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Kommentar: Eigentümliches Demokratieverständnis

JERUSALEM (inn) - Kaum ist der Wahlkampf auf volle Touren gekommen, wurde er innerhalb von Stunden wieder abgesagt. Die überraschend angekündigten vorgezogenen Neuwahlen zur Knesset wurden durch eine "Koalition der nationalen Einheit" ersetzt. Der Zusammenschluss von Premierminister Benjamin Netanjahu mit dem vor wenigen Tagen gewählten neuen Vorsitzenden der Kadima-Partei, Schaul Mofas, erzeugt eine fast präzedenzlose parlamentarische Mehrheit. 94 von 120 Abgeordneten stimmen nun für die Regierung.

Das verschafft dem Premierminister eine fast beispiellose "Stabilität", deren vermeintlicher Verlust ihn veranlasste, öffentlich Neuwahlen zu empfehlen, während er hinter den Kulissen schon heimlich an einer Großen Koalition schmiedete.

Der Vorgang entspricht einem einzigartigen israelischen Demokratieverständnis, nämlich durch eine "Große Koalition" eine "nationale Einheit" zu erzeugen und jegliche Opposition auszuschalten. Der tiefe Grund dafür ist beim Selbstverständnis der parlamentarischen Opposition in Israel zu suchen. Die betrachtet es nicht als ihre Aufgabe, Fehler der Regierung aufzudecken und oder ihren Kurs zum Wohle der Nation zu korrigieren. Vielmehr hält es die Opposition für ihre demokratische Pflicht, die Regierung zu stürzen. Dabei spielt es keine Rolle, wie sich die Opposition zusammensetzt oder wer gerade Premierminister ist. Das ist eine rein destruktive Haltung.

Deshalb versucht die Opposition gar nicht erst, eine echte Alternative anzubieten, für ihre Ideen eine Mehrheit zu erlangen, sondern beschränkt sich darauf, bei jeder besten Gelegenheit ein Misstrauensvotum einzubringen. Jetzt, wo die Opposition auf einen kümmerlichen Haufen untereinander zerstrittener linker, arabischer und frommer Parteien geschmolzen worden ist, hat sie zudem jegliche Kraft verloren.

Beide Vorstellungen entsprechen wohl nicht den echten Grundsätzen einer Demokratie. Denn "nationale Einheit" bedeutet bei einer derart übergroßen Koalition fast uneingeschränkte Macht für die Regierungsspitze. Ohne echten Widerspruch kann das Gespann Netanjahu-Mofas jetzt "wichtige nationale Beschlüsse" fassen, wie es der Regierungssekretär Zvi Hauser erklärte: soziale, wirtschaftliche, aber auch sicherheitspolitische Fragen. Sie werden den "sozialen Aufstand" wegen überteuerter Preise für Nahrungsmittel, Benzin und Wohnungen ersticken und zugleich folgenreiche Beschlüsse zum Iran fassen können.

Demokratie ist die zivilisierte Methode eines unblutigen Machtwechsels. Dennoch übertreibt wohl die israelische Opposition, wenn sie wegen jeder Nichtigkeit einen demokratischen "Umsturz" anstrebt, anstatt konstruktiv eine Alternative zur Regierungspolitik anzubieten.

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