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Ein einziges Rätsel

Zum 100. Jubiläum der Balfour-Erklärung will der britische Außenminister Boris Johnson eine „Vision“ zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes vorgelegt haben. Nicht nur wegen ungenauer Formulierungen ist dieser Vorstoß kaum hilfreich. Eine Analyse von Daniel Frick
Interessiert sich für den israelisch-palästinensischen Konflikt: der britische Außenminister Johnson

Aus Anlass des 100. Jubiläums der Balfour-Erklärung hat der britische Außenminister Boris Johnson eine kleine Rückschau mit Anmerkungen zur Gegenwart verfasst. Der Text, der im Kern für eine Zwei-Staaten-Lösung plädiert, ist allerdings widersprüchlich, lässt die nötige gedankliche Feinheit vermissen und belegt damit, dass die Briten nach wie vor eher auf die arabische Stimmungslage als auf die Wirklichkeit vor Ort achten.

Der dem Buchstaben nach klügste Satz kommt in dem Schreiben gegen Ende. Dort sinnt Johnson über die Folgen einer Zwei-Staaten-Lösung nach: „Es sind die Israelis und die Palästinenser – nicht wir, die wir weit weg leben –, die den Schmerz des Kompromisses ertragen müssen.“ Daher schreibe er seinen Text mit „gebührender Demut“.

So löblich diese Worte auch sind, sie entsprechen nicht dem Geist des zuvor Geschriebenen. Es ist umgekehrt anmaßend, wenn er die Zwei-Staaten-Lösung als „einzig tragfähig“ beschreibt. US-Präsident Donald Trump – man glaubt es kaum – ist in dieser Hinsicht gedanklich weiter. Im März hat er vorgeschlagen, es den betroffenen Parteien zu überlassen, welche Lösung sie für tragfähig halten.

Unvorsichtige Formulierung

Anmaßend ist es auch, wenn Johnson den Vorschlag der Peel-Kommission von 1937, die eine Zwei-Staaten-Lösung angeregt hatte, als „Vision“ versteht. Die Wahrheit ist, dass die Briten mit dem Vorschlag auf arabische Gewalt reagierten. Die Araber lehnten den Vorschlag übrigens ab, genauso wie 20 Jahre später einen ähnlich gelagerten durch die Vereinten Nationen: Ein jüdischer Staat darf nicht sein!

Abgesehen davon – und das lässt Johnson freilich ebenfalls unerwähnt – wurde das Land, das britische Mandatsgebiet Palästina, bereits 1922 geteilt. In dem Gebiet östlich des Jordans entstand das spätere Jordanien. Und anders als Johnson es andeutet, war 1947 keineswegs von einem „Heimatland für das palästinensische Volk“ die Rede, sondern von einem arabischen Staat. Denn die Bezeichnung „palästinensische“ für die arabischen Bewohner des ehemaligen Mandatsgebietes entstand erst Ende der 60er Jahre.

Einseitiger Blick

Es ist an sich schon erstaunlich, dass der Chefdiplomat eines Landes mit derart groben Formulierungen hantiert. Ein Rätsel ist aber, wie Johnson zu der Feststellung kommt, ein Aspekt der Balfour-Erklärung sei noch nicht eingelöst, nämlich der Schutz der Bürger- und Religionsrechte der nichtjüdischen Gemeinschaften. Araber dürfen in Israel wählen, sich bilden, Karriere machen, und ihre Religion ausüben. Juden hingegen dürfen nur unter Sicherheitsvorkehrungen das Josefsgrab in Nablus besuchen, auf dem Tempelberg dürfen sie nicht beten. Warum prangert Johnson das nicht an? Im Übrigen bedeutet auch Frieden keineswegs, dass Juden zu ihrem Recht kommen. Seit 1994 herrscht offiziell Frieden zwischen Jordanien und Israel, aber wenn Juden dort beten wollen, ist das noch immer ein Problem.

Es wäre wünschenswert, wenn 100 Jahre nach der Balfour-Erklärung der Blick auf den Nahen Osten sensibler und realistischer ausfallen würde. Wie steht es denn um die Anerkennung eines jüdischen Staates durch Araber? Wäre nicht damit der eigentliche Kreis der Balfour-Erklärung geschlossen, wie Johnson es formuliert? Bedeutet die Gründung eines palästinensischen Staates wirklich, dass dort Bürger- und Religionsrechte gewährleistet sind?

Diesen Fragen weicht Johnson im Grunde aus. Genau das ist aber falsch, wenn Großbritannien, wie Johnson es anbietet, bei der Lösung dieses Konfliktes mithelfen will. Da er nicht einmal in einem solch kurzen Beitrag auf präzise Formulierungen achtet, wäre es verständlich, wenn die Israelis das Angebot freundlich zur Kenntnis nehmen, und dann ein ebenso höfliches „Thanks, but no thanks“ folgen lassen.

Von: Daniel Frick

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