Kein zweites Ereignis hat den Staat Israel jemals so erschüttert und in der Folge auch geändert wie jene drei tödlichen Schüsse, die der israelische Rechtsextremist Jigal Amir auf Premierminister Jitzchak Rabin abgegeben hatte. Am 4. November vor genau 25 Jahren um 23.11 Uhr verlas Rabins Sekretär Eitan Haber die offizielle Erklärung: „Mit Trauer und Erschütterung gibt die israelische Regierung bekannt, dass Premierminister Rabin von einem Verbrecher ermordet worden ist.“
Unmittelbar davor hatte Rabin auf der Terrasse der Tel Aviver Stadtverwaltung am „Platz der Könige Israels“ einträchtig neben seinem Intimfeind und Parteikollegen, Außenminister Schimon Peres, gestanden und zusammen mit Tausenden Israelis auf dem Platz ein Friedenslied angestimmt.
Gefeiert wurden die kurz zuvor abgeschlossenen Osloer Autonomieabkommen mit den Palästinensern. Es herrschte eine euphorische Stimmung im Land, weil man glaubte, dass nun der Friede im Nahen Osten ausgebrochen sei. Aber von „Frieden“ konnte keine Rede sein, denn die Palästinenser erhielten lediglich eine „Selbstverwaltung“ von Israels Gnaden, was Israel von der menschlichen wie finanziellen Notwendigkeit erlöste, das tägliche Leben der Palästinenser zu organisieren.
Als Rabin die breiten Stufen von der Terrasse auf dem Weg zu seiner Limousine herabstieg, drängelte sich Jigal Amir vor, schob die Sicherheitsleute beiseite und gab drei Schüsse auf Rabin ab. Damals war es bei gefährdeten Politikern noch nicht einmal üblich, eine schusssichere Weste zu tragen. Der schwer verletzte Rabin wurde umgehend in seine Limousine gebracht und in das nächstgelegene Hospital gefahren. Nach einer Notoperation und Wiederbelebungsversuchen konnten die Ärzte nur noch seinen Tod feststellen.
Der große freie Platz, wo bis heute politische Demonstrationen stattfinden, wurde später in „Rabin-Platz“ umbenannt. Bei der Stelle, wo Amir auf Rabin geschossen hatte, gibt es mittlerweile ein schlichtes Denkmal aus Basaltsteinen.
Euphorie ermordet
Die erste spontane Reaktion war eine Verstärkung der Sicherheitsvorkehrungen. Der israelische Premierminister dürfte heute – vielleicht neben dem US-Präsidenten – der bestgeschützte Regierungschef der Welt sein, ständig umringt von Leibwächtern und Sicherheitsleuten. Die Kontrollen an den Eingängen zu Veranstaltungen mit dem Premierminister sind schärfer als Sicherheitskontrollen auf Flughäfen.
Langfristig hatte der Rabin-Mord Folgen für das politische Gefüge in Israel. Und das dauert bis heute an. Die israelische Linke verlor mit Rabin nicht nur eine anerkannte Führungspersönlichkeit. Mit ihm wurde auch die Euphorie ermordet, die eine friedliche Übereinkunft mit dem „Erzterroristen“ Jasser Arafat und den Palästinensern möglich erscheinen ließ. Dabei hatte Rabin noch einen Monat vor seiner Ermordung in einer Rede vor der Knesset versucht, die schlimmsten Befürchtungen der israelischen Rechten zu beschwichtigen. Er verkündete, dass für die Palästinenser eine Entität entstehen könne, die „weniger als ein Staat“ sein werde.
Bis auf das kurze Intermezzo mit dem letztlich gescheiterten Ehud Barak ist es der altehrwürdigen sozialistischen Arbeitspartei seither nicht wieder gelungen, an die Macht zu gelangen. Bei den jüngsten Wahlen schrammte sie mit ihren Bündnispartnern hart an der Sperrklausel von 3,25 Prozent vorbeiund ist heute nur noch ein unbedeutender Koalitionspartner bei der Blau-Weiß-Partei unter Benny Gantz.
Andererseits wird ausgerechnet dem seither mit Mehrheit gewählten Regierungschef Benjamin Netanjahu vorgeworfen, persönlich gegen Rabin gehetzt zu haben. Er soll ein symbolisches Begräbnis organisiert haben, bei dem der Name Rabin auf dem Sarg gestanden habe. Der Widerstand der Bevölkerung gegen die Abkommen mit den Palästinensern ist so groß gewesen, dass dieses „unmoralische“ Verhalten Netanjahus politischer Karriere nicht geschadet hat.
Verschwörungstheoretiker: Amir war nicht der Täter
Eine weitere Besonderheit ist das Auftauchen neuer Verschwörungstheorien rund um den Mord. Rechtsgerichtete Israelis versuchen dabei zu „beweisen“, dass Amir gar nicht der Attentäter gewesen sein konnte. Sie interessiert nicht weiter, dass er die Tat gestanden und im Rahmen eines Prozesses wegen Mordes eine lebenslange Haftstrafe erhalten hat. So behaupten die Verschwörungstheoretiker, dass der Inlandsgeheimdienst Schabak die Ermordung verschuldet habe. Namentlich angeführt wird da ein Geheimdienstmann namens Avischai Ravid. Amir habe ihm die Mordabsichten im Voraus gestanden. Den Geheimdienstleuten wird vorgeworfen, bei der großen Friedensdemonstration in Tel Aviv Fotos von Rabin in Nazi-Uniform verteilt zu haben.
Bis heute ist ungeklärt, welche Rabbiner aus der rechten Szene dem damaligen Jura-Studenten an der Bar-Ilan-Universität eingeredet haben, dass Rabin wegen der Osloer Verträge „Freiwild“ sei und aus religiösen Gründen umgebracht werden müsse. Diesem Rat der Rabbiner scheint Amir gefolgt zu sein.
Amir ist heute wohl der prominenteste Gefangene in Israel. Nach 15 Jahren Isolierhaft wurde er immer wieder verlegt. Inzwischen darf er mit anderen Gefangenen reden und beten. Obgleich er auch als „politischer Gefangener“ gilt, genießt er Privilegien, wie sie keinem anderen politischen Gefangenen, insbesondere arabischen Mitgefangenen, gewährt werden.
Amir heiratete 2004 die aus Russland eingewanderte Larissa Trimbobler. Bei einem Tel Aviver Gericht setzte er sein „Bürgerrecht“ durch, dass sie ihn zu einem „ehelichen“ Treffen besuchen dürfe. 2005 hieß es, dass sie schwanger sei. Trimbobler gebar ihm einen Sohn.
Von: Ulrich W. Sahm