Seit Beginn der Militäroperation „Starker Fels“ gegen die Terror-Infrastruktur im Gazastreifen am 8. Juli hat die israelische Armee immer wieder bekanntgegeben, welche Maßnahmen sie zum Schutz von Zivilisten ergreift. So wurden Videos veröffentlicht, in denen zu sehen ist, wie Piloten Luftangriffe aus Rücksicht auf Zivilisten abbrechen und wie die Armee die Bevölkerung im Gazastreifen warnt. Wiederholt weisen Armee und Regierung drauf hin, dass die Hamas Zivilisten als Schutzschilde missbraucht.
Auf die öffentliche Meinung in Europa habe dies jedoch kaum Einfluss, schreibt die Tageszeitung „Yediot Aharonot“. Der dänische Journalist Mikkel Andersson erklärt dazu: „Die meisten betrachten die Zahl der zivilen Opfer als einen Indikator für die moralische Oberhand. Sie gehen davon aus, dass es zwangsläufig Gefühllosigkeit oder Vorsatz ist, wenn so viele bei israelischen Angriffen sterben.“ Zwar glaube nur eine Minderheit, dass die zivilen Verluste durch Israel Absicht seien. Am Ende zählten in der Wahrnehmung jedoch nur die nackten Zahlen. Israel habe nicht nur in Dänemark Schwierigkeiten, die Öffentlichkeit für sich zu gewinnen, sondern in den meisten europäischen Ländern, so Andersson.
Der spanische Journalist Miguel Angel Benedicto erklärte gegenüber „Yediot Aharonot“: „Das spanische Volk ist es gewohnt, die schwächere Seite jedes Konfliktes zu unterstützen. […] Es ist schwer für uns, die ‚Auge um Auge‘-Politik zu verstehen, wir glauben, dass Verhandlungen besser wären.“
Der britische Journalist Leo Cendrowicz, der derzeit in Belgien lebt, sagte über die Militäroffensive: „In den Augen der internationalen Gemeinschaft wirkt die Operation wie eine unverhältnismäßige Überreaktion. Als würde man einen Hammer benutzen, um Erdnüsse zu knacken.“ Im Ausland hätten viele das Gefühl, dass die israelische Regierung von „Hardlinern“ geführt werde, die sich eine eigene Mission auferlegt hätten und sich nicht um die internationale öffentliche Meinung kümmerten. „In Belgien gibt es eine allgemeine Übereinstimmung darüber, dass das palästinensische Volk nicht leiden sollte, selbst wenn die Hamas bezahlen muss.“
Die Journalisten seien allesamt der Meinung, dass in ihrem Land fair über den Konflikt berichtet werde, da auch die Raketenangriffe auf Israel sowie die israelischen Versuche zum Schutz der Zivilisten in Gaza erwähnt wurden. Die ihrer Ansicht nach ausgewogene Berichterstattung habe jedoch nur begrenzten Einfluss auf die Leser oder Zuschauer.
In Belgien werde darüber diskutiert, ob es richtig ist, die Luftangriffe auf Gaza mit dem Raketenbeschuss auf Israel zu vergleichen, da die Angriffe auf Gaza weit zerstörerischer seien. Andererseits richteten sich die Luftangriffe nicht gegen Zivilisten, im Gegensatz zu den palästinensischen Raketen, erklärt Cendrowicz.
Israel als Opfer seines Erfolges
In Dänemark gebe es ein ähnliches Dilemma, so Andersson. „Die meisten Dänen empfinden für die Hamas keine Liebe, aber sie halten deren Aktionen für ein Ergebnis der israelischen Besatzung. Für Israelis mag es bizzar klingen, aber die Gaza-Operation wäre wahrscheinlich als wesentlich gerechtfertigter angesehen worden, wenn es nicht das ‚Iron Dome‘-System gäbe. Und wenn der Hamas ein wirklich verheerender Angriff auf Zivilisten gelungen wäre.“
Esther Voet vom niederländischen „Zentrum für Information und Dokumentation über Israel“ (CIDI) sagte dazu: „Ich glaube, dass die Erfinder des ‚Iron Dome‘ den Nobelpreis verdienen, aber für die Öffentlichkeitsarbeit hat es Israel auf jeden Fall einen Nachteil gebracht.“ Die Raketensalven aus Gaza und die Tatsache, dass die Hamas drei Mal eine Waffenruhe abgelehnt hat, hätten sich zwar auf die öffentliche Meinung ausgewirkt, „aber die Niederlande, die ein kleines Land sind, haben die angeborene Tendenz, den Unterlegenen zu unterstützen“. Während des Sechs-Tage-Krieges 1967 und des Jom-Kippur-Krieges 1973 habe man in den Niederlanden noch Menschen mit „Ich unterstütze Israel“-Aufklebern auf ihren Fahrzeugen sehen können. Dies gebe es heute nicht mehr. Der jüdische Staat habe die Oberhand gewonnen. „Israel ist Opfer seines eigenen Erfolges geworden“, schließt Voet.
Die Journalisten waren sich darüber einig, dass viele Menschen in Europa nicht ausreichend über den Nahen Osten informiert seien. „Dänemark ist ein Land, in dem Zivilisten absolut keine Erfahrung mit Kriegsführung haben. Die Mehrheit hat keine Ahnung, was ein städtischer Guerillakrieg gegen einen Feind bedeutet, der sich absichtlich in zivilen Gegenden eingebettet hat“, so Andersson. Er fügte hinzu: „Ehrlich gesagt, ich bezweifle, dass viele Dänen – oder Westeuropäer im Allgemeinen – in der Lage wären, Gaza auf einer Landkarte zu zeigen, wenn es nicht markiert ist.“
Nahostkonflikt nicht mit westlichen Augen betrachten
Während Israel versuche, sein Handeln und seine Ansicht mit Fakten, Diagrammen und Zahlen zu erklären, zeigten die Palästinenser, dass ein Bild mehr wert sei als tausend Worte. Einheitlich erklärten die Journalisten zudem, es gebe keinen Zweifel daran, dass Fotos aus Gaza einen stärkeren Einfluss auf die öffentliche Meinung haben als Fotos aus Israel.
Laut Voet beruhe die Kritik an Israel von Seiten der internationalen Gemeinschaft auf einem weiteren Punkt: „Man kann den israelisch-palästinensischen Konflikt nicht mit westlichen Augen betrachten. Denn die Mentalität der arabischen Welt unterscheidet sich komplett.“ Sie fügte hinzu: „Wir messen Israel, ein westliches Land, mit westlichen Standards, ohne seine Umgebung zu verstehen. […] Das Problem ist, dass sich Israel selbst mit westlichen Idealen betrachtet – und natürlich hoffe ich, dass es seine moralischen Prinzipien nicht vergisst – aber wenn dann vier Kinder getötet werden, verliert Israel.“
Israel müsse noch mehr betonen, dass es sich nicht in einem Konflikt mit den Palästinensern befindet, sondern in einem mit den Arabern, sagte Voet weiter. Es müsse die Welt daran erinnern, dass es „mit allen den beängstigenden Kräften umgehen muss, die derzeit in der arabischen Welt nach oben streben, ISIS und Al-Qaida, denn diese gibt es auch hier und wir haben Angst“. „Die Menschen beginnen zu verstehen, dass Israel an der Front kämpft, gegen radikalere Kräfte, und wenn ein gemeinsamer Feind auftritt, werden diese Kräfte die moderaten Stimmen zusammenbringen, auf palästinensischer und auf israelischer Seite.“