Siedlungen gelten heute als Friedenshindernis und stehen im Fokus internationaler Politik. Selbst ein Schritt im Genehmigungsverfahren für Siedlungsbauten vermag es, die amerikanische Regierung
auf den Plan zu rufen. „Arte“ zeigt am Dienstag um 20.15 Uhr eine sehenswerte Dokumentation in zwei etwa 50-minütigen Teilen, die der Siedlungsbewegung nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 nachspürt; am Mittwoch zeigt „Das Erste“ eine 90-minütige Fassung. Der Film des israelischen Regisseurs Schimon Dotan besticht durch seine Sammlung an Zeitzeugen und historischen Aufnahmen, an einzelnen Stellen fehlt jedoch eine gelungene Moderation.
Die Dokumentation, ausgezeichnet mit dem Sonderpreis der Jury beim „Sundance Filmfestival“, verfährt in weiten Teilen genau so, wie man es sich wünscht: Sie lässt die Beteiligten selbst zu Wort kommen. Religiöse Siedler erklären ihre Liebe zum Land Israel, sehen in der Besiedelung eine Berufung, einige schwärmen gar von einem Israel vom Nil bis zum Euphrat; so seien die Grenzen in der Bibel beschrieben. Das andere Meinungsspektrum findet auch Gehör, etwa durch den Jerusalemer Philosophen Mosche Halbertal, der einige Siedlungsgemeinschaften auch schon mal als „völkische Bewegung“ bezeichnet.
Letztlich macht die Dokumentation deutlich, dass es ganz unterschiedliche Siedler gibt: Eine Mehrheit von 80 Prozent „siedelt“ allein deshalb, weil das Leben auf diese Weise billiger ist als etwa in Jerusalem, andere tun dies aus religiöser Motivation heraus, wieder andere gestehen vor laufender Kamera ein, rassistisch zu sein. Spannend sind die Szenen, in denen Siedler spontan über ihren Weg ins Grübeln kommen. Könnte man heute einen Palästinenser aus dem Nachbarort einladen? Kein Problem, sagen die einen; zumindest ins Restaurant außerhalb der Ortschaft, geben die anderen zu bedenken. „Vielleicht ist es an der Zeit, die Probleme zu lösen.“ Einig sind sie sich darin, dass eine Einladung in ein palästinensisches Dorf undenkbar ist.
Ungenannte Faktoren
Der Regisseur Dotan selbst steht der Siedlungsbewegung skeptisch gegenüber. In der Dokumentation geht es ihm vorrangig um die Extremisten unter ihnen, schreibt er im Begleittext. „Denn obwohl es hiervon nicht gerade viele gibt, sind die Auswirkungen ihrer Handlungen unverhältnismäßig groß.“ Diese Linie prägt die Dokumentation und ist eine ihrer Schwächen. Zu sehen ist das an der merkwürdigen Frage des Hintergrundsprechers: „Wohin führen (die Siedler) ihr Volk? Zu einer göttlichen Erlösung, wie sie behaupten, oder in einen Apartheidsstaat?“ Offen bleibt, warum es bei 80 Prozent unpolitischen Siedlern um diese Alternative gehen muss.
Die Linie des Regisseurs zeigt sich auch in den Fakten, die unerwähnt bleiben, wie etwa die Khartum-Resolution der arabischen Staaten von 1967, die bekannt ist für ihre drei „Neins“: Nein zum Frieden mit Israel, nein zur Anerkennung Israels, nein zu Verhandlungen. Erst im Jahr 2002 nahm die Arabische Liga mit ihrer „Friedensinitiative“ davon Abstand. Unerwähnt bleibt auch der „Stufenplan“ der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) von 1974, in dem die Vernichtung Israels als Ziel ausgegeben ist. Selbst die Errichtung eines palästinensischen Staates im Westjordanland ist demzufolge kein Selbstzweck, sondern dient der Vernichtung Israels, um dann die arabische Einheit herzustellen.
Die Nennung dieser Faktoren würde für mehr Verständnis dafür sorgen, unter welchen Bedingungen Israel seit 1967 agierte – etwa bei der Umsetzung des Infrastrukturplans von Ariel Scharon 1977. Dieser sollte, in den Worten des früheren israelischen Verhandlungsführers Schaul Arieli, einen „unabhängigen Palästinenserstaat verhindern“. Ohne die Information über die genannten palästinensischen Vorstöße sieht es so aus, als ob die Israelis den Palästinensern schlicht keinen Staat gönnen wollten.
Einseitige Sicht
Unerwähnt bleibt auch die „Vorgeschichte“ der Siedlungen im Westjordanland: Jüdische „Siedlungen“ – also jüdische Ortschaften, die lange vor der Errichtung des Staates Israel gegründet wurden – waren ständig Angriffsziel der Araber und Beduinen. Kämpfen mussten die Juden dann auch im Unabhängigkeitskrieg bis 1949 – ohne dass es eine einzige jüdische Siedlung im Westjordanland gab. Mit anderen Worten: Es ist nicht so, dass vor der Siedlungsbewegung, die 1967 begann, Frieden geherrscht hätte. Entsprechend fragwürdig ist die Einordnung des Journalisten Akiva Eldar, der die 400.000 Siedler als ein „Monster“ bezeichnet, das dem Frieden im Weg stehe.
Weiter ist zu bemängeln, dass die Siedlungen durchweg als illegal bezeichnet werden. Das entspricht zwar der breiten Auffassung der Weltgemeinschaft, ist aber nur eine Sichtweise. Der sogenannte Levy-Report sieht die Siedlungen als legal an, weil sie nicht auf Land gebaut sind, das zuvor einem anderen Staat gehört hat. Dieser Report gilt als juristisch unstrittig; eine Erwähnung in der Dokumentation wäre wichtig gewesen.
Doch bei allen Mängeln bietet die Dokumentation einen faszinierenden Einblick in eine „ganz spezielle Welt“, wie es an einer Stelle heißt. Die Siedler lassen manchmal Sätze los, die der Zuschauer erstmal schlucken muss. Aber genau das ist ein Anlass, sich über die Dokumentation hinaus eingehender mit dem Siedlungsphänomen zu befassen. Der Leitsatz dafür fällt auch in dem Film selbst, sie kommt aus dem Mund eines Siedlers: „Es ist (die Angst der Araber), die die Dynamik des Prozesses vorantreibt. Sie beginnen Kriege. (…) Sie nötigen uns, Gebiete zu besetzen, die wir nicht besetzen wollten. (…) Das ist die Dynamik einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Durch ihren Widerstand treiben sie die israelische Expansion nur voran.“ (df)
„Die Siedler der Westbank“, 27. September, 20.15 Uhr auf „Arte“ (Film in zwei Teilen) und am 28. September, 23.45 Uhr, „Das Erste“ (90-minütige Fassung)