Als der amerikanische Geschäftsmann Bob O’Dell im Januar 2014 nach Israel reist, ist er in einer komfortablen Lage: Durch die kluge Investition in ein israelisches Hightech-Unternehmen ist er finanziell gut aufgestellt. Jetzt sucht er nach neuen Beteiligungsformen, und kann sich den Luxus leisten, wählerisch zu sein. „Ich wollte sozusagen das Prinzip aus 1. Mose 12, Vers 3 umkehren“, erinnert er sich im Gespräch mit Israelnetz. „Dort steht, dass man Israel segnen soll, um selbst gesegnet zu werden. Ich habe erkannt, dass ich bereits von Israel gesegnet worden bin, und wollte nun den Segen zurückgeben.“ Der engagierte Christ will deswegen ausdrücklich in Start-Ups investieren, die von religiösen Juden gegründet werden. An der Klagemauer trifft er mit seiner Reisegruppe auf den Geschäftsmann Gideon Ariel, der dort über Gebet referiert. Fast nebensächlich kommt der am Ende auf eine Idee zu sprechen, die er bereits eine Weile mit sich herumträgt: „Hat einer von euch Lust, in eine Online-Akademie zu investieren, in der Juden Christen unterrichten?“ O’Dell ist sofort Feuer und Flamme: „Ich hörte, dass Gott mir sagte, dass dies die neue Geschäftsidee sei, auf die ich mich konzentrieren solle.“
Seitdem arbeitet der Amerikaner unbezahlt für die Organisation mit Namen „
Root Source“, Ariel hat den Vorsitz übernommen. „Root Source“ verfügt über einen Pool aus Dozenten, die Online-Kurse zu Themen wie Gebet, Islam, Frauen in der Bibel oder dem heiligen Tempel anbieten. Letzteres Seminar wird von Jehuda Glick geleitet. Der in Israel bekannte Rabbiner gilt vielen deutschen Medien als „rechter“ bis „rechtsextremer“ Aktivist, weil er fordert, dass Juden trotz muslimischen Widerstands auf dem Tempelberg beten dürfen. Nach etwas mehr als einem Jahr verfügt die Webseite über mehrere hundert Studenten, die für die Kurse bezahlen, sowie zehntausende Newsletter-Abonnenten, die sich ein wöchentliches Lehrvideo anschauen. Jede Woche würden neue Videos auf die Webseite hochgeladen, erklärt O’Dell. Die Studenten stammten aus aller Welt – auch aus Deutschland.
Ein neuer Bezug zum Alten Testament
Die 50-jährige Daniela Harbich aus Hamburg sieht in „Root Source“ einen Weg für Christen, mehr über die Wurzeln ihres Glaubens zu erfahren und dadurch im Glauben gefestigt zu werden. „Auf diese Weise bekommt man einen neuen Bezug besonders zum Alten Testament“, berichtet sie – „auch unter dem Aspekt, dass wir nach Römer 11 eingepfropft sind in das auserwählte Volk und das ganze Neue Testament auf die Geschichte Gottes im Alten Testament mit seinem Volk Israel aufbaut.“ Harbich reist immer wieder ins Heilige Land und referiert danach in Kirchen und Gemeinden über den biblischen Ursprung des Glaubens, der in Israel hautnah zu erleben ist. Das Studium bei „Root Source“ macht ihr Spaß: „Rabbis und Lehrer geben ihre jüdische Sicht und Lebensweise mit der Torah zum Besten und ich darf mich über das Wort mit ihnen austauschen, was auch meine Sicht und Bezug auf das Neue Testament beinhalten darf“, erzählt sie. „Man entdeckt Gemeinsamkeiten und kann voneinander lernen. Es entsteht eine Interaktion.“
Das deckt sich mit den Reaktionen, die O’Dell von anderen Studenten bekommt. „Zum einen sind viele erstaunt darüber, wie viel sie mit orthodoxen Juden gemeinsam haben und wie das Herz und der Charakter Gottes in deren Lehre offenbar werden“, sagt er. „Zum anderen sind sie überrascht, wie viele neue Erkenntnisse sie zu bekannten Texten bekommen, wenn sie die jüdische Perspektive und Erfahrung der vergangenen 2.000 Jahre berücksichtigen.“ Dass Studenten und Dozenten nicht in einem Raum sitzen, sieht O’Dell nicht als Problem – Fragen könnten per E-Mail oder Kommentarfunktion gestellt werden.
Ist „Root Source“ unter orthodoxen Juden unumstritten? O‘Dell sagt zunächst, dass er kritische Nachfragen von Juden gut verstehen kann, angesichts der Verfolgung, die sie durch Christen erlitten haben. Skeptische Äußerungen gegen das Projekt würden aber seltener: „Der Grund ist, dass anti-israelische Vorurteile weltweit zunehmen“, erklärt der Amerikaner, „deswegen wird es für Israelis immer wichtiger, pro-israelischen Christen die Hand zu reichen.“
Ein Schwerpunkt von „Root Source“ liegt in der Sensibilisierung für biblische Prophetie. In einem Werbevideo für das neue Buch von Ariel und O’Dell erklingt dramatische Musik. Dazu werden Bilder gezeigt von explodierenden Atombomben, antisemitischen Demonstrationen, dem brennenden World Trade Center und gleichgeschlechtlichen Paaren, die heiraten. Die Aussage des Videos ist klar: Es ist Endzeit, und der Tag von Gottes Gericht ist nahe. Das Buch soll dabei helfen, sich in diesen Zeiten zurechtzufinden, und Ereignisse mit prophetischer Relevanz – wie etwa die vier Blutmonde in den Jahren 2014 bis 2015 – richtig einzuordnen. „Als Christen müssen wir uns daran erinnern, dass die Kirche nicht ewig bestehen bleibt, Israel aber wohl“, erklärt O’Dell. „Deswegen erklärt Gott uns, dass wir in Israel, dem ursprünglichen Volk Gottes, eingepflanzt sind.“ Er bezieht sich damit auf Kapitel 11 des Römerbriefs, wo es in Vers 17 heißt: „Wenn aber nun einige von den Zweigen ausgebrochen wurden und du, der du ein wilder Ölzweig warst, in den Ölbaum eingepfropft worden bist und teilbekommen hast an der Wurzel und dem Saft des Ölbaums, so rühme dich nicht gegenüber den Zweigen.“ O’Dell ist sich sicher: „Nur durch Israel werden wir als Gottes Gemeinde in den kommenden Zeiten wachsen können.“
Der Geschäftsmann lebt in Texas und war bislang 39 Mal in Israel. Seine Landsleute sieht er zuweilen kritisch: „Als Amerikaner kann ich sagen, dass amerikanische Christen oft zu sehr auf die Rolle der USA in der Weltgeschichte und zu wenig auf Gottes Plan für Israel konzentriert sind.“ Israel wachse derzeit so schnell wie die USA zu ihren besten Zeiten. „Ich glaube, dass viele Israels Potenzial unterschätzen, die Größe wiederzuerlangen, die es zu Zeiten Davids und Salomos hatte“, ist O’Dell überzeugt. „Diesmal aber ist die Zeit des Exils vorbei. Israel ist hier, um zu bleiben – und zwar für immer.“