PARIS (inn) – Der Streitfall ist auch nach sechs Jahren ungeklärt: ein Filmbeitrag des französischen Senders "France 2" zeigte im Jahr 2000, wie der zwölfjährige Mohammed al-Dura offenbar von israelischen Soldaten erschossen wurde. Nun wurde der erste von drei Kritikern wegen Verleumdung verurteilt, weil er behauptete, der Bericht sei gefälscht.
Die Bilder wurden damals in der ganzen Welt ausgestrahlt: der zwölfjährige Mohammed al-Dura kauerte hinter seinem Vater, der wiederum vor einem Fass kniete. Israelische Soldaten schienen auf die beiden zu schießen. Schließlich sackte Al-Dura tot in sich zusammen. Die Aufnahmen stammten von Talal Abu Rahma, einem palästinensischen Kameramann, der für "France 2" arbeitete. Der Israel-Korrespondent des Senders, Charles Enderlin, strahlte 55 Sekunden des insgesamt 27 Minuten umfassenden Materials aus. Der Journalist, der selbst nicht vor Ort war, berichtete dazu im "Journal de 20 heures", dass die israelische Armee den Jungen mutwillig erschossen habe.
Der Vorfall ereignete sich am 30. September 2000, zwei Tage nach dem Beginn der so genannten "Al-Aksa-Intifada". Er löste gewaltsame Proteste und weltweit Empörung aus. Al-Dura wurde zum Mythos der palästinensischen Intifada, sein Bild wurde auf Briefmarken gedruckt, und Straßen wurden nach ihm benannt.
Die israelische Armee entschuldigte sich zunächst für den Tod des Jungen. Nachforschungen ergaben jedoch kurz darauf, dass der Junge auch durch palästinensische Munition getroffen worden sein könnte. Die deutsche Journalistin Esther Schapira stellte in der Dokumentation "Drei Kugeln und ein totes Kind – Wer erschoss Mohammed al-Dura?“ die Argumente für diese These dar. Viele Indizien deuteten demnach darauf hin, dass palästinensische Kugeln das Kind trafen.
In Frankreich kritisierte die Agentur "Media Reportings" den Bericht von "France 2". Der Chef der Medienbeobachtergruppe (www.m-r.fr), Philippe Karsenty, warf Enderlin vor, den Fall Al-Dura falsch dargestellt zu haben. Die Journalisten forderten, dass die Chefin der Nachrichtenabteilung von "France 2", Arlette Chabot, und der Autor des umstrittenen Berichtes, Enderlin, ihren Job quittieren, weil sie nicht eingestehen wollten, dass sie einen Fehler gemacht hatten und ihren Beitrag nicht richtig stellten.
Karsenty hatte die 27 restlichen Minuten des Filmmaterials von dem annähernd eine Stunde dauernden Schusswechsel gesichtet und stieß wie Schapira auf viele Ungereimtheiten und Widersprüche. Es sei nicht zu sehen, wer die Schüsse auf den palästinensischen Jungen und seinen Vater abgegeben hatte. Auch Blut sei nirgends zu sehen, obwohl die beiden Palästinenser angeblich zwanzig Minuten lang mit offenen Wunden an ihrem Ort verharrten. Später gab es keine Autopsie der Leiche. Der Kameramann, Abu Rahma, habe die Bilder CNN angeboten, doch die Amerikaner hätten sie abgelehnt, weil er nicht nachweisen konnte, dass sie echt seien, so Karsenty.
"France 2" und Enderlin klagten den 40-jährigen Karsenty wegen Verleumdung an. Der Prozess begann vor einem Monat. Die Staatsanwaltschaft beantragte einen Freispruch für Karsenty, denn dieser habe eine ausführliche Recherche zum Bericht von "France 2" angestellt und seine Argumente gut begründen können. Doch vergangene Woche verurteilte das Gericht den Journalisten wegen Verleumdung von "France 2" und seines Israel-Korrespondenten. Karsenty muss beiden eine symbolische Wiedergutmachung von je einem Euro zahlen sowie 1.000 Euro Strafe und die Prozesskosten in Höhe von 3.000 Euro.
"Dies ist ein schwarzer Tag für Frankreich", sagte Karsenty nach dem Urteil gegenüber Journalisten. "Das französische Rechtssystem hat einen falschen Bericht für richtig befunden. Wir werden sofort in Berufung gehen. Das Urteil überrascht mich wirklich."
Dies war der erste von drei Prozessen, die in dem Fall verhandelt werden. Das Gericht wird sich noch mit weiteren zwei Verleumdungsklagen von Enderlin und "France 2" gegen französische Juden befassen, die den Fernsehsender wegen seiner antiisraelischen Berichte kritisiert hatten. Der zweite Prozess wird in Kürze gegen Pierre Lur geführt werden; Lur hatte am 2. Oktober 2002 eine Demonstration gegen den Sender organisiert, nachdem die Dokumentation von Esther Schapira ausgestrahlt worden war.
Karsenty kritisierte, dass er während des Prozesses keine Unterstützung aus Israel bekommen habe: "Von Anfang an hat uns keine israelische Behörde kontaktiert. Die israelischen Politiker sind zu beschäftigt mit ihren Korruptionsaffären, als dass sie sich um das Ansehen Israels kümmern könnten."