würden ausführlich behandelt und seien zentral. Deutschland heute und auch vor dem Dritten Reich erhalte hingegen eine positive Bewertung. So stellten Schulbuchautoren die Bundesrepublik als stabile Demokratie mit einem hohen Maß an Rede- und Meinungsfreiheit dar. In Erdkunde werde auf Toleranz und Pluralismus im neuen Deutschland verwiesen.
Unterstützung erhält die Kommission vom Auswärtigen Amt und vom israelischen Erziehungsministerium. Der Leiter der Kultur- und Kommunikationsabteilung im Auswäritgen Amt, Hans-Ulrich Seidt, sagte bei der Konferenz, Schulbücher könnten Vorurteile fördern oder auch abbauen. Der Ende 2011 veröffentlichte Antisemitismusbericht des Deutschen Bundestages zeige eine gefährliche Verquickung von anti-israelischen und antisemitischen Motiven auf. Auch deshalb sei es nötig, Lehrbücher genau anzuschauen.
Der Gesandte der Israelischen Botschaft in Berlin, Emmanuel Nachschon, thematisierte die Problematik, dass in wenigen Jahren keine Zeitzeugen der Schoah mehr leben würden. Deshalb stelle sich die Frage: „Wie können wir die Erinnerung für die Jugend übersetzen?“ Seiner Ansicht nach gibt es nicht genügend junge Deutsche, die Hebräisch sprechen und nicht genügend Israelis, die Deutsch sprechen. Es wäre ein sehr wichtiger Beitrag für den Dialog, wenn nicht nur die Sprachen, sondern auch die Kulturen in den jeweiligen Schulen gelehrt würden.
Sensibel sein für nicht Übersetzbares
Mit dem grundsätzlichen Problem der Übersetzung befasste sich die Direktorin des GEI, Simone Lässig. Übersetzung sei auf den ersten Blick etwas Unspektakuläres und Selbstverständliches. Ihre Bedeutung werde erst deutlich, wenn sie nicht vorhanden sei. Die erste Schulbuchkommission Anfang der 1980er Jahre habe dessen noch nicht bedurft, weil die Mitarbeiter beide Sprache beherrscht hätten. Doch heute seien Dolmetscher und Übersetzer ständige Begleiter der Kommission. Wenn eigene Worte in völlig fremde Sprachen und kulturelle Kontexte übertragen würden, empfänden Menschen oft eine Unsicherheit, ja fast einen Kontrollverlust.
Das Schulbuch sei ein frühes Massenmedium, fügte Lässig hinzu. „Es gilt als weithin objektiv, akkurat und relevant.“ Deshalb sei es brisant. Lehrbücher seien sowohl Abbilder als auch Reproduzenten von gesellschaftlicher Wirklichkeit. Der Lehrplan erfülle einen Übersetzungseffekt. Auf jeden Fall müssten Menschen sensibel sein für schwer oder nicht Übersetzbares.
Der Ethnologe Richard Rottenburg aus Halle wiederum sprach sich dafür aus, das Übersetzen in einen größeren geographischen Zusammenhang zu stellen. Die Kultur wandere dabei nicht mit, sondern Elemente, die in neuen Kontexten neue Verknüpfungen eingingen. Dadurch verändere sich der Kontext, der die neue Idee aufnehme. Die deutsch-jüdische Erfahrung bei der Aufarbeitung des Holocaust könne anderen als Deutungsfolie dienen. Dies geschehe etwa in Ruanda nach dem Massenmord an den Tutsi durch die Hutus. Hier sei der Dialog im kleineren Rahmen sinnvoll.
„Begründung für Staat Israel wird schwächer“
Über die Probleme der Legitimierung des Staates Israel sprach der Historiker Dan Diner. Dass der Nahostkonflikt in der Weltöffentlichkeit eine so große Aufmerksamkeit hat, führte er auf eine Empathie mit den Palästinensern zurück. Wenn allerdings keine Juden, sondern Araber sich an Palästinensern vergingen, sinke das Interesse deutlich.
Der jüdische Staat legitimiert sich aus seiner Sicht vor allem durch zwei Aspekte: den Ansatz „Gott hat uns das Land versprochen“ und den Holocaust. Allerdings sei es aus Sicht der Juden „unser Gott, nicht ihrer“, also könnten dies Außenstehende nicht nachvollziehen. Bei der Schoah wiederum stelle sich die Frage, was denn die Araber damit zu tun hätten. Angemessener wäre es gewesen, wenn Deutschland den Juden ein Stück Land überlassen hätte. Die Begründung werde zunehmend schwächer. Für die kollektive Erinnerung der Inder etwa seien ganz andere Aspekte des Zweiten Weltkrieges entscheidend, wie der antikoloniale Aufstand im August 1942.
Diner merkte außerdem an, dass die Juden im Mandatsgebiet Palästina – der Jischuv – nicht vor der NS-Mordmaschinerie bewahrt worden seien, weil sie im Land der Vorfahren lebten. Dies hätten sie vielmehr der Tatsache zu verdanken, dass Montgomory Rommel bei El-Alamein aufgehalten habe. Die britische Politik habe den Juden Palästinas das Schicksal der Juden Europas erspart, sagte der Professor der Hebräischen Universität Jerusalem und des Simon-Dubnow-Institutes in Leipzig.
„Apokalyptische Gefahr der hebräischen Sprache“
Mit der Frage von Raum und Grenzen befassten sich der Jerusalemer Historiker Israel Bartal und der Berliner Professor für Didaktik der Geographie, Hans-Dietrich Schultz. Bartal referierte über die Suche nach den Grenzen des Landes Israel. Die Bibel enthalte mindestens drei unterschiedliche Verläufe. Juden hätten auch deshalb nach einer Antwort gesucht, weil bestimmte biblische Gebote nur innerhalb der Landesgrenzen gälten.
Der israelische Wissenschaftler zitierte aus einem Brief des Religionshistorikers Gerschom Scholem an den Philosophen Franz Rosenzweig aus dem Jahr 1926. Darin warnte Scholem vor der apokalyptischen Gefahr aus dem Unternehmen der Zionisten, das Hebräische zur Sprache des von ihnen angestrebten Staates zu machen. Erst in den 1980er Jahren wurde dieser Text „Bekenntnis über unsere Sprache“ bekannt. Nach der Veröffentlichung sei die Reaktion in Israel gewesen: „Scholem hatte Recht.“ Israel sei eine moderne Gesellschaft, die eine Sprache verwende, welche manche Staatsbürger mit Göttlichem verbänden.
Der Geograph Schultz ging auf die Kriterien ein, die im Laufe der Geschichte als Zeichen für Staatsgrenzen gegolten hätten. So seien Wissenschaftler davon ausgegangen, dass sich Konflikte regeln ließen, wenn alle Völker die Wasserscheide als natürliche Grenze akzeptierten. Deutschland jedoch erfülle überhaupt keine derartigen Kriterien. Über Palästina hätten Geographen die Meinung vertreten, es sei durch natürliche Begebenheiten von den Nachbarvölkern abgeschottet. Ein Atlas aus dem Jahr 1926 hielt Syrien als Oberbegriff fest, der Palästina mit einschließe.
Rechtsstaat, Nationalbewusstsein und Integration
Ein weiteres Thema der Tagung war die Beziehung zwischen Rechtsstaat und Demokratie. Der Vizepräsident des Demokratieinstitutes in Israel, Mordechai Kremnitzer, teilte mit, dass Israelis den Begriff „Rechtsstaat“ nicht verwendeten. Sie handelten nach dem anglo-amerikanischen Prinzip „Rule of Law“. Das Recht auf Menschenwürde habe in beiden Staaten einen hohen Stellenwert. In Deutschland sei es allerdings ein unveräußerliches Recht, in Israel ein relatives Recht. Eine Mehrheit der Israelis messe dem jüdischen Charakter des Staates eine größere Bedeutung bei als der Demokratie.
Bruno Schoch von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt am Main skizzierte den Unterschied zwischen Rechtsstaat und Demokratie. So sei das Kaiserreich unter Otto von Bismarck ein Rechtsstaat gewesen, aber gewiss keine Demokratie. Heute spiele das Bundesverfassungsgericht in Deutschland eine zentrale Rolle. Es treffe einen ungewöhnlich hohen Anteil an Entscheidungen. Die Debatte über die Frage, ob die DDR ein Unrechtsstaat gewesen sei, habe einen „merkwürdig hohen Stellenwert“ gehabt.
Der israelische Historiker Moshe Zimmermann, der in der ersten Schulbuchkommission mitgewirkt hatte, bemängelte eine zu große Konzentration auf Fakten. Die Frage, wer verantwortlich sei für den Inhalt der Lehrbücher, werde zu wenig gestellt. Israel warf er vor, eine „völkische Ideologie“ zu fördern. Deshalb sei es gut, dass eine hebräische Übersetzung dafür gefunden worden sei. Die Wurzeln des jüdischen Nationalismus lägen in Deutschland. Seit dem 19. Jahrhundert seien die deutschen Begriffe übersetzt worden. Im Gegensatz zu Deutschland distanziere sich Israel nicht vom Nationalismus. Im Vordergrund stehe hier die nationale Romantik. National-religiöse Menschen und Siedler hätten heute die Rolle eingenommen, die zunächst in Israel geborene Juden und Kibbutzniks innehatten. Nichtjuden hätten einen anderen Status als Juden, Israel sei nicht „Staat aller seiner Bürger“.
Der Sozialhistoriker Heinz-Gerhard Haupt von der Universität Bielefeld referierte über den Stellenwert des Nationalismus in der heutigen Bundesrepublik. Es gehe nicht mehr um die nationale Identität, sondern um die Pluralität vieler Identitäten. Der Nationalismus als gesellschaftlicher Hoffnungsträger verliere an Bedeutung. Die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht habe eine Institution in ihrer Wirkung begrenzt, die vorher die Loyalität geprägt habe.
Gedanken zur Staatsbürgerschaft äußerten Dieter Gosewinkel von der Freien Universität Berlin und die Historikerin Yfaat Weiss aus Jerusalem. Gosewinkel verwies darauf, dass in Theodor Herzls Entwürfen das Staatsvolk allein aus Juden hätte bestehen sollen. Im Diskurs über Erziehung und Integration wurde der Dialog zwischen der multiethnischen Gemeinschaft in Israel und der multikulturellen Gemeinschaft in Deutschland deutlich. Der Jerusalemer Anthropologe Zvi Bekerman und der Frankfurter Erziehungswissenschaftler Frank-Olaf Radtke lieferten hierzu die Denkanstöße.
Die Teilnehmer der Konferenz kamen zu dem Schluss, dass die vorhandenen Differenzen deutlich sichtbar seien. Wichtig sei es, deshalb oder dennoch am Paradigma der kulturellen Übersetzung festzuhalten. Die Deutsch-Israelische Schulbuchkommission will ihre Empfehlungen im Jahr 2015 veröffentlichen. Bis dahin dürfte ihr noch ein langer Weg des Übersetzens und der Suche nach Verständnis bevorstehen.

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