Die neue Regierungskoalition in Israel steht erst seit wenigen Tagen und schon prescht der neue israelische Innenminister Avraham Poraz (Shinui) mit weitreichenden Forderungen nach vorn. „Jede Person in Israel soll das Recht haben, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Im heutigen Israel gibt es zu viele Menschen, die genau dies nicht tun können“, sagte Poraz – und rüttelt mit seinem Vorschlag an der bestehenden Aufteilung zwischen Religion und Staat in Israel.
Bereits in den Koalitionsverhandlungen zwischen Likud, Shinui, National-Religiöser Partei und Nationaler Union war der Themenbereich „Religion und Staat“ der drohende Knackpunkt. Die Shinui mit ihren nunmehr 15 Abgeordneten wendet sich gegen den Einfluß der Religiösen auf die israelische Politik und fordert eben nicht nur Wehrgerechtigkeit durch die Einberufung Ultra-Orthodoxer (Haredim) zur Armee oder die Einführung der Zivilehe, sondern damit auch eine komplette Veränderung der bestehenden Ordnung von „Religion und Staat“.
Shinui-Führer Tommy Lapid war mit seiner 1974 gegründeten radikal-säkularen Partei – neben Sharons Likud-Block – der große Gewinner der diesjährigen Knesset-Wahl. Und das bekommt Israel jetzt zu spüren.
In den Tagen nach der Wahl war in den Reihen der politischen Beobachter und Medien viel von einem „Rechtsruck“ die Rede, der in Israel stattgefunden habe. Doch die Zusammensetzung der neuen Regierung macht den Unsinn dieser Beobachtung deutlich. Premier Sharon ist das scheinbar Unmögliche gelungen, er hat eine Koalition auf die Beine gestellt, die mehr denn je die Interessen der israelischen Bevölkerung repräsentiert. Und zu diesen gehören auch die politischen Konzepte, die den ehemaligen Fernsehjournalisten Lapid als Gewinner aus der Wahl haben hervorgehen lassen.
Will Shinui aber nicht als „Eintagsfliege“ enden, muß die Partei Zurückhaltung üben und von ihren radikalen Forderungen nach einer Säkularisierung der israelischen Gesellschaft und Politik Abstriche machen. Paroli kann Lapid jedoch die National-Religiöse Partei mit ihrem Chef Effi Eitam bieten, der sich mehr denn je für die Belange der jüdischen Bewohner Yeshas (Judäa, Samaria und Gazastreifen) einsetzt. Daß die Partei nicht „nur“ religiös, sondern auch national ist, birgt einen weiteren Vorteil: Sie kann als Vermittler zwischen radikalen Ansichten auftreten und sich damit profiliert, indem sie die Koalition aufrechterhält.
Auf diese Vermittlung wird jedoch auch Regierungschef Sharon mehr denn je bedacht sein. Er muß bei allen radikalen Forderungen auf Zurückhaltung pochen – von der in den ersten Tagen nach der Regierungsbildung verständlicherweise noch nichts zu spüren ist. Doch die Frage nach der Ordnung von „Religion und Staat“ darf nicht zum Knackpunkt der Regierung werden.