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Kommentar: Zwischenbilanz der Koalitionsverhandlungen

JERUSALEM (inn) – Die Regierungsbildung von Benjamin Netanjahu schreitet nur langsam voran - der israelische Premierminister ist mit einer ganzen Reihe von Problemen konfrontiert. Dazu eine Einschätzung unseres Korrespondenten Ulrich W. Sahm aus Jerusalem:
Premierminister Netanjahu - bis maximal zum 16. März hat er Zeit, um eine neue Regierung zu bilden.

„Man hört ja gar nichts mehr über die Regierungsbildung in Israel“, meinte verwundert eine gut informierte Israel-Kennerin in Deutschland. Tatsächlich ist seit den Parlamentswahlen im Januar die israelische Innenpolitik aus dem Blickfeld geraten, obgleich US-Präsident Barack Obama zu einem „historischen“ Besuch erwartet wird und die EU an neuen Initiativen zum Ankurbeln eines Friedens in Nahost tüftelt.
Das mangelnde Interesse an der Regierungsbildung in Israel hat mehrere Gründe. Die Erwartungen an den alt-neuen Premierminister Benjamin Netanjahu sind niedrig. Der Wahlausgang hat bestätigt, dass die israelische Bevölkerung offensichtlich andere Sorgen hat, als das, was der Rest der Welt für vordringlich hält – nämlich eine „Friedenslösung“ inmitten einer brennenden arabischen Umwelt. Zudem haben sich die Israelis überhaupt nicht über den seit Jahren erwarteten Militärschlag gegen den Iran gestritten, der doch die „Stabilität“ des Orients gefährden könnte.
Premierminister Netanjahu hat eine Frist von 28 Tagen bis zum Monatsende erhalten, um eine regierungsfähige Koalitionsmehrheit zu finden. Danach kann ihm der Staatspräsident eine Verlängerung von 14 Tagen gewähren. Der späteste Termin für eine Regierungsbildung ist der 16. März.
In den ersten drei Wochen dieser Frist hat Netanjahu gerade mal einen einzigen Koalitionsvertrag mit der neu gegründeten Kleinpartei von Zippi Livni geschafft. Die ehemalige Außenministerin stand nach den Wahlen von 2009 an der Spitze der größten Partei, Kadima, mit 29 Sitzen. Sie scheiterte beim Versuch einer Regierungsbildung und musste das Mandat an Netanjahu abgeben. Sie scheiterte auch als Oppositionschefin und lenkte ihre Partei in den Abgrund. Nach ihrem „Rückzug ins Privatleben“ schrammte ihr Nachfolger Schaul Mofas als Parteivorsitzender von Kadima hart an der 2-Prozent-Sperrklausel, während Livni kurzerhand, zwei Wochen vor den Wahlen, eine neue Partei mit dem nichtssagenden Namen „Die Bewegung“ (HaTnuah) gründete. Immerhin zog sie mit sechs namhaften Politik-Veteranen in die Knesset ein.
Netanjahu bestimmte sie für das Amt der künftigen Justizministerin und gewährt ihr noch einen weiteren Ministerposten. Das löste sofort heftigen Streit unter ihren prominenten Mitstreitern, darunter Amram Mitzna und Amir Peretz, aus. Beide halten sich für begnadet, das relativ unbedeutende Amt des Umweltministers zu erhalten. Immerhin war Peretz schon mal Verteidigungsminister, während General Mitzna Bürgermeister von Haifa und Vorsitzender der Arbeitspartei war.
Livni wurde zudem mit Friedensverhandlungen mit den Palästinensern betraut. Die hat sie schon jahrelang unter dem früheren Premier Ehud Olmert ohne Erfolg geführt. Likudsprecher beruhigten derweil ihre in Panik geratenen Parteigenossen: „Der Premierminister wird dabei die Oberaufsicht behalten.“ Livni werde sich keinen Alleingang erlauben können. Ohnehin fragt man sich, ob Präsident Mahmud Abbas jetzt williger an den Verhandlungstisch zurückkehrt, als in den vergangenen drei Jahren.
Mit den 31 Sitzen des Likud-Beiteinu-Bündnisses und den 6 Sitzen der „Bewegung“ ist Netanjahu immer noch weit von einer Mehrheit in dem Parlament mit insgesamt 120 Sitzen entfernt.
Die noch unerfahrene Vorsitzende der Arbeitspartei mit 15 Sitzen, Schelly Jachimowitsch, hat den taktischen Fehler begangen, eine Koalition mit Netanjahu auszuschließen, anstatt auf den Posten des Finanzministers zu schielen und so ihre soziale Agenda durchzusetzen.
Die beiden verbliebenen großen Brocken sind die „Zukunftspartei“ von Jair Lapid mit 19 Sitzen und das „Jüdische Haus“ unter Naftali Bennett mit 12 Sitzen. Doch die haben ein „stählernes Bündnis“ geschlossen und fordern eine „gerechte Verteilung der Lasten“. Gemeint ist eine Rekrutierung aller Israelis zum Militärdienst, also auch der bislang freigestellten Ultraorthodoxen.
Netanjahu steht vor einem Dilemma. Lapid und Bennett könnten ihm die notwendige Mehrheit bieten. Aber eine Koalition würde die klassischen Partner Netanjahus, die frommen Parteien, vor den Kopf schlagen. Die Orthodoxen allein verschaffen ihm jedoch keine Mehrheit.
Politische Kommentatoren behaupten zudem, dass Netanjahu „schwache“ Partner vorzieht und keinen Block von zwei starken Parteien, die ihm den Weg weisen könnten.
Nicht nur der Ausgang dieser schleppenden Koalitionsverhandlungen ist offen. Auch die Verteilung der Posten ist bislang nicht geklärt. Wer wird der Nachfolger von Ehud Barak als Verteidigungsminister? Und was passiert mit dem bisher von Avigdor Lieberman geleiteten Außenministerium? Netanjahu will dieses Amt für Lieberman „aufheben“. Doch so schnell wird der die Amtsgeschäfte nicht wieder aufnehmen können. Denn die Fortsetzung seines Korruptionsprozesses mit ungewissem Ausgang ist für April angesetzt. Und nur wenn Lieberman das Gericht mit einem Freispruch verlässt, wird er wieder als Chefdiplomat des jüdischen Staates seine Aufwartung bei den Mächtigen der Welt machen können.

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