Die lutherische Erlöserkirche in der Altstadt Jerusalems, gleich neben der Grabeskirche, ist mit ihrem hohen spitzen Turm nicht nur ein Wahrzeichen von Israels Hauptstadt. Viele Jahre lang war sie auch ein Zentrum der Ökumene und internationaler Kontakte, wobei neben Deutschen auch Angehörige aller christlichen Kirchen in Jerusalem, Juden und Moslems zu den Treffen im mittelalterlichen Kreuzgang kamen. Doch diese Begegnungen sind seit vielen Jahren eingebrochen: Die protestantisch-deutsche Seite vertritt eine politische Agenda, in der andere Konfessionen keinen Platz finden. Mit Rainer Stuhlmann als Interimspropst wird diese problematische Tradition fortgesetzt.
Seit nunmehr sieben Jahren ist der badische Pfarrer Wolfgang Schmidt Propst in Jerusalem und damit auch Repräsentant der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) im Heiligen Land. Im September wird Schmidt Jerusalem verlassen, da seine Heimatkirche in Karlsruhe ihn in das Amt des Oberkirchenrats für „Bildung und Erziehung in Schule und Gemeinde“ berufen hat. Für die EKD in Hannover, die den Propst in Jerusalem ernennt, scheint dieser Weggang überraschend gekommen zu sein. Denn sie hat jetzt erst mit der „Bewerbungsphase“ begonnen. Ein neuer Propst werde nicht vor Sommer 2020 nach Jerusalem kommen. Das schrieb Schmidt im Gemeindebrief der Erlöserkirche.
Holzschnittartiger Blick
Bis dahin will die EKD zur „Vakanz-Überbrückung“ den rheinischen Pfarrer Rainer Stuhlmann schicken. Stuhlmann war viele Jahre Studienleiter des internationalen ökumenischen Dorfes Nes Ammim im Norden Israels. Dort machte er sich einen Namen mit einer holzschnittartigen Agenda, die der differenzierten Wirklichkeit nicht gerecht wird. Für Stuhlmann sind die Fronten im Nahostkonflikt klar. Hier die Besatzer, die jüdischen Israelis – dort die Besetzten, die palästinensischen Araber. Er differenziert dabei nicht zwischen Palästinensern in Jericho und Gaza und arabischen Bürgern Israels. Für ihn sind einfach alle Araber vor Ort Palästinenser. Dass die Wirklichkeit komplizierter ist, scheint ihn nicht zu interessieren.
Im vergangenen April geriet er in die Schlagzeilen mit einem einseitigen Text in einer „Gottesdienst-Arbeitshilfe“ zu dem Thema „70 Jahre Staat Israel“. Darin behauptete Stuhlmann unter anderem, dass Israels Gründung ein Tag der Trauer sei. Er forderte, dass jener Tag in den Kalender der christlichen Märtyrer aufgenommen werden sollte.
Auch die anderen Darstellungen Stuhlmanns waren klassische Fälle palästinensischer Propaganda mit dem Ziel, Israel und das Judentum zu entrechten. Ein Grußwort dazu hatte Manfred Rekowski verfasst, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR). Als die jüdische Gemeinde in Düsseldorf von diesem Papier erfuhr, sagte sie spontan eine gemeinsam mit der EKiR geplante Reise nach Israel ab, zumal der Präses nicht bereit war, sich von den Inhalten des Stuhlmann-Artikels zu distanzieren.
Wenig Hoffnung auf guten Dialog
Die so hoffnungsvoll begonnene interreligiöse Kooperation der Protestanten und Juden im Rheinland endete damit abrupt. Dies wirft die Frage auf, wieso die EKD ausgerechnet diesen Pastor im Ruhestand dazu erkoren hat, ein Jahr lang in Jerusalem die Kirche zu vertreten. In einer Antwort teilte die EKD mit, Stuhlmann sei „mit dem israelisch-palästinensischen Kontext bestens vertraut“.
Allerdings: Wer sich wie Stuhlmann nicht die Mühe gibt, etwa zwischen israelischen Arabern und Palästinensern zu unterscheiden, ist nicht für die Stelle geeignet. Die israelischen Polizisten, die im Umfeld der Erlöserkirche die Besucher vor Anschlägen bewahren, sind fast ausschließlich christliche Araber. Es grenzt an Rassismus, wenn man diese Israelis aus politischen Gründen gegen ihren Willen als Palästinenser bezeichnet. Und gerade die Urchristen, die christlichen Aramäer, die besonderen Wert darauf legen, nicht als Palästinenser bezeichnet zu werden, können sich in der deutschen Hauptkirche Jerusalems nicht mehr willkommen fühlen. Es ist daher kaum anzunehmen, dass der interreligiöse Dialog unter Stuhlmann eine positive Erneuerung erfährt. Eher ist zu befürchten, dass weiteres Porzellan zerschlagen wird.
Von: Ulrich W. Sahm