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Nächtliche Begegnung in der Luft

Nach einem Sommer voller Spekulationen über die syrisch-israelischen Beziehungen hat alles mit einer ominösen Meldung der staatlichen syrischen Nachrichtenagentur SANA begonnen. Am 6. September 2007 berief sich SANA auf einen syrischen Militärsprecher, der erklärte, die Luftabwehr habe in der vorangegangenen Nacht israelische Kampfflugzeuge in syrischem Luftraum in die Flucht geschlagen, nachdem diese Munition über syrischem Territorium abgeworfen hätten, ohne allerdings Schaden anzurichten.

Auf erste Nachfragen westlicher Journalisten ließ das syrische Informationsministerium verlauten, es habe keine Informationen über den Vorfall. Ein Sprecher der israelischen Armee meinte, er wisse nichts von der Sache. Trotzdem ließ Syrien laut SANA, die als Sprachrohr der Regierung Assad gilt, die israelische Regierung wissen, es behalte sich das Recht auf eine angemessene Reaktion vor. Später wiederholte der syrische Informationsminister Mohsen Bilal im arabischen Nachrichten Sender Al-Dschasira diese Drohung und betonte, Syrien werde "Wege finden", auf die Verletzung seines Luftraums zu reagieren.

In seltener Einheit und Beharrlichkeit schweigt sich die israelische Führung aus – so lautstark, dass Premierminister Ehud Olmert alle traditionellen Festtagsinterviews, die eigentlich dieser Tage angesagt wären, abgesagt hat. Bei der wöchentlichen Kabinettssitzung der israelischen Regierung, die auf den Zwischenfall folgte, mussten die Minister ihre Handys abgeben und wurden an jeglichem Kontakt mit Journalisten gehindert. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz der israelischen und portugiesischen Außenminister wurde Luis Amado, dessen Regierung zur Zeit die EU-Präsidentschaft innehat, nach der Stellung der Europäischen Union gefragt. Israels Außenministerin Zipi Livni unterbrach das Gespräch und signalisierte ihrem europäischen Kollegen, zu schweigen. Als Antwort könnte man lediglich die ständig wiederholte Formel von Militärs und Politikern werten, der Staat Israel sei auf einen Konflikt im Norden bestens vorbereitet. Darüber hinaus verweigern alle israelischen Vertreter jeden Kommentar, sowohl "on the record" als auch "off the record" ("nicht zur Veröffentlichtung").

Ähnlich zugeknöpft wie die Israelis zeigen sich die Amerikaner. Tom Casey, Sprecher des US-Außenministeriums, will sich "nicht zu Spekulationen äußern". Russland dagegen äußerte sich sehr besorgt und forderte Israel auf, sich an internationales Recht zu halten. China schloss sich dem Protest an. Und der Iran fühlte sich bestätigt in der Annahme, Israels Ziel sei es, Unsicherheit im Nahen Osten zu verbreiten. Die Türken forderten pflichtbewusst eine Erklärung von Israel für die Verletzung ihres eigenen Luftraums.

Einen Tag nach dem Vorfall wollte sich die syrische Kabinettsministerin Buthaina Schaaban schon nicht mehr festlegen im Blick darauf, dass die israelischen Flugzeuge tatsächlich Munition abgeworfen hätten und meinte lediglich, die Israelis hätten syrischen Luftraum verletzt. Bald erschienen Korrekturen, die Israelis hätten nicht Munition, sondern lediglich Treibstofftanks abgeworfen. Und dann veröffentlichte die türkische Zeitung Hurriyet verschwommene Bilder von angeblichen Treibstofftanks, die auf türkischem Territorium gefunden worden waren. Allerdings waren darauf keinerlei Kennzeichen zu sehen, die eine israelische Herkunft bezeugt hätten. Anfang der zweiten Septemberwoche sprach Syriens Außenminister Walid al-Muallem im türkischen Ankara dann aber wieder von drei israelischen Jets, die vier Raketen auf Ziele in Dair al-Sur in Ostsyrien abgeschossen hätten.

Flüge der israelischen Luftwaffe im syrischen Luftraum sind Routine. Das geben auch die Israelis zu. Wenn Terroranschläge in Israel mit Drahtziehern in Syrien in Verbindung gebracht wurden, ist es wiederholt vorgekommen, dass israelische Kampfjets in der Nacht dicht über dem Aufenthaltsort des syrischen Präsidenten Bischar el-Assad die Schallmauer durchbrochen haben – "als Warnung", wie aus Israel zu hören ist. Zuletzt ist das im Juli 2006 nach Ausbruch des zweiten Libanonkriegs und im Juni desselben Jahres nach der Entführung des israelischen Soldaten Gilad Schalit im Gazastreifen geschehen.

Ehemalige Mitarbeiter der israelischen Luftwaffe erklären, dass Kampfflugzeuge bei Langstreckenflügen Zusatztanks haben, die sie in Notsituationen ganz schnell abwerfen können, um leichter zu sein. "Ich denke, unsere Leute waren in Not", vermutet ein Pilot, der 1981 am israelischen Angriff auf den irakischen Atomreaktor in Osirak beteiligt war, "und mussten sich ganz schnell aus dem Staub machen." Zum Verhalten der Regierung Olmert meint er: "Unsere Leute schweigen jetzt, weil sie die Türken schützen wollen – die uns in so einer Lage ganz sicher geholfen haben." Die israelische Luftwaffe übt regelmäßig im türkischen Luftraum und führt gemeinsam mit ihren türkischen und amerikanischen Kollegen Manöver durch. Die Türkei wird in der Regel als strategischer Partner des jüdischen Staates im Nahen Osten gesehen.

Die Spekulationen über das Ziel der israelischen Flüge Anfang September – so sie denn stattgefunden haben – gehen auseinander. Der israelische Terrorismusexperte Boaz Ganor mutmaßt, die Luftwaffe habe bei diesen Flügen Informationen über syrische Langstreckenraketen gesammelt. Doch bei einem Aufklärungsflug hätten die israelischen Flugzeuge wohl kaum die Schallmauer durchbrochen. Sie hätten sich unauffällig verhalten. Ein syrischer Beobachter namens Imad Fawsi Schuaibi meint, die Israelis hätten neue Luftabwehrsysteme testen wollen, die die Syrer in letzter Zeit von den Russen bekommen haben, um so Flugrouten zu finden, auf denen es möglich ist, dem syrischen Radar zu entgehen. Der arabische Nachrichtensender Al-Arabiya unterstellte gar, die israelischen Kampfjets hätten russische Raketenstellungen bombardieren wollen. Oder wollten die Israelis – entgegen aller andersartigen Beteuerungen – gar einen Krieg vom Zaun brechen?

Viele Fakten des Vorfalls nach Mitternacht vom 6. September bleiben unklar. Woher wussten die Syrer so sicher, dass es sich bei den Eindringlingen um israelische Flugzeuge handelte? Abgesehen von den Äußerungen des syrischen Außenministers gibt es bislang keine unabhängigen Aussagen darüber, wie viele Flugzeuge beteiligt waren und ob irgendwelche Schüsse abgefeuert wurden. Auch über den genauen Ort der Ereignisse besteht Unklarheit. Eine Karte der israelischen Tageszeitung Jediot Aharonot zeigt mehrere mögliche Orte zwischen Mittelmeerküste und Euphrat.

Letztlich entscheidend ist auch nicht, was tatsächlich passiert ist. Vielmehr bleibt abzuwarten, was die syrische Regierung aus der ganzen Sache machen wird. Dass Syrien seit etwa einem Jahr aufrüstet, wie seit dem Fall der Sowjetunion nicht mehr, ist ein offenes Geheimnis. Die Frage ist, ob die Syrer die Verletzung ihres Luftraumes in diesem Falle als "casus belli" aufzufassen gedenken – und wenn ja, warum ausgerechnet jetzt? Ein entscheidender Faktor dabei dürfte sein, wie die Weltöffentlichkeit auf das neueste Kapitel der syrisch-israelischen Auseinandersetzung reagiert. Interessant ist, dass die arabische Welt den Vorfall weitgehend ignoriert.

Die verbale Eskalation der Syrer weist darauf hin, dass sie etwas planen. Eigentlich wäre es eine Schande für die syrische Abwehr, die man besser verschweigt, wenn israelische Kampfflugzeuge so tief in den syrischen Luftraum eindringen und dann unbeschadet entkommen können. Doch der syrische Vizepräsident Faruk a-Schara unterstrich in einem Interview mit der italienischen Tageszeitung Le Repubblica: "Damaskus wird zurückschlagen!" Aber, so fragt ein Kommentator der israelischen Tageszeitung Ha´aretz, "wird Assad wirklich so schnell Steine werfen, wenn er selbst so viel Glas im Hause hat"? Das "Glas im Hause Assad" ist beispielsweise der Waffenschmuggel für die Hisbollah und die Unterstützung anti-amerikanischen Terrors im Irak. Damaskus soll in letzter Zeit Transitflughafen für Selbstmordattentäter auf dem Weg in den Irak geworden sein.

Möglicherweise hat Bischar el-Assad tatsächlich gar nicht das Ziel, einen offenen Krieg mit Israel anzufangen. Israelische Nachrichtendienste gehen davon aus, dass ein offener Krieg momentan nicht zu den Absichten der Syrer gehört. Europäische Diplomaten, die den syrischen Außenminister Muallem in den vergangenen Tagen getroffen haben, haben nicht den Eindruck, Syrien wolle militärisch reagieren. Vielleicht wird der syrische Präsident längerfristig derartige Vorfälle aber als Vorwand nutzen wollen, um den seit langem angedrohten Terror- und Zermürbungskrieg um die Golanhöhen in Gang zu setzen. Für alle Fälle wurden die israelischen Streitkräfte im Norden des Landes in höchste Alarmbereitschaft versetzt.

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