Der 10. Februar hat Israel eine merkwürdige Mischung aus Triumph und Verdruss beschert. Nachdem eine iranische Drohne in israelischen Luftraum eingedrungen war, schlugen die Israelis mit Härte zurück und griffen die Luftwaffenbasis Tijas 60 Kilometer westlich von Palmyra an. Von dort war das Fluggerät gestartet. Die Mission war erfolgreich, eine blutige Nase holten sich die Israelis dennoch: Auf dem Weg zurück wurde ein Kampfflieger von der syrischen Flugabwehr vom Himmel geholt. Die Luftwaffe antwortete darauf wiederum mit einer zweiten Angriffswelle auf Flugabwehr-Batterien. Insgesamt griff Israel an diesem Samstagmorgen 15 Ziele an.
Der Vorfall ist in vieler Hinsicht bemerkenswert. Zum ersten Mal seit 1982 wurde ein israelischer Jet abgeschossen; auch damals war die syrische Luftabwehr dafür verantwortlich. Ebenfalls seit 1982 hat die Luftwaffe keinen Angriff dieses Ausmaßes geflogen. Das wichtigste aber: Zum ersten Mal überhaupt ist der Iran direkt, und nicht über seine verlängerten Arme wie die Terrormiliz Hisbollah, auf Konfrontationskurs mit Israel gegangen.
Zu den bemerkenswerten Aspekten zählt eigentlich auch das Eindringen der Drohne. Doch die Israelis haben genau das zugelassen. Nach Aussagen der Armee war die Drohne schon länger auf dem Radar, und die Armee ließ sie kommen, um sie dann in israelischem Gebiet abzuschießen. Israel wollte mit dieser „Beute“ einmal mehr eine Botschaft loswerden: Der Iran ist militärisch in Syrien präsent, und er weitet seinen Einfluss in der Region aus; es wäre toll, wenn sich auch andere dem entgegenstellen würden.
Unglücklicher Verlauf
Mit dem Abschuss des Jets ist der Preis des Gegenschlages höher ausgefallen als angenommen. Ärgerlich ist das für die Israelis in mehrfacher Hinsicht. Zwar ist die Sache für den Piloten und seinen Navigator glimpflich ausgegangen, beide retteten sich mit ihren Schleudersitzen über israelischem Gebiet. Aber nach ersten Untersuchungen der Luftwaffe ist der Abschuss auf eigenes Versagen zurückzuführen. Offenbar wurde die Rakete schlicht zu spät erkannt. Der Kampfflieger, den die Rakete eigentlich ins Visier genommen hatte, konnte ihr noch ausweichen. Die Rakete explodierte letztlich neben dem anderen Flugzeug, und beschädigte es so, dass der Pilot es nicht mehr kontrollieren konnte.
Doch nicht nur der abgeschossene Jet ist schmerzlich, sondern auch die Bilder davon: Die bleiben im Gedächtnis. Da hilft es wenig, wenn die Luftwaffe beteuert, dass sie nahezu die Hälfte der syrischen Luftabwehr-Batterien zerstört hat; dass eine schwierige Militäroperation weit in syrisches Gebiet hinein phänomenal gelungen ist; dass sich an der Lufthoheit Israels trotz des Abschusses nichts geändert hat. Militärisch gesehen mögen die Israelis das Scharmützel gewonnen, die Gegenseite damit sogar überrascht und beeindruckt haben. Den Kampf der Bilder haben sie verloren.
Bei alledem ist noch zu klären, ob der Iran die Israelis in einen Hinterhalt gelockt hat – das wäre das nächste Ärgernis. Denn: Mit einer Reaktion auf die Drohne konnten die Iraner rechnen. Auf israelischer Seite hat aber offenbar niemand mit derartigem Widerstand gerechnet. Viele Luftschläge in Syrien, etwa gegen Waffentransporte der Hisbollah, gingen ohne größere Probleme über die Bühne. Nun sprach die Armee aber von „heftigem“ Widerstand – und etwas Überraschung schwingt in dieser Aussage mit. Der frühere Brigadegeneral Jossi Kuperwasser formulierte es in seiner Betrachtung des Vorfalls so: „Wir haben uns daran gewöhnt, anzugreifen, ohne auf Widerstand zu stoßen.“
Iranische Spieleröffnung
Fest steht aber eines: Dem Iran ging es an jenem Samstag mindestens darum, die israelische Reaktion auf eine Grenzüberschreitung zu testen, und damit eine Art Standortbestimmung zu betreiben, was die eigenen Fähigkeiten und die der Israelis angeht. Hier ist dann auch der Grund zu suchen, warum es Israel nicht beim Abschuss der Drohne beließ, sondern die Luftwaffenbasis angriff: „Für die Iraner gibt es nichts Besseres, als Grenzen zu testen und damit davonzukommen“, erklärte der Leiter des israelischen Geheimdienstministeriums Hagai Zuriel. „Deshalb sollten wir das nicht zulassen.“
Und dieser Versuch der Standortbestimmung ist dann nichts anderes als der Vorbote für künftige, womöglich direkte Auseinandersetzungen mit dem Iran. Der frühere Armeesprecher Peter Lerner beschreibt es als ersten Zug in einem neuen Schachspiel – wenn der blutige Konflikt einmal so genannt werden darf. Und ein neues Schachspiel entsteht deshalb, weil der Iran zwei andere Partien bereits gewonnen zu haben scheint: Das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad ist gefestigt, und der Islamische Staat kontrolliert nur noch kleine Gebiete im Südosten Syriens. In dem neuen Schachspiel geht es um die Nachkriegsordnung in Syrien – und damit kommt Russland als Rivale in den Blick.
Gerangel um Syrien
In den vergangenen Jahren hat Moskau zwar mit dem Iran kooperiert, etwa für Luftunterstützung gesorgt, wenn vom Iran kontrollierte Milizen auf dem Boden kämpften. Doch die Islamische Republik verfolgt in Syrien Ziele, die Moskaus Interessen entgegenstehen: Ein von Teheran kontrollierter Landkorridor über den Irak bis ans Mittelmeer soll her. Syrien soll ein Staat in Abhängigkeit des Iran werden. Zusammen mit dem Libanon, wo bereits mehr als 120.000 Raketen gegen Israel gerichtet sind, soll so die „Achse des Widerstandes“ ausgebaut werden, die sich dann der Auslöschung des jüdischen Staates widmet. Erst am Donnerstag bestätigte Kassem Sulaimani, der Kommendeur der Al-Quds-Brigaden, der Eliteeinheit der Revolutionsgarden, dieses Vorhaben.
Dass diese Pläne bereits weit vorgedrungen sind, zeigt der Umstand, dass das israelische Militär gar keinen „Dritten Libanonkrieg“ mehr erwartet, sondern einen „Krieg im Norden“ – mit der syrischen Front eingeschlossen. Sechs Kilometer von den israelischen Golanhöhen entfernt steht ein Beobachtungs- und Kommandozentrum der Al-Quds-Brigaden. Israel kämpft seit Längerem mit Luftschlägen gegen diese Entwicklung an: Gegen Waffentransporte und Militärbasen, mit denen der Iran in Syrien Fuß fassen will.
Und weil die Schläge den Russen in die Karten spielen, lassen diese die Israelis gewähren. Russland und Israel stimmen sich eng ab; der israelische Premier Benjamin Netanjahu besuchte Russlands Präsidenten Wladimir Putin siebenmal in den vergangenen zweieinhalb Jahren – seit dem Beginn der russischen Intervention in Syrien. Russische Kampfflieger dürfen israelischen Luftraum benutzen, und die Luftangriffe der Israelis geschahen „von Russlands Gnaden“, wie ein Journalist der „Times of Israel“ es formulierte: Die von Moskau für Syrien bereitgestellte Luftabwehr blieb dabei stumm. Im aktuellen Fall scheinen Batterien aktiv geworden zu sein, die nicht von Russland kontrolliert wurden.
Der Vorfall von Samstag zeigt, dass der Iran vorhat, die Machtbalance in Syrien zu seinen Gunsten zu verschieben, und sich also beim Aufbau seiner militärischen Präsenz nicht mehr stören zu lassen. Den Schlägen der Israelis soll entsprechender Widerstand geleistet werden; das syrische Regime kündigte am Dienstag nach dem Vorfall jedenfalls schon einmal „weitere Überraschungen“ für den Fall weiterer Luftschläge an.
Ein Weckruf
Das bedeutet, dass Israel wohl noch mehr als bislang darauf drängen wird, Front gegen den Iran zu machen – nicht nur bei den Russen, sondern auch bei den Amerikanern, denen derzeit nur eine Randrolle in Syrien zukommt. Moskau war in dieser Hinsicht bislang vorsichtig, denn es braucht den Iran und dessen Milizen. Aber immerhin hat der stellvertretende russische Botschafter in Israel, Leonid Frolov, am Donnerstag versichert: Israels Anspruch, keine dauerhafte Militärpräsenz des Iran in Syrien zu dulden, ist „absolut legitim“. Griffe der Iran Israel an, würde Russland Israel unterstützen.
Nach diesem bemerkenswerten Samstag dürfte es allen Beteiligten – auch dem Iran – erstmal darum gehen, weitere Eskalationen zu vermeiden. Denn die würden den Zielen Russlands wie auch des Iran derzeit mehr schaden als nutzen. Vor allem soll der nun anstehende politische Prozess in Syrien nicht gefährdet werden.
Will man in der Provokation des Iran einen positiven Aspekt finden, dann vielleicht diesen: Wer es bislang noch nicht begriffen hat, dem wurde damit der Ernst der Lage angesichts der iranischen Expansion in Syrien und im Libanon in aller Deutlichkeit aufgezeigt. Die amerikanische UN-Botschafterin Nikki Haley sprach am Donnerstag im Sicherheitsrat von einem „Weckruf für uns alle“. Und für den Journalisten Thomas L. Friedman von der „New York Times“ steht seit diesem Samstag fest: Das Frontgebiet zwischen Israel und Libanon/Syrien ist „die gefährlichste Ecke der Welt“.
Von: Daniel Frick