MÜNCHEN (inn) – Der Technologiekonzern Siemens steht wegen einer Klausel in einem Vertrag mit der türkischen Staatsbahn TCDD in der Kritik. Darin geht es um eine Israelboykotterklärung, wie Recherchen des SWR ergaben. Das deutsche Unternehmen bestreitet, diese unterzeichnet zu haben.
Hintergrund ist eine Ausschreibung der türkischen Staatsbahn, die ein Konsortium aus der Siemens AG und seiner türkischen Tochter Siemens AS 2018 gewann. Es ging um die Lieferung von zehn Hochgeschwindigkeitszügen. Das Auftragsvolumen geben die Journalisten Ahmet Şenyurt und Sami Menteş vom SWR in ihrem Beitrag mit 341 Millionen Euro an. Die Anzahl sei später auf zwölf Züge erhöht worden.
Dem SWR liegen interne Firmenunterlagen vor. Demnach wollte die Staatsbahn für acht Züge ein Darlehen bei der „Islamic Development Bank“ (IsDB) aufnehmen. Sie hat ihren Hauptsitz im saudischen Dschidda und fordert für solche Geschäfte eine eidesstattliche Erklärung, dass Israel nicht davon profitiert.
In den Firmenunterlagen werden dem Vorstand die Risiken einer solchen Vereinbarung dargelegt. Drei Handlungsmöglichkeiten werden erörtert. Die beiden ersten seien eine „Vorbehaltsklausel“ und eine „Positivliste von Herkunftsländern“, heißt es in dem Bericht. Die dritte Option sehe vor, den „endgültigen Vertrag im Namen eines Gemeinschaftsprojektes nach türkischem Recht“ zu unterzeichnen. Dabei warnen Strategen von Siemens vor möglichen Auswirkungen, wenn der Konzern keine Erklärung abgebe und die IsDB-Boykottanforderungen nicht unterzeiche: „höchstwahrscheinlich Disqualifikation“.
Siemens: Positivliste eingereicht
Nach Veröffentlichung des SWR-Berichtes am Freitag beteuerte Siemens, keine Boykotterklärung unterzeichnet zu haben. Der Konzern habe eine „rechtlich zulässige Positivliste“ eingereicht und damit sichergestellt, dass er keine Bauteile aus Israel verwende. Mitarbeiter des türkischen Siemens-Konsortiums hätten den Vertrag nach türkischem Recht unterschrieben, sie seien dafür freigestellt worden. Damit unterliegen sie nicht dem deutschen Gesetz.
Konkret geht es um den Paragraphen 7 der deutschen Außenwirtschaftsverordnung. Dieser untersagt die Unterzeichnung von Boykotterklärungen. Bei Zuwiderhandlungen können Strafzahlungen in Höhe von bis zu 500.00 Euro fällig werden. Da Siemens sein Töchter-Unternehmen vorgeschickt hat und die Türkei nicht zur Europäischen Union gehört, dürfte die Unterzeichnung keine strafrechtliche Relevanz haben.
Der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, sieht hier allerdings einen „moralischen Offenbarungseid“ für ein deutsches Unternehmen. Er kündigte eine Anzeige an, damit der Vorgang von deutschen Behörden genau überprüft werde. Zudem forderte er den Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auf, die Verordnung zu verschärfen.
Konzern betont Geschäftsbeziehungen mit Israel
Siemens indes betonte seine „langjährigen Geschäftsbeziehungen mit Israel“. Weiter heißt es in der Stellungnahme: „So haben wir Regionalzüge an Israel Railways geliefert und sind langfristig für deren Wartung zuständig.“ Außerdem sei das Joint-Venture der Siemens AG mit der Siemens AS Türkei nur aus steuerlichen Gründen gegründet worden.
Der Wirtschaftsethiker Thomas Beschorner von der Universität Sankt Gallen zweifelt an den lauteren Absichten des Unternehmens. Er sagte der „Zeit“: „Siemens redet blumig von Unternehmensverantwortung, die doch stets nur unter dem Vorbehalt von Gewinnstreben zu stehen scheint.”
Im September 2021 veröffentlichten palästinensische und europäische Organisationen eine Liste von Finanzinstituten und Unternehmen, die Geschäfte mit israelischen Siedlungen machen. Darin nannten sie auch Siemens. Der Konzern arbeitet demnach nicht nur mit Israel zusammen, sondern unterstützt sogar Siedlungen, die sich bei Boykotterklärungen besonders im Visier befinden.
Die Beziehungen zwischen Israel und der Türkei erleben nach mehrjähriger Verstimmung derzeit wieder einen Aufschwung. Im vergangenen Jahr gab es mehrere Treffen zwischen hochrangigen Politikern beider Seiten. Zudem tauschten die Länder wieder Botschafter aus. (eh)
2 Antworten
Möge Siemens seine Entscheidung noch mal überdenken.
Schade, dass es solche Israel-Boykottsklauseln heute noch im Geschäftsleben gibt. Firmen, Banken und Versicherungen machen Geschäfte mit islamischen Staaten und Firmen , die Israel von der Landkarte streichen wollen. Doch wenn es um das Geld geht stört das nicht, da feiert halb Paris eine Party mit den Saudis !