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Staatsgründung Israels „ein Datum im christlichen Märtyrerkalender“

Eine „Gottesdienst-Arbeitshilfe“ der Evangelischen Kirche im Rheinland zum 70. Staatsjubiläum Israels enthält Geschichtsklitterung und Auslassungen. Sie erinnert an palästinensische Propaganda. Eine Analyse von Ulrich W. Sahm
Die Evangelische Kirche im Rheinland hat sich in einer „Gottesdienst-Arbeitshilfe“ zum israelischen Staatsjubiläum geäußert

„Zum ersten Mal in der Geschichte der Evangelischen Kirche im Rheinland reisen Mitglieder der Kirchenleitung gemeinsam mit Vertretern jüdischer Gemeinden nach Israel. Anlass ist das 70-jährige Bestehen des Staates Israels sowie eine Bekräftigung der gemeinsamen Verantwortung im Kampf gegen Antisemitismus in unserer Gesellschaft.“ Dieses historische Ereignis soll vom 26. bis 29. April stattfinden, erklärte Jens-Peter Iven, Pressesprecher der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR). Dabei reist die Gruppe nach Nes Ammim, eine christliche Siedlung zwischen Haifa und der libanesischen Grenze mit 332 Einwohnern.

Auf der Homepage der EKiR findet sich eine „Gottesdienst-Arbeitshilfe“, die ebenso dem 70-jährigen Bestehen des jüdischen Staates gewidmet ist. Der Verfasser, Rainer Stuhlmann, war von 2011 bis 2016 Studienleiter in Nes Ammim. Unter dem Titel „70 Jahre Staat Israel – ein Datum im christlichen Kalender?“ schreibt Stuhlmann im vierten Paragraphen: „Was für Juden ein Grund zum Feiern ist, das ist für andere ein Grund zur Trauer. Den einen hat die Staatsgründung Schutz, Sicherheit, Gerechtigkeit und Freiheit gebracht, den anderen Vertreibung, Zerstörung, Zwang und Unrecht.“

Die rund 2,5 Millionen Araber im Staat Israel mit eigenen Parteien in der Knesset, Generälen in der Armee und Vertretung in Regierung wie Gesellschaft wurden von Stuhlmann nicht gefragt. Er unterschlägt auch, dass unmittelbar nach der Gründung Israels aus der gesamten arabischen Welt fast alle dort seit 3.000 Jahren lebenden Juden zwangsenteignet und vertrieben worden sind. Libyen und Syrien sind heute „judenfrei“. In Ägypten leben noch etwa zehn alte jüdische Frauen. Es sind mehr Juden nach Israel geflohen, als „Araber aus Palästina“ vom Staatsgebiet Israels weggezogen sind.

Mangel an Verantwortung

Weiter schreibt Stuhlmann: „Die von den Vereinten Nationen beschlossene Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat hat zu einem grausamen Krieg geführt, in dem es auf allen Seiten Opfer gegeben hat.“ Nicht die Empfehlung der UN-Generalversammlung von 1947 hat zu einem Krieg „geführt“. Den Krieg haben die arabischen Staaten Ägypten, Syrien, Libanon, Jordanien und andere beschlossen, weil sie keinen jüdischen Staat in ihrer Mitte dulden wollten. Deshalb fielen sie in der Nacht nach der Ausrufung Israels 1948 über den frisch gegründeten jüdischen Staat her, um ihn zu vernichten.

Im Gegensatz zu Deutschland hat in Nahost noch nie jemand eingestanden, einen Krieg verloren zu haben. Die unterlegenen Angreifer weigerten sich, Verantwortung für die Folgen ihres Tuns zu übernehmen, darunter das Schicksal der Araber aus Palästina, die von den arabischen Führern zur „zeitweiligen Flucht“ aufgerufen wurden.

Eine Frage der Definition

„Am Ende des Krieges hatten die Juden ihren Staat, der weit größer war, als es der Teilungsplan vorsah. Und die Palästinenser nichts.“ Bei Krieg weiß man vorher nie, was am Ende herauskommt. Bemerkenswert ist die Behauptung: „Und die Palästinenser nichts.“ Die haben in der Tat großes Pech gehabt, zumal es 1948 noch keine „Palästinenser“ im heutigen Sinn gab. Die Araber des britischen Mandatsgebiets Palästina haben sich erst 1968 mit der 2. von Jasser Arafat verfassten Charta der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) als Palästinenser konstituiert und gefordert, anstelle Israels einen Staat zu errichten.

Stuhlmann erwähnt, dass es „in diesen siebzig Jahren mindestens acht Kriege und zwei blutige Aufstände gegeben hat. Immer war Israel trotz schmerzlicher Verluste siegreich und die Palästinenser die Verlierer.“ Laut UN ist Krieg eine militärische Auseinandersetzung zwischen Staaten. Davon gab es nur vier: 1948, 1956, 1967 und 1973. Alles andere waren „Militäroperationen“ gegen Freischärler, Terrormilizen und „bewaffnete Arme von politischen Parteien“. Die Israelis haben sich gegen Raketenbeschuss und Selbstmordattentate in Bussen, Schulen und Restaurants gewehrt. Hätten die Juden sich etwa massakrieren lassen sollen, um den Palästinensern einen Sieg zu gönnen? Verschärfte Sicherheitskontrollen auf Flughäfen, Verriegelung der Pilotenkanzeln und Poller um Weihnachtsmärkte: Nach jedem Terroranschlag in Europa und den USA werden Sicherheitskontrollen mit israelischer Hilfe nachjustiert. Israels Geheimdienste haben allein 2017 mehrere Dutzend tödliche Anschläge in aller Welt verhindert.

Märtyrerkult christlicher Provenienz

„Die Staatsgründung Israels ist auch ein Datum im christlichen Märtyrerkalender. Im Ruinenfeld von Iqrit und Bir‘am in Galiläa sind nur die Kirchen stehen geblieben. Die Bewohner dieser beiden christlichen Dörfer wurden vertrieben. Nur als Leichen dürfen sie und ihre Nachfahren zurückkehren, um auf dem Friedhof am Rande der Ruinen ihrer Häuser begraben zu werden.“ Stuhlmann übernimmt hier den ansonsten in der evangelischen Kirche unüblichen palästinensischen Märtyrerkult. Juden können nicht einmal als Leichen in die arabischen Länder zurückkehren, um sich dort neben ihren zerstörten Synagogen begraben zu lassen.

Stuhlmann beklagt weiter die späten Friedensverhandlungen, erst mit Ägypten und Jordanien und dann mit der PLO. Er erwähnt nicht das dreimalige „Nein“ der arabischen Welt 1967 in Khartum, das jegliche Kontakte mit Israel ausschloss. Und dann schreibt er: „Und doch steht die Anerkennung eines palästinensischen Staates immer noch aus – auch durch unsere Regierung.“ Ihm scheint unbekannt zu sein, dass die Palästinenser bis heute ihren Staat nicht ausgerufen haben. Denn dann würden sie Milliardensummen verlieren, die ihnen als „Aufbauhilfe für den künftigen Staat“ geschenkt werden. Sowie sie einen Staat ausgerufen hätten, stünde ihnen bestenfalls eine kümmerliche „Entwicklungshilfe“ zu. Wie kann Stuhlmann von Deutschland die Anerkennung eines Staates fordern, der nicht einmal existiert?

Den Höhepunkt der Geschichtsklitterung erreicht das Arbeitspapier der EKiR mit dem Satz: „Die palästinensischen Christen leben seit zweitausend Jahren im Land.“ Dann gab es also „palästinensische Christen“ vor der Kreuzigung und Auferstehung Jesu. Vielleicht war ja auch Jesus ein „palästinensischer Christ“ und Araber, noch bevor Kaiser Hadrian mehr als 100 Jahre später die römische Provinz „Judäa“ in „Syria-Palästina“ umbenannt hat, um jegliche Erinnerung an die Juden zu tilgen?

Kirchenrat Volker Haarmann zeichnet verantwortlich für diese „Gottesdienst-Arbeitshilfe“. Präses Manfred Rekowski hat das Grußwort verfasst. Beide nehmen an der Reise teil. Auf Nachfrage erklärte Pressesprecher Iven, dass es zwischen jenem Arbeitspapier und der „historischen Reise“ keinen Zusammenhang gebe.

Die Argumente Stuhlmanns stammen aus dem klassischen Repertoire palästinensischer Propaganda zur Delegitimierung Israels und der Juden. Es fragt sich, welchen Sinn Vertreter jüdischer Gemeinden in Deutschland in dieser „ökumenischen Reise“ sehen.

Landesverband sagt gemeinsame Reise ab

Unterdessen hat der Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein mitgeteilt, an der Reise nicht teilzunehmen. Die Entscheidung für die Absage fiel laut einer am Dienstag veröffentlichten Pressemitteilung einstimmig aus. Als Grund gab der Vorstandsvorsitzende des Landesverbandes, Oded Horowitz, besagten Text von Stuhlmann an: „Die darin geäußerte Verunglimpfung des Staates Israel als brutale Besatzungsmacht und die Unterschlagung historischer Fakten sind für uns nicht hinnehmbar. Zur 70. Jubiläumsfeier der Gründung des Staates Israel auf die Lebenslage der palästinensischen Bevölkerung als direktes Resultat der Staatsgründung Israels zu verweisen, stellt das Existenzrecht Israels in Frage und hinterlässt einen faden Beigeschmack antizionistischer Stereotype.“

In der Mitteilung heißt es weiter, Präses Rekowski habe Horowitz persönlich mitgeteilt, dass der Text keine Grundlagenerklärung der Landeskirche sei, sondern ein namentlich gekennzeichneter Beitrag. Das genügt aus Sicht des Landesverbandes jedoch nicht: „Zur Aufrechterhaltung der gemeinsamen Reisepläne wäre für uns eine unmissverständliche Erklärung der Kirchenleitung bzw. Distanzierung zu dem Artikel notwendig gewesen, die genau dies ausdrückt.“

Der Landesverband betont weiter, den seit geraumer Zeit aufgenommenen Dialog zwischen Juden und Christen fortsetzen zu wollen. Inwischen plane der Landesverband eine eigene Israel-Reise „als Zeichen der Solidarität mit Israel“.

Landeskirche: Offen für sachliche Kritik

Die EKiR bedauert den Rückzug des Landesverbandes. „Gerade weil wir in vielen konstruktiven Gesprächen mit unseren jüdischen Partnern festgestellt haben, dass wir bei historischen und politischen Fragen auch unterschiedlicher Meinung sind, haben wir gemeinsam diese Reise nach Israel geplant, um Gemeinsamkeiten in unseren Positionen noch besser wahrnehmen zu können, aber auch Unterschiede präziser zu beschreiben“, erklärte Rekowski laut einer Pressemitteilung. „Gerne hätten wir auch die Reise mit dem Landesverband für das Gespräch über diese kontroversen Themen genutzt. Dort, wo sachliche Kritik an der Arbeitshilfe geübt wird, beschäftigen wir uns selbstverständlich damit.“

Nach der Absage werden die Mitglieder der Kirchenleitung nun auch nicht nach Israel reisen, „da das Anliegen, nämlich die Begegnung mit dem Landesverband und das gemeinsame Feiern des Jubiläums der israelischen Staatsgründung durch den überraschenden Rückzug des Landesverbandes hinfällig geworden ist“.

Von: Ulrich W. Sahm

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