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Das Demographie-Phantom

Wenn dem Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern nicht bald durch eine Zweistaatenlösung ein Ende gesetzt wird, ist der jüdische Charakter des Staates Israel ernsthaft gefährdet. Israelische Politiker aus dem gesamten Spektrum malen seit Jahren ein Schreckensszenario an die Wand. Die Hauptbedrohung Israels heute ist die demographische Entwicklung. Die Angst geht um, dass das jüdische Volk in absehbarer Zeit zur Minderheit im eigenen Staat werden könnte.
Als einziger Staat in Nahost und der westlichen Hemisphäre verzeichnet Israel eine positive Geburtenrate.

Auch Nahostpolitiker aus dem Ausland werden nicht müde, anzumahnen, dass die Zeit gegen Israel spiele. Der amerikanische Außenminister John Kerry verursachte Ende April einen Sturm der Entrüstung mit der offen ausgesprochenen Befürchtung, Israel habe im Falle des Scheiterns einer Zweistaatenlösung keine andere Wahl, als ein Apartheidstaat zu werden.
Möglicherweise ist diese Denkweise ein Grund dafür, warum auf palästinensischer Seite die Zweistaatenlösung nur bedingt auf Begeisterung stößt. Warum auch sollte man sich als Palästinenser um einen Ausgleich mit dem jüdischen Staat bemühen, wenn Zeit und Kinderzahl diesen ohnehin hinfällig werden lassen?
Aber hält dieses weithin akzeptierte Politparadigma harten Zahlen stand? Im gesamten Nahen Osten ist ein Kollaps der muslimischen Geburtenrate zu beobachten, der auch Palästinenser und israelische Araber nicht unberührt lässt. Gleichzeitig gibt es einen dramatischen Anstieg der Geburtenrate bei der jüdischen Bevölkerung Israels.
Dies zeigen Daten, die das Zentrale Statistikbüro des Staates Israel und der amerikanische Nachrichtendienst CIA auf seiner Internetseite „World Fact Book“, die in Fragen der Demographie und der Wirtschaft als sehr zuverlässig gilt, veröffentlicht haben. Ist es tatsächlich möglich, dass sich sowohl die öffentliche Meinung als auch die Nahostpolitik des Westens auf Daten stützt, die seit mehr als einem Jahrzehnt veraltet sind?

Europa kollabiert

Zunächst einmal ist zu verstehen, dass eine Gesellschaft mindestens 2,1 Kinder pro Familie braucht, um Zukunft zu haben. Alles, was darunter ist, nennen Demografen „negatives Wachstum“. Unter diesem Gesichtspunkt kollabieren die Länder Europas, da dort eine Frau im Durchschnitt nur noch 1,1 bis 1,3 Kinder auf die Welt bringt. Auch Länder Nordafrikas, die Türkei und der Iran verzeichnen einen negativen Trend, da dort nur noch weniger als zwei Kinder pro Familie geboren werden. Gebar eine Frau in Saudi Arabien 2003 im Durchschnitt noch mehr als sechs Kinder, waren das 2013 nur noch 2,2. Hatte eine Palästinenserin 2003 im Durchschnitt noch fünf Kinder, waren das zehn Jahre später nur noch 2,7 – und das bei gleich bleibender Tendenz.
Betrachtet man die Geburtenraten in Europa, Nordafrika und dem Nahen Osten, gibt es nur noch in Israel mehr als drei Kinder pro Familie. Interessanterweise sind es nicht die ultra-orthodoxen oder arabischen Sektoren der Gesellschaft, die für den Babyboom der Israelis sorgen. Ausgerechnet diejenigen, die so große Angst davor haben, im eigenen Staat zur Minderheit zu werden – die Säkularen, Zionisten und Nationalreligiösen – bekommen die meisten Kinder.
Ein Ehepaar von „Sabres“, in Israel geborenen Juden, zieht momentan im Durchschnitt sogar 3,4 Kinder auf. Immerhin sind mittlerweile 71,3 Prozent der Juden in Israel „Sabres“. Die säkularen, in Israel verwurzelten Familien haben ihre Norm von einst drei Kindern auf heute vier oder mehr erhöht. Den innerisraelischen Rekord hält aber der national-religiöse Teil der Bevölkerung. An den Durchschnitt von fünf Kindern pro Familie kommen momentan nicht einmal Somalia oder der Irak heran. Die Einwohner von Judäa und Samaria, die so genannten „Siedler im Westjordanland“, haben aktuell im Durchschnitt sechs Kinder pro Familie. Wohnen im biblischen Judäa und Samaria heute 400.000 Juden, in Ostjerusalem noch einmal 300.000, was zusammen 700.000 macht, dann werden sie angesichts der aktuellen Geburtenrate bald eine Million sein. Tatsächlich ist Israel das einzige Land im Nahen Osten und der westlichen Hemisphäre, in dem die Geburtenrate steigt.

Gründe für den Wachstumsrückgang der palästinensischen Bevölkerung

Mitte der 1990er Jahre kam es in Israel und der Palästinensischen Autonomie zu einem spürbaren Anstieg der arabischen Kinder. Grund dafür war, dass nicht nur 40.000 PLO-Kämpfer in diese Gebiete einreisen durften, sondern auch im Rahmen von Familienzusammenführungen 140.000 Palästinenser die israelische Staatsbürgerschaft erhielten.
Abgesehen von diesem politisch bedingten Bevölkerungswachstum nimmt die Zahl der palästinensischen Araber zwischen Jordan und Mittelmeer seither aber ständig ab. Dafür können folgende Gründe angeführt werden:
Die Urbanisierung der palästinensischen Bevölkerung macht sich bemerkbar. 75 Prozent der Palästinenser wohnen in Städten und brauchen damit aus rein wirtschaftlichen Überlegungen heraus keine elf Kinder mehr. Zudem ist es schwer, eine Stadtwohnung für eine Familie von dieser Größe zu bekommen.
Ein weiterer entscheidender Faktor der demografischen Entwicklung im Heiligen Land ist die Tatsache, dass immer mehr israelische Araber und Palästinenser ins Ausland – vor allem nach Europa, aber auch nach Nord- und Südamerika – abwandern. Je höher die Bildung, desto größer die Mobilität und Bereitschaft, sich in einem anderen Kulturraum zurechtzufinden.
Lautstarke Führungspersönlichkeiten unter den israelischen Arabern bezeichnen sich in den letzten Jahren vermehrt als „Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft“. Sie verweigern sich selbst und ihrer Jugend die Eingliederung in die moderne Gesellschaft des jüdischen Staates. Dadurch machen sie sich tendenziell zu Außenseitern und fördern so den Trend zur Auswanderung in ihrem Gesellschaftssektor. In den vergangenen Jahren haben jährlich zwischen 10.000 und 17.000 junge Palästinenser ihre Heimat verlassen.
Schließlich nimmt das Heiratsalter, vor allem bei Frauen, zu. Auch arabisch-palästinensische Frauen wollen arbeiten und sich nicht mehr nur um Kinder kümmern.
Interessanterweise ist die Entwicklung der Geburtenraten unter Arabern ein regionales Phänomen, betrifft also nicht nur die Palästinenser. Und der Geburtenrückgang ist nicht nur im islamisch geprägten Umfeld des Staates Israel zu beobachten. Auch Drusen und arabische Christen innerhalb Israels weisen eine negative Geburtenrate von weniger als 2,1 Kindern pro Frau vor. Selbst die Geburtenrate bei den traditionell äußerst fruchtbaren ultra-orthodoxen Juden in Israel geht zurück.
Als weiteren Grund für den Geburtenrückgang bei Israels Arabern und Ultra-Orthodoxen nennen manche Israelis die massive Kürzung des Kindergelds in Israel im Jahr 2003. Seither sei klar, „dass Kinder im Staat Israel keine Einkommensquelle mehr“ seien. Allerdings besticht dieses Argument nur, wenn man den Vergleich mit dem europäischen Ausland außer Acht lässt. Eine Familie mit fünf Kindern bekommt heute in Israel weniger Kindergeld als ein Ehepaar in Deutschland für ihr erstes Kind – und das bei deutlich höheren Lebenshaltungskosten in Israel. Aber auch schon vor 2003 war in Israel mit Kinderkriegen finanziell kein Staat zu machen.

Gründe für die starke Geburtenzunahme unter Israelis

Welche Faktoren sind für die Zunahme der Geburtenrate unter den israelischen Juden verantwortlich?
Zunächst ist die Einwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion zu nennen. Die Immigranten kamen in Israel mit dem für Russland üblichen Durchschnitt von 1,5 Kindern an. In ihrer neuen Heimat genossen sie die neue – vor allem gesellschaftliche – Freiheit, mehr Nachwuchs haben zu dürfen und haben heute drei Kinder pro Familie.
Offensichtlich hat auch die so viel von den Medien beschworene wirtschaftliche Notlage in der israelischen Gesellschaft weniger mit der Realität zu tun, als offiziell behauptet. Die Annahme, die heute 20- bis 40-Jährigen hätten für Kinder weder Geld noch Zeit, wird von der aktuellen Lage in Israel Lügen gestraft.
Und schließlich sind Kinder aus Sicht junger Israelis eine Frage der Selbstverwirklichung. Fragt man in Kalifornien, dem US-Bundesstaat mit der niedrigsten Geburtenrate, die Leute, warum sie so wenig Kinder zeugen, bekommt man zur Antwort: „Wir wollen uns selbst verwirklichen!“ Eigenartiger Weise geben moderne, säkulare Israelis auf die Frage „Warum willst du so viele Kinder?“ genau dieselbe Antwort: „Ich will mich selbst verwirklichen!“
Der Jurist und Historiker Guy Bechor sieht in der hohen Geburtenrate des modernen Israel ein Zeugnis für den Optimismus, „das Gefühl, etwas Neues zu schaffen“ und das tiefe Verwurzeltsein dieser Menschen in ihrem Land. Er kommt zu dem Schluss: „Wenn es einmal eine demographische Bedrohung gegeben hat, existiert sie heute nicht mehr. Seit 2013 nimmt die jüdische Bevölkerung weltweit zu – erstmals seit dem Holocaust! – und das trotz der so viel beklagten Assimilation, und trotz unserer jüdischen Brüder in den USA, die nur 1,25 Kinder pro Frau zustande bringen.“

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