Bibi oder nicht Bibi? Das ist in Israel die Frage. Vor den Knesset-Wahlen am 23. März – den vierten binnen zwei Jahren – dreht sich mal wieder alles um den israelischen Premierminister. Das ist zumindest der medial vermittelte Eindruck, der im Wahlkampf entsteht. Wie bereits im Vorfeld der vorigen Urnengänge haben die Herausforderer Benjamin Netanjahus auch dieses Mal wieder versprochen, auf keinen Fall mit dem unter Korruptionsverdacht stehenden Regierungschef zu koalieren. Neben den üblichen Verdächtigen wie dem Chef der säkular-zentristischen Partei Jesch Atid, Jair Lapid, hat sich auch Ex-Likudnik Gideon Sa’ar (Tikva Chadascha) den „Rak-lo-Bibi“-Sagern (Nur nicht Bibi) angeschlossen.
Auf der anderen Seite ist auch Netanjahu selbst bemüht, seine Wahlkampagne auf die eigene Person zuzuspitzen. „Rak Bibi“ (Nur Bibi), jubeln seine Anhänger ihm zu. Oft folgt noch ein: „Wir lieben dich“. Bei einem Wahlkampfauftritt Netanjahus vor Anhängern in Be’er Scheva, live übertragen auf dem Facebook-Account des Premiers, klang das jüngst so: „Wer bringt uns Millionen Impfungen? Ich oder Lapid?“ Die Anhänger antworteten: „Du!“ „Wer stärkt unsere Wirtschaft? Ich oder Lapid?“ „Du!“ „Und wer schützt uns vor dem Iran?“ „Du!“ „Die Wahl ist klar: Ich oder Lapid.“
Netanjahu nicht Hauptgrund für Wahlentscheidung
Machen die Wähler ihre Wahlentscheidung also am Ende vor allem davon abhängig, ob sie für oder gegen Netanjahu sind? Eine Umfrage des Israelischen Demokratie-Instituts zeichnet ein anderes Bild. Die Meinungsforscher stellten israelischen Bürgern eine offene Frage nach dem Hauptgrund für ihre Wahlentscheidung. Das Ergebnis: Nur 5 Prozent gaben an, ihre Partei vor allem wegen Bibi zu wählen – entweder weil sie unbedingt wollen, dass er weiter regiert, oder weil sie auf das Gegenteil hoffen. Knapp 30 Prozent wollen ihre Entscheidung hingegen in erster Linie auf Basis der Grundprinzipien der jeweiligen Partei treffen.
Das heißt nicht, dass der Netanjahu-Faktor unwichtig für die Wähler ist, aber offensichtlich ist er nicht der Hauptfaktor, wie auch das Demokratie-Institut anmerkt. Die Nur-nicht-Bibi-Wähler finden sich vor allem in der Anhängerschaft von Jesch Atid unter der Führung Lapids und bei Tikva Chadascha von Sa’ar wieder. Hier äußerte sich jeweils jeder zehnte entsprechend. Den Likud wählen immerhin 8 Prozent in erster Linie, weil sie Netanjahu wollen.
Die Demoskopen wollten auch wissen, was die Wahl aus Sicht der Bürger für Netanjahus Korruptions-Prozess bedeutet. Die Antworten sind durchaus erstaunlich. Immerhin jeder dritte Israeli meint, dass das Verfahren gegen den Premier mindestens während seiner Amtszeit ausgesetzt werden sollte, falls Netanjahu eine Regierung bilden kann. Sogar Wähler linker Parteien sehen das so, darunter 17 Prozent der Anhänger der links-grünen Meretz-Partei und 28 Prozent der Blau-Weiß-Wähler. Niedrig sind die Werte hingegen bei den Anhängern von Jesch Atid und Tikva Chadascha. Auch dies deutet darauf hin, dass sich vor allem diese beiden Parteien aus dem Protestpotential gegen Netanjahu speisen.
Unterstützung für arabische Minister nimmt zu
Das Demokratie-Institut ließ zudem abfragen, ob die Bürger sich eine arabische Regierungsbeteiligung vorstellen könnten. In der Vergangenheit hatte Netanjahu die arabische Wählerschaft immer wieder als Bedrohung dargestellt. Bekannt ist vor allem seine Warnung von 2015, arabische Wähler könnten „in Scharen“ an die Wahlurnen strömen. Dieses Mal ist alles anders: Netanjahu besucht eine arabische Ortschaft nach der anderen und hofft, dass arabische Wähler ihm die Mehrheit bringen. Auf seine konservative Wählerschaft bleibt dieser Kurs offenbar nicht ohne Auswirkungen. Etwa 21 Prozent des rechten Lagers würden es unterstützen, dass ein Vertreter der arabischen Bevölkerung als Minister in die Regierung eintritt. Noch im September 2019 taten das nur 5 Prozent. Im linken Lager äußern sich vier von fünf Befragten entsprechend.
Zwei Wochen vor den Wahlen sieht es so aus, dass sich die Geschichte der vorigen Abstimmungen wiederholen dürfte. Alle Umfragen zeigen den Likud klar vorne. Für eine Regierungsmehrheit wird es aber auch dieses Mal eng. Als stärkster Herausforderer hat sich Jesch-Atid-Chef Lapid herauskristallisiert. Seine Partei rangiert bei bis zu 20 von insgesamt 120 Sitzen. Der selbsternannte Premier-Kandidat Sa’ar, mit seiner Partei zeitweise zweitstärkste Kraft, ist in Umfragen abgerutscht. Angesichts der sich abzeichnenden Patt-Situation schreiben israelische Medien schon länger von einer möglichen fünften Wahl. Auch viele Bürger sind wenig optimistisch: Nur 29 Prozent denken, dass die Wahlen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit einen klaren Ausgang bringen. Vor allem im linken Lager scheint die Resignation groß. Hier glauben nur 15 Prozent an ein eindeutiges Ergebnis.
Die Umfrage des Israelischen Demokratie-Instituts ist Teil des regelmäßig erscheinenden „Israeli Voice Index“. Dafür wurden Anfang des Monats 605 Israelis über 18 Jahre auf Hebräisch und 150 auf Arabisch befragt. Die Personen wurden repräsentativ ausgewählt. Da es sich um eine Stichprobe handelt, können die Ergebnisse aber um einige Prozentpunkte von der Realität abweichen.
Von: Sandro Serafin