Lieberman hat sich vom politischen Berater im Amt des Premierministers zum Vorsitzenden einer „Russenpartei“ hochgearbeitet. Sie erhielt 15 von 120 Mandaten in der Knesset und wurde zum wichtigsten Koalitionspartner der Regierung unter Benjamin Netanjahu. Der Neueinwanderer mit dem ausgeprägten russischen Akzent und patriotischen Ansichten wurde Außenminister und Vizepremier.
Man muss Lieberman weder persönlich noch politisch schätzen. Der Mann hat kein „Benehmen“ gemäß deutschen Kriterien, wenn er seine politischen Kontrahentinnen Zippi Livni und Schelly Jachimowitsch abschätzig als „Weibers“ schimpft, nachdem Staatsanwalt Jehuda Weinstein beschlossen hat, ihn wegen „minderer Vergehen“ anzuklagen.
Mehrere brillante israelische Diplomaten haben sich wegen Liebermans autokratischen Stils im Außenministerium ins Privatleben zurückgezogen. Aber ausgerechnet der „Rassist“ Lieberman hat Äthiopier, arabische Beduinen, Drusen und Angehörige vermeintlich diskriminierter Minderheiten auf prominente Posten in den Auslandsdienst versetzt. Er hat Premierminister und Verteidigungsminister die Kontakte mit den Amerikanern überlassen, um selber die Kontakte zu Wladimir Putin und ehemaligen sowjetischen Republiken, Indien, China und anderen aufstrebenden Mächten intensiv zu pflegen. Für die zahlreichen Gespräche mit Putin benötigte Lieberman keinen Dolmetscher…
Als Chauvinist, „Araberfresser“, Rassist und „Rechtsextremist“ in Teilen der israelischen Bevölkerung wie in der Welt verachtet, dirigiert Lieberman seine Partei wie ein Diktator. Er duldet weder Kritik noch Konkurrenz oder Erfolg der Parteigenossen. Deshalb hat er Vizeaußenminister Danny Ayalon vor die Tür gesetzt und Tourismusminister Stas Misezhnikov zum Rückzug ins Privatleben gezwungen. Beide stehen bei den bevorstehenden Wahlen am 22. Januar nicht mehr auf der Kandidatenliste der Partei „Israel-Unser Haus“.
Ungeachtet seiner politischen Ansichten ist Lieberman ein erstaunlicher Aufsteiger in der israelischen Gesellschaft, vergleichbar nur mit dem mythologischen Tellerwäscher in den USA. Doch genau deshalb, als Neueinwanderer, politisches Temperament mit auffälligen und nicht immer politisch-korrekten Ansichten und Vorsitzender einer großen Partei hat Lieberman viele Neider.
Das mag einer der Gründe dafür sein, wieso die Staatsanwaltschaft ihm seit fast zwei Jahrzehnten auf den Fersen ist. Mangels Beweisen hat die Staatsanwaltschaft inzwischen die schwergewichtigsten Beschuldigungen fallen gelassen und die Akten geschlossen. Übrig geblieben ist nur noch ein Vorwurf, den Lieberman bei einer Pressekonferenz als „lächerlich“ bezeichnet hat. „Ich war mir keines Verbrechens bewusst“, erzählt der Außenminister. Botschafter Se‘ev Ben Arjeh habe ihm ein vertrauliches Papier über Ermittlungen gezeigt, worauf Lieberman ihm gesagt hätte, derartigen „verbotenen Blödsinn“ zu unterlassen. Er habe das brisante Papier zerknüllt in die Toilette geworfen und weggespült. So Liebermans Darstellung, die noch vom Gericht geprüft werden muss. Später habe er Ben Arjeh zufällig auf dem Flur im Außenministerium getroffen. „Wir suchten gerade nach einem russisch-sprechenden Diplomaten. Daraufhin habe ich den Botschafter Ben Arjeh auf einen anderen Botschafterposten versetzen lassen. Das soll eine Vergünstigung sein?“
Auf Anraten seiner Anwälte habe Lieberman dennoch seinen Rücktritt angekündigt, damit seine Immunität als Abgeordneter keinen „möglichst schnellen Prozess“ verhindert, um zu den Wahlen am 22. Januar „mit sauberen Händen“ antreten zu können.
Ob Lieberman schuldig ist und wegen israelischer Gesetze jahrelang kein öffentliches Amt mehr übernehmen kann, wird das Gericht entscheiden. Die Methode, mit Rechtsmitteln Politiker aus dem Amt zu treiben, hat in der Vergangenheit fromme Politiker wie Arieh Deri, Linke wie Chaim Ramon, Staatspräsident Mosche Katzav, wegen Vergewaltigung zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt, Präsident Eser Weizman, die Premiers Ariel Scharon, Benjamin Netanjahu und Ehud Olmert getroffen.
Mehrere Verfahren gegen Olmert wurden „mangels Beweisen“ geschlossen. In einem Fall hat er eine Bewährungsstrafe erhalten, was seinen Rücktritt vom mächtigsten Posten im Staat als gewählter Premierminister nicht gerechtfertigt hätte. Ein Urteil wegen mutmaßlicher Korruption steht noch aus. Deshalb tritt er nicht gegen Netanjahu an.
Auch in Israel gilt der Grundsatz, dass ein Verdächtiger als „unschuldig“ gilt, solange er nicht rechtskräftig verurteilt worden ist. In Israel, ähnlich wie in den USA und auch in Deutschland, werden immer häufiger politische Gegner mit unbewiesenen Beschuldigungen und Verdächtigungen aus dem Amt getrieben. So wird den Medien und der Staatsanwaltschaft mehr Macht eingeräumt als dem demokratischen Willen des Volkes.
Eine 16 Jahre lange Verschleppung von Ermittlungen gegen einen Politiker, ohne dass es zu einer Verurteilung und einem Beweis der vermeintlichen Vergehen gekommen wäre, hat nicht erst wegen Lieberman zur Forderung geführt, das System neu zu überdenken.