Wollte Israel im Sinai 1967, kurz vor Ausbruch des Sechs-Tage-Krieges, eine Atombombe sprengen? Der Atompilz sollte demnach von Kairo aus gesehen werden und den damaligen Präsidenten Gamal Abdel Nasser davor abschrecken, einen Vernichtungskrieg gegen Israel zu führen. Helikopter sollten die Atombombe auf der Spitze eines Berges nahe dem ägyptischen Stützpunkt Abu Gaeila absetzen und zur Explosion bringen.
Der 2013 im Alter von 87 Jahren verstorbene Brigadegeneral Itzhak Jaakov hatte 1999 dem israelischen Atomforscher Avner Cohen vom „Woodrow Wilson International Center for Scholars in Washington“ dieses „letzte Geheimnis des Sechs-Tage-Krieges“ in mehreren Interviews ausgeplaudert. Jaakov war vor 1967 verantwortlich für die Entwicklung von Waffensystemen. So befehligte er angeblich auch die besagte „Operation Schimschon“.
2001 wurde Jaakov im Alter von 75 verhaftet, nachdem er mit dem israelischen Journalisten Ronen Bergman ebenfalls über das israelische Atomprogramm geredet habe. Dessen Artikel fielen der Militärzensur zum Opfer. Jaakov wurde wegen „Hochverrat und Gefährdung der Sicherheit Israels“ bei einem geheimen Prozess zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt.
Cohen hatte dem alten Brigadegeneral versprochen, die Inhalte der Interviews über die angeblich geplante Atomexplosion bei „gegebenem Anlass“ zu veröffentlichen. Dieser Anlass sei jetzt mit dem 50. Jahrestag des Krieges gekommen. Cohen gab seine Aufzeichnungen der „New York Times“ weiter, die nicht der israelischen Militärzensur unterliegt und so den Bericht ungehindert veröffentlichen konnte. Die israelischen Reaktionen auf die Enthüllungen waren von Skepsis begleitet. Die israelische Botschaft in Washington hatte sich strikt geweigert, einen Kommentar zu General Jaakov abzugeben.
Historiker: Nirgendwo ein Hinweis
Der Historiker, ehemalige Botschafter in den USA und stellvertretende Minister Michael Oren erklärte, dass auch er mit General Jaakov gesprochen hatte. Dessen Erzählungen seien „fragwürdig“ und „halten nicht das Wasser“. Oren habe „hunderttausende Seiten geheimer Dokumente“ geprüft und nirgendwo einen Hinweis gefunden. Es gebe keine zweite Quelle für jene vermeintlichen Pläne. Er warf dem Atomforscher Cohen vor, sich allein auf Jaakov als einzige Quelle gestützt zu haben. Für einen Historiker sei das „nicht akzeptabel“.
Fraglich ist gemäß anderen Sprechern, ob Israel 1967 überhaupt schon eine funktionierende Atombombe besessen hat. Jaakovs Erzählungen könnten genauso gut eine „theoretische Gedankenübung“ ohne „konkrete Grundlagen“ gewesen sein. Die „Operation Schimschon“ sei jedenfalls in der politischen Führung Israels nie diskutiert worden.
Die nuklearen Kapazitäten Israels und gar die Frage, ob Israel überhaupt eine Atombombe besitzt, sind ein streng gehütetes Geheimnis. Das Thema ist ein Tabu. Grundsätzlich bezieht Israel dazu eine Doppelhaltung: Es bestätigt nichts, dementiert aber auch keine Gerüchte. So steht Israel im Ausland im Ruf, eine Atommacht zu sein, doch gibt es dafür keinen einzigen Beweis, da Israel noch nie einen Atomtest durchgeführt hat.
Abweichende Zahlenangaben
Amerikanische Präsidenten, Friedensinstitute in Schweden und anderswo sowie die Wiener Atombehörde haben immer wieder über israelische Atombomben spekuliert. Auffällig ist dabei, dass jede Quelle unterschiedliche Zahlen nennt. Israel besitze demnach zwischen 100 und 400 Atombomben. Diesen unterschiedlichen Zahlen kann man entnehmen, dass niemand genaue Informationen besitzt, solange Israel eisern schweigt.
Gleichzeitig belässt der jüdische Staat seine arabischen Nachbarn in ihrem festen Glauben, dass er eine Atommacht sei. Dank dieser „Abschreckung“ haben die arabischen Staaten seit 1973 keinen Krieg mehr gegen Israel geführt. Der ägyptische Präsident Anwar el-Sadat hat seinerzeit eingestanden, aus eben diesem Grund beschlossen zu haben, 1979 Frieden mit Israel zu schließen: „Wenn ein Feind unbesiegbar ist, kann man genauso gut Frieden schließen. Das kommt billiger.“
Kontrolle hätte verheerende Folgen
Solange alle Welt glaubt, dass Israel eine Atommacht sei, könnte es im Prinzip auch sein, dass es gar keine Atombombe besitzt, sondern nur so tut als ob. Sollte Israel jedoch gezwungen werden, Inspektoren der Atombehörde oder der UNO das ganze Land durchsuchen zu lassen, und diese tatsächlich nirgendwo eine „Bombe im Keller“ finden, hätte das verheerende Folgen. Denn jene arabischen Staaten oder der Iran, die täglich – bis heute – eine physische Zerstörung Israels propagieren, könnten dann ohne Furcht angreifen, ohne mehr einen Zweitschlag befürchten zu müssen.
Ulrich W. Sahm