Der Rüpel in Washington hatte es wieder getan: Mir nichts dir nichts stellte US-Präsident Donald Trump Mitte Februar etablierte Denkmuster in Frage. Im Beisein des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu verkündete er, die Zwei-Staaten-Lösung sei nicht länger die einzige Option für die Beilegung des Konfliktes zwischen Israelis und Palästinensern. Sie steht nun gleichberechtigt neben anderen, etwa der Ein-Staat-Lösung; und welche Lösung gut für die Region ist, entscheiden die Betroffenen vor Ort.
Dabei galt die Zwei-Staaten-Lösung jahrelang als unantastbare Lehre und Chiffre für umfassenden Frieden: Wie sonst würde es gelingen, Palästinensern Gerechtigkeit, ja Befreiung zu bringen? Auch die meisten Journalisten hielten sich allzu gerne und umstandslos an diese Denkweise; entsprechend kostete es einige Überwindung, Trumps neuen Denkansatz ihrem Publikum beizubringen. Mitunter wirkten sie dabei wie Eltern, die gerade verstanden haben, dass ihre Kinder doch nicht die Musik mögen, zu der sie früher getanzt haben.
In dieser Art von Berichterstattung konnte gar nicht der Gedanke aufkommen, dass Trumps Vorgaben durchaus etwas abzugewinnen ist. Dass er von den Betroffenen Eigenverantwortung verlangt, machte etwa das ZDF im „Heute Journal“ Trump zum Vorwurf. Dass er einen Denkprozess forderte, dessen Ausgang offen ist, bezeichnete Korrespondentin Nicola Albrecht als „planlos“. Und wenn Moderator Christian Sievers sagt, die Zwei-Staaten-Lösung sei „immer“ die Basis der internationalen Gemeinschaft gewesen, erhält dieser Ansatz einen überzeitlichen Wert, der ihm nicht zusteht.
Das zeigt ein schneller Blick zurück: Der UN-Teilungsplan von 1947 spricht zwar von einem jüdischen Staat und einem arabischen – wohlgemerkt nicht von einem palästinensischen – Staat. Die Araber lehnten den Plan aber ab. Die relevanten Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, die heute als Grundlage für die Verhandlungen gelten – etwa Nummer 242 von 1967 – sprechen nicht von einer Zwei-Staaten-Lösung. Sie fordern lediglich einen „dauerhaften Frieden“, ohne festzulegen, was das bedeutet. Auch im Oslo-Prozess in den 1990er Jahren war keine Rede davon, wie eine Lösung auszusehen hat; die Betroffenen vor Ort hatten dies durch Verhandlungen festzulegen. Selbst der 1995 ermordete israelische Premier Jitzhak Rabin – der heute oft als Befürworter der Zwei-Staaten-Lösung hingestellt wird – erklärte, ein palästinensisches Gemeinwesen werde „weniger als ein Staat“ sein.
Als erster US-Präsident sprach Bill Clinton von der Zwei-Staaten-Lösung im Sinne einer US-Außenpolitik. Der Konflikt würde niemals beigelegt werden ohne „einen souveränen, lebensfähigen palästinensischen Staat“, meinte er etwa zwei Wochen vor Ende seiner Amtszeit im Januar 2001. Sein Nachfolger George W. Bush übernahm das Konzept im Jahr 2002, auch die Vereinten Nationen sprachen nun davon. Mit dem 2003 eingerichteten „ergebnisorientierten Fahrplan“ von 2003 galt es als politisches Paradigma, über das hinaus es nichts zu denken gibt: Wer rechtschaffen ist, fordert die Zwei-Staaten-Lösung ein, während israelische Siedler diese „unterwandern“.
Berechtigte Zweifel
Doch Grund zur Skepsis bei der Zwei-Staaten-Lösung gab und gibt es genug. Da ist zunächst die Politik: Die Geschichte der gescheiterten Verhandlungen – zuletzt im April 2014 – ist ein Kapitel für sich. Zudem sind die Palästinenser von einer politischen Einheit weit entfernt: Im Gazastreifen herrscht die Hamas, die Fatah im Westjordanland. Gerade erst hat die Hamas den Bewohnern des Gazastreifens verboten, an den geplanten palästinensischen Kommunalwahlen teilzunehmen. Mit wem soll Israel verhandeln? Nicht zu vergessen ist, dass sich Palästinenserpräsident Mahmud Abbas im 12. Jahr seiner vierjährigen Amtszeit befindet. Jedes Ergebnis würde zur Frage führen, mit welchem Recht der 81-Jährige im Namen des Volkes verhandelt hat.
Hinzu kommt eine bemerkenswerte Umfrage. Die Denkfabrik „Washington Institute“ stellte im Jahr 2014 etwa fest: 60 Prozent der Palästinenser sehen die Zwei-Staaten-Lösung nur als Übergang auf dem Weg zur „Rückforderung des gesamten historischen Palästinas, vom Fluss bis zum Meer“. Mit anderen Worten: Es geht der Mehrheit der Palästinenser offenbar nicht um das Recht auf Selbstbestimmung als Volk, sondern um die Beseitigung des Staates Israel.
An diesem Punkt knüpft auch die Forderung der israelischen Regierung an: Solange die Palästinenser Israel nicht als Staat des jüdischen Volkes anerkennen, wird es auch keinen Palästinenserstaat geben. Zudem muss Israels Sicherheit gewährleistet sein; die Sicherheitskontrolle über ein wie auch immer geartetes Gebilde wird Israel nicht aufgeben. Die offizielle Hetze der Palästinenser gegen Israel – Stadien und Straßen werden nach „Märtyrern“ benannt – gibt den Israelis auch keinen Anlass, in Gutgläubigkeit zu verfallen.
Ebenjene Gutgläubigkeit ist dabei der springende Punkt: Es ist leicht, in Brüssel, Stockholm oder Berlin auf die Zwei-Staaten-Lösung zu beharren. Mit den Konsequenzen leben müssen die Menschen vor Ort.
Viele Ansätze
Mit Trumps Vorgabe kommen nun auch weitere Entwürfe ins Spiel, über die zumindest gesprochen werden muss. Der Siedlersprecher Jischai Fleischer aus Hebron hat sie kürzlich in der „New York Times“ aufgelistet: Dazu gehört, Jordanien als eigentlichen Palästinenserstaat anzusehen; eine Teilannexion des Westjordanlandes mit Autonomie für palästinensische Städte; und sogar ein Bevölkerungsaustausch mit anderen arabischen Ländern ist angedacht.
Und natürlich zählt zu den Ansätzen auch die Ein-Staat-Lösung: Anders als Nicola Albrecht behauptet, ist es überhaupt nicht ausgemacht, dass Israel damit seinen Charakter als jüdischen Staat verliert. Zwar erhielten dann etwa zwei Millionen Palästinenser Wahlrecht in Israel. Doch angesichts der starken Geburtenrate bei jüdischen Israelis und sinkenden Geburtenraten bei Palästinensern berechnen Experten eine stabile jüdische Mehrheit von 60 Prozent, für das Jahr 2059 sogar von 70 Prozent.
Dass deutsche Journalisten mir nichts dir nichts mit einseitigen Fakten die Zwei-Staaten-Lösung den Zuschauern in Deutschland als „alternativlos“ präsentieren, gehört zu einer beklagenswerten Verengung der Debatte. Daran kann niemand interessiert sein. An Donald Trump scheiden sich sicherlich die Geister. Wer aber eine offene Diskussionskultur im Verbund mit kreativen Lösungsansätzen schätzt – die Zwei-Staaten-Lösung ist davon nicht ausgenommen –, wird Trumps bisherigen Vorgaben zur Nahostpolitik etwas abgewinnen können.
Von: Daniel Frick