JERUSALEM (inn) – Karfreitag ist der Tag, an dem Christen in aller Welt des Todes Jesu gedenken. Die Pilgerschaft zum Heiligen Grab ist bis heute auch ein Memento Mori. Die Grabeskirche (oder Auferstehungskirche) in Jerusalem ist eine der heiligsten Stätten der Christenheit. Insgesamt sechs christliche Konfessionen teilen sich hier die zahllosen Kapellen in der vor 1.700 Jahren von Kaiser Konstantin errichteten Basilika. Doch die Christen sind nur Untermieter.
Seit etwa 1.000 Jahren bewahren zwei muslimische Familien den klobigen handgeschmiedeten Schlüssel zur heiligsten Kirche der Christenheit. Zurzeit ist Wadschi Nusseibeh, ein ruhiger höflicher älterer Herr im grauen Anzug, der Torwärter. Kaum ein Pilger bemerkt ihn. Meist sitzt er still auf einer Holzbank am Eingang. Wenn einer der christlichen Patriarchen anklopft, erhebt er sich ruhig und gewährt den Prozessionen Einlass.
Doch letztens blieben die 1.000 Jahre alten Holztore des größten christlichen Heiligtums drei Tage verschlossen. Den gemeinsamen Beschluss fassten der griechisch-orthodoxe Patriarch Theophilos III., der armenische Patriarch Nourhan Manougian und der Franziskanerkustos Francesco Patton. Von weit her angereiste Pilger standen ohnmächtig und frustriert vor dem Gotteshaus, das am Ende der Via Dolorosa auch für viele Menschen der Abschluss einer biografisch bedeutenden Wegesstrecke ist.
Geschlossene Grabeskirche aus Protest
Der Beschluss, zum ersten Mal seit 30 Jahren das Tor verschlossen zu halten, war ein Protest der Kirchenführer gegen die Absicht der Jerusalemer Stadtverwaltung, fortan Stadtsteuern (Wasser, Müll und andere Dienstleistungen) auch von „kommerziellen“ christlichen Einrichtungen zu verlangen. Hotels, Hospize und Restaurants waren bisher dank osmanischer Gesetze von Abgaben befreit und genossen eine Art diplomatische Immunität. Dabei sind manche christliche Herbergen Goldgruben mit Preisen, die mit sonst üblichen Hotels konkurrieren.
„Kirchenbezogene Tätigkeiten“ sollten nicht betroffen sein, sehr wohl aber Grundstücke, die zu Schleuderpreisen vom griechischen Patriarchen an ausländische Spekulanten, darunter auch jüdischen Organisationen, verscherbelt worden sind. Halb Jerusalem, darunter teuerste Wohngegenden, die Knesset, der Sitz des Staatspräsidenten und andere prominente Gebäude, sind auf Grund und Boden errichtet worden, den die griechische Kirche für jeweils 99 Jahre verpachtet hat. Diese Pachtzeit läuft bald aus. Bewohnern im vornehmen Stadtviertel Rehavia könnte dann buchstäblich der Boden unter ihren Häusern weggezogen werden.
Israelische Regierung machte Rückzieher
Wegen des Streiks, der Schließung der Grabeskirche und der weltweiten Aufmerksamkeit machten Israels Regierung und Jerusalems Bürgermeister Nir Barkat verschreckt einen schnellen Rückzieher. Die Idee, Steuern einzuziehen, wurde auf Eis gelegt. Das Ganze soll einvernehmlich mit den Kirchen ausdiskutiert werden. Daraufhin wurden die Tore der Grabeskirche wieder geöffnet, aber die Spannungen sind nicht behoben.
Nicht alle Jerusalemer Christen standen hinter dem Entscheid der Kirchenführer. Mit ungewöhnlich scharfen Worten meldete sich am 28. Februar der Rektor des katholischen Österreichischen Hospizes in Jerusalem, Markus Bugnyar, zu Wort: „Aus finanziellen Gründen Menschen ‚bis auf weiteres‘ am Beten zu hindern, ist wohl kaum im Sinne Jesu, der die Händler aus dem Tempel trieb. Pilger in Geiselhaft zu nehmen und sie von der wichtigsten Kirche der Christenheit ‚fernzuhalten‘, um ein fragiles Steuerparadies zu prolongieren, ist keine besonders inspirierte Leistung“, schrieb der katholische Geistliche auf Facebook. Er verwies auf den seit Jahren verhandelten, jedoch bis dato nicht unterzeichneten Grundlagenvertrag zwischen der katholischen Kirche und Israel.
Es geht nicht nur um Geld, sondern um hohe Politik
Die Christen sind in Nahost eine stark verfolgte Minderheit, verfügen aber über weltumspannende internationale Kontakte und haben deshalb politischen wie moralischen Einfluss. Das Verhältnis zu Israel war von Anfang an schwierig. Eine Station auf dem Leidensweg zwischen dem jüdischen Volk und der Kirche war die Visite von Zionistenführer Theodor Herzl 1904 im Vatikan, um Papst Pius X. zu bitten, ihn bei der Errichtung eines modernen jüdischen Staates zu unterstützen.
Herzl schrieb dazu am 26. Januar 1904: „Gestern wurde ich von Papst Pius X. empfangen. Er streckte mir die Hand entgegen, die ich nicht küßte. Er saß auf einem Stuhl, einer Art Thron für ‚weniger wichtige Angelegenheiten‘ und lud mich ein, bei ihm zu sitzen… Ich erklärte ihm mit wenigen Worten mein Anliegen. Er aber… antwortete mir brüsk: ‚Wir können Ihre Bewegung nicht gutheißen. Wir können die Juden nicht daran hindern, nach Jerusalem zu gehen, wir können dies aber auch niemals gutheißen. Wenn er nicht heilig war, wurde der Boden Jerusalems durch das Leben Jesu Christi geheiligt. Als Haupt der Kirche kann ich Ihnen keine andere Antwort geben. Die Juden haben Unseren Herrn nicht anerkannt. Wir können nicht das jüdische Volk anerkennen. … Jerusalem darf um keinen Preis in die Hände der Juden fallen.‘“
Der Begründer des Zionismus ergänzte: „Geradezu ultimativ erklärte der Papst weiter: ‚Entweder werden die Juden weiterhin ihren alten Glauben bewahren und weiterhin auf den Messias warten, von dem wir Christen glauben, daß er bereits auf die Erde gekommen ist. In diesem Fall leugnen sie die Gottheit Christi und wir können ihnen nicht helfen, oder sie gehen nach Palästina ohne irgendeine Religion zu bekennen, in diesem Fall haben wir nichts mit ihnen zu tun.‘“ Anders ausgedrückt: Die Juden sollten ihre Religion aufgeben und Christen werden.
Haltung des Vatikan zu den Juden
Inzwischen hat sich viel verändert in der Haltung des Vatikans zu den Juden, aber nicht vollständig: Der Vatikan betreibt bis heute eine „Internationalisierung“ Jerusalems, als „Corpus separatum“ unter der Verwaltung und Souveränität des mehrheitlich „christlichen“ UNO-Sicherheitsrates. Dahinter steckt der Wunsch, das „Heilige Becken“ Jerusalems mitsamt seinen Heiligen Stätten weder den Juden noch den Moslems zu überlassen. Vorgeblich wegen solcher theologischer Bedenken hat der Vatikan auch erst 1994 im Zuge der Osloer Verträge den jüdischen Staat Israel diplomatisch anerkannt und kürzlich, als einer der ersten westlichen Staaten, die Einrichtung einer palästinensischen Botschaft zugelassen.
Die großen christlichen Kirchen, die in der Grabeskirche ständig mit eigenen Priestern präsent sind, fechten immer wieder auch untereinander historische Fehden aus. Es kommt gelegentlich sogar zu Prügeleien, wobei dann israelische Polizisten schlichten. Dafür setzen die Israelis meist christliche Ordnungshüter ein, um Fehlverhalten durch Unwissen zu vermeiden. So konnten die Christen sich nicht einmal auf dringend notwendige Renovierungsarbeiten in dem Kirchengebäude einigen. Viel zu schwere Marmorplatten und schlechter Mörtel drohten trotz eines britischen Stahlkorsetts abzubrechen und Pilger zu erschlagen. Erst als die Israelis ankündigten, die Kirche wegen Baufälligkeit und Lebensgefahr zu sperren, einigten sich die sechs verantwortlichen Gemeinschaften auf eine dringend notwendige Reparatur des 1809 im osmanischen Barock errichteten Aufbaus (Ädikula) über dem Grab Jesu.
Uralte jüdische Gemeinden wurden vernichtet
Evangelische und katholische Christen bieten sich immer wieder als „neutrale“ Vermittler im Konflikt zwischen Juden und Moslems, Palästinensern und Israelis an. Doch mit Ausnahme der Armenier, die wegen ihres 1915 durch die Türken erfahrenen Holocaust ein gewisses Mitgefühl für die Juden entwickelt haben, können vor allem die europäischen Christen auf eine fast 2.000-jährige Tradition judenfeindlicher Verfolgungen zurückblicken. In Nahost schlägt das heute in eine pro-palästinensische und anti-israelische Politik um. Die Nähe der libanesischen Maroniten, der syrischen Jakobiner, der ägyptischen Kopten zu ihren Mutterländern ist leicht nachvollziehbar und mündet oft in Feindseligkeit gegenüber dem Staat Israel. Was wenige wissen: Zu Hunderttausenden sind Juden aus diesen „Feindstaaten“ Israels vertrieben worden. Uralte jüdische Gemeinden wurden vernichtet und enteignet. Viele ihrer Mitglieder fanden in Israel eine neue Heimat.
Die Christen selbst haben einen schweren Stand im Heiligen Land. Während im Gazastreifen unter der Hamas-Herrschaft die Zahl der Christen von etwa 5.000 auf nur noch 1.000 gesunken ist, liegen keine zuverlässigen Zahlen über die zurückgebliebenen Christen im Westjordanland vor. Viele fliehen ins sichere Israel oder ins Ausland. Die wenigen verbliebenen Christen in Bethlehem, Jericho oder Hebron halten sich wegen Verfolgungen, Kirchenbränden und offener Diskriminierung bedeckt. In Gaza wie anderswo gab es auch Mordfälle.
Die Wirklichkeit wird verschleiert
In Publikationen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) oder des Vatikans werden anstelle absoluter Zahlen einer wachsenden Christenheit in Israel nur Prozente des christlichen Bevölkerungsanteils seit 1948 veröffentlicht. So wird der Eindruck erweckt, dass auch in Israel die Christen schwinden. Doch die Zahl der eher wohlhabenden und bestens ausgebildeten Christen bleibt bestenfalls konstant mit durchschnittlich nur 1,3 Kindern pro Familie, während sich die Moslems auf natürlichem Wege (7 Kinder) rasant vermehren und sich die jüdische Bevölkerung dank massiver Einwanderungswellen etwa der Russen und Äthiopier um 1990 und heute der Franzosen und Ukrainer immer wieder schubweise massiv vergrößert.
In den palästinensischen Gebieten müssen sich Christen zu ihrem eigenen Schutz solidarisch mit der Hamas oder der Autonomiebehörde einschmeicheln. In Israel befürchten sie keine Verfolgung und können sich deshalb laute politische Kritik erlauben. Wenn es dennoch in Israel zu Attacken auf christliche Einrichtungen kommt, wie der Brand in Tabgha, sucht die Polizei landesweit die Täter, Spitzenpolitiker verurteilen die Tat, und der Staat beteiligt sich an den Reparaturkosten.
Ein weiteres Beispiel für eine politisch motivierte Kirchenpolitik war die Bischofsweihe für den Pastor einer winzigen palästinensischen Gemeinde durch die EKD, während dem Propst, also dem Oberhaupt der lutherisch-evangelischen Erlöserkirche, dieser Titel verweigert wurde. So konnte Bischof Munib Younan von 2010 bis 2017 Präsident des Lutherischen Weltbundes sein, während der deutsche Propst, mangels Bischofstitel, nicht einmal zu Empfängen für Kirchenoberhäupter eingeladen wird. Bis zu einem Frieden im Heiligen Land werden wohl auch die Kirchen noch einige Wege zu gehen haben.
Von: Urich W. Sahm