Der Tag der Deutschen Einheit 2018 steht in diesem Jahr in Berlin unter dem Motto: „Nur mit Euch“. Und das Bundespresseamt vermeldet: „Direkt vor dem Bundeskanzleramt präsentiert sich die Bundesregierung bei den diesjährigen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit in Berlin.“ Allerdings wohl eher nicht mit Angela Merkel. Denn die Bundeskanzlerin wird im Flugzeug sitzen, anstatt in Berlin vor dem Brandenburger Tor zu feiern. Dann wird sie in die von Deutschland nicht anerkannte Hauptstadt Israels fahren, nach Jerusalem, um bei dem in Deutschland als „Hardliner“ (Zitat: dpa) titulierten israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu ein abendliches Mahl einzunehmen. Diese simple Information kann man als Journalist vor Ort allerdings nur über Umwege erfahren.
Die Begegnung im Rahmen der Regierungskonsultationen war bekanntlich monatelang vorbereitet. Obgleich als Korrespondent beim Bundespresseamt, beim Auswärtigen Amt und natürlich bei der deutschen Botschaft in Tel Aviv offiziell angemeldet, war Merkels Besuch von keiner dieser drei offiziellen deutschen Stellen mit der sonst üblichen Email an die „Presse vor Ort“ angekündigt worden. Ein anderer Korrespondent, der ebenfalls seit Jahrzehnten aus Nahost berichtet, wurde auch nicht informiert.
Freundlicherweise haben uns Kollegen aus Deutschland auf einen Text auf der Homepage des Bundespresseamtes (BPA) aufmerksam gemacht. In der dort veröffentlichten Mitteilung wird eine gemeinsame Pressekonferenz mit dem israelischen Premierminister angekündigt, aber ohne Angaben zu Ort und Uhrzeit. Wegen dieser neuen deutschen Pressepolitik fragten wir die neue Pressesprecherin der deutschen Botschaft, ob vielleicht eine „Pressekonferenz unter Ausschluss der Medien“ geplant sei. Heutzutage kann man ja nie wissen, was es alles gibt. Prompt kam am Schabbat eine kurze Email aus der deutschen Botschaft: „Die Entscheidung über Begleitpresse liegt in Berlin. Wir folgen als Botschaft dem Prozedere, wie für solche Besuche vorgesehen.“
Das gibt dem diesjährigen deutschen Motto „Nur mit Euch“ doch gleich einen ganz besonderen Touch. Und es ist, das werden auch die Kollegen aus Österreich zugeben, in seiner knappen Form sehr viel eleganter, als das kritikvermeidende Schreiben des dortigen Innenministers Herbert Kickl, das zur Zeit im Nachbarland Deutschlands lebhaft diskutiert wird.
Feier in der Botschaft?
Unbeantwortet blieb zunächst eine weitere Frage nach der Feier des deutschen Nationalfeiertags am 3. Oktober. Aus diesem Anlass gibt es normalerweise einen großen Empfang im Garten der Residenz des deutschen Botschafters. Da sind immer auch berühmte Israelis geladen. Vor 50 Jahren, beim ersten deutschen Botschafter Rolf Pauls, konnte man dort sogar den Staatsgründer David Ben-Gurion und den legendären Kriegshelden Mosche Dajan treffen.
In den vergangenen Jahren wurde der Empfang gerne verschoben. Und selbst wenn einem Journalisten jedes Mal bestätigt wurde, auf dem entsprechenden Presseverteiler zu stehen, kam trotzdem weder Ort noch Zeit per Post oder Email. Wir gehen davon aus, dass auch hier schon eine entsprechende Entscheidung aus Berlin vorlag. Ob in diesem Jahr der 3. Oktober begangen wird, wann und wo, konnte oder wollte uns deshalb die Botschaft bis zum 29. September nicht beantworten.
Es ergeben sich freilich auch weitere Fragen. Gibt es überhaupt einen deutschen Botschafter? Clemens von Goetze war der amtierende Botschafter. Doch der ist ohne Verabschiedung oder Mitteilung an die Presse in Richtung China verschwunden. Als Nachfolgerin wurde Susanne Wasum-Rainer angekündigt. Im weltweiten Netz kursiert immerhin eine nette Grußbotschaft der neuen Botschafterin, übrigens in bestem Hebräisch. Denn Anfang der 1990er Jahre war sie schon einmal drei Jahre lang in Israel.
Doch eine Prüfung der Webseiten der deutschen Botschaften ergibt, dass sie laut Auswärtigem Amt immer noch Botschafterin in Rom ist. Ob sie zum Empfang im Garten ihrer Residenz gerade in Israel weilen werde, war nicht zu ermitteln. Das Bundespresseamt teilt der deutschen Öffentlichkeit lapidar mit: „Am Abend des 3. Oktober findet zunächst ein Abendessen auf Einladung des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu statt.“
Anerkennung Jerusalems?
Wo und wann, wurde unterschlagen. Wir haben dann aus israelischen Quellen erfahren, dass Frau Merkel am frühen Abend in Tel Aviv landet und direkt nach Jerusalem fährt, um in Netanjahus Residenz zu speisen. In jedem anderen Land wäre das „normal“. Als Kenner der nahöstlich-deutschen Empfindlichkeiten muss man sich das aber auf der Zunge zergehen lassen: Deutschland ist empört über US-Präsident Donald Trump, weil der Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt und sogar die Botschaft in das dortige Niemandsland zwischen Ost- und Westjerusalem verlegt hat. Bei der ersten besten Gelegenheit fährt nun die Bundeskanzlerin ausgerechnet am deutschen Nationalfeiertag in jene Tabu-Stadt, in die nicht anerkannte Hauptstadt Israels, um dort in der Residenz des Premierministers zu speisen.
Offen ist, ob Merkels Abendessen einer Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt entspricht. Allein die Tatsache, dass sich das ausgerechnet am deutschen Nationalfeiertag abspielt, bietet Stoff für Spekulationen.
Vielleicht gibt es ja doch eine Seelenverwandtschaft zwischen den beiden. Netanjahu wird in den deutschen Medien stets als Hardliner bezeichnet, was Merkel gewiss auch ist, wenn man beobachtet, wie sie ihre politische Linie durchsetzt. Dann wird Netanjahu regelmäßig als Chef einer „nationalreligiösen“ Regierung verunglimpft. Doch Merkel hat einen ähnlichen Makel, den die deutschen Medien noch nicht entdeckt haben: Ist sie nicht Vorsitzende einer „nationalreligiösen“ Partei? Merkel und Netanjahu haben zudem gemein, fast gleich lang Regierungschef zu sein.
Aktualisierung: Am Sonntag verschickte die deutsche Botschaft Tel Aviv die erste Pressemitteilung seit dem 26. März und teilte den staunenden Korrespondenten mit, dass der 3. Oktober auf den 22. Oktober verschoben sei. Der Empfang finde nicht in der Residenz statt, sondern im Kibbutz Gil Yam. Gemeint ist vermutlich Glil Yam, denn einen Kibbutz Gil Yam gibt es nicht.
Von: Ulrich W. Sahm