Laut dem Pressebüro der israelischen Regierung sind 705 Journalisten aus 42 Ländern nach Israel gekommen, um den Gaza-Krieg zu dokumentieren – zusätzlich zu den bereits etwa 750 ausländischen Journalisten, die bereits im Land arbeiten. Während der Operation „Wolkensäule“ gegen die Hamas im November 2012 waren 303 zusätzliche Journalisten angereist.
Das Pressebüro war in den vergangenen Wochen darum bemüht, den Medienvertretern ein umfassendes Bild des komplexen Konfliktes zu vermitteln. Es hatte für die Journalisten in Aschkelon ein Medienbüro eröffnet. Wöchentlich organisierte es Touren, Besuche bei israelischen und palästinensischen Verletzten in Krankenhäusern in Israel, Pressekonferenzen mit Politikern und Militärs. Richard Kemp, ein ehemaliger Kommandeur der britischen Truppen in Afghanistan, informierte die Journalisten über die Herausforderungen von Häuserkämpfen und Guerillakriegen. Die Medienvertreter wurden Zeugen von humanitären Hilfslieferungen in den Gazastreifen.
Die Tageszeitung „Jerusalem Post“ hatte in den vergangenen Tagen zehn ausländische Journalisten kontaktiert, die aus Gaza berichteten. Von den wenigen, die auf die Anfrage reagierten, hätten die meisten aus Sicherheitsgründen ein Interview verweigert, da sie für die Berichterstattung in das Palästinensergebiet zurückkehren wollten.
Berichterstattung unter Todesdrohung
Christian Stephen aus Großbritannien, Gründer des Medienunternehmens „Freelance Society“, erklärte sich dazu bereit, mit der Zeitung über seine Erfahrungen im Gazastreifen zu sprechen. Er hält sich derzeit zur Berichterstattung an der israelisch-libanesischen Grenze auf und will später in den Irak reisen.
Nach den Bedingungen für Journalisten in Gaza gefragt erklärte Stephen, ungeachtet der Motivationen beider Konfliktparteien sei die tatsächliche Lage vor Ort eine „humanitäre Apokalypse“. „Wenn man die Politik beiseite schiebt, dann ist das ein zeitlich herausgefordertes Massengrab, an dem beide Seiten schuld sind.“ Während seines Aufenthaltes hatte er getwittert: „Jeder Journalist, der behauptet, er beobachtet ohne Vorurteile, Gefühle oder Angst, ist ein Lügner.“
Bilder von Hamas-Kämpfern oder Raketenabschüssen habe er nicht: „Ich habe jede Menge Gebäude gesehen, von denen Raketen auf Israel gefeuert wurden. Wie auch immer, die Kämpfer waren mehr oder weniger Geister in den Wohnzimmern. Nicht zu vergessen, dass bei mehr als einer Gelegenheit, bei der wir es riskierten, uns einem möglichen Ort der Hamas zu nähern, das Gebäude bei unserer Ankunft nur noch Schutt und Asche war, und es Tote gab.“
In dem Gespräch berichtet Stephen von Drohungen durch die Hamas. „Ein Kämpfer in Gaza-Stadt drohte, mir in den Kopf zu schießen, wenn ich nicht aufhöre, Bilder von mehreren Autos mit durch Planen abgedeckten Körpern zu machen, die hinter einem Gebäude parkten.“ Bei einem Vorfall im israelischen Netivot, als Hamas-Kämpfer durch einen Tunnel nach Israel eingedrungen waren, sei ihm die Speicherkarte seiner Kamera abgenommen worden. Der Vorwurf der Sicherheitskräfte lautete, er halte sich illegal auf.
Spanischer Reporter: „Hamas-Kämpfer hätten uns getötet“
Die Zeitung „Yediot Aharonot“ befragte ebenfalls mehrere Reporter nach ihrer Rückkehr aus dem Gazastreifen. Auf die Frage, warum sie nicht darüber berichtet hätten, wie die Hamas Zivilisten als Schutzschilde missbraucht, erklärte ein anonym bleibender spanischer Journalist, die Reporter hätten Angst um ihr Leben. „Wir haben die Männer der Hamas gesehen. Aber hätten wir unsere Kameras auf sie gerichtet, hätten sie das Feuer auf uns eröffnet und uns getötet.“
Ein Reporter des indischen Privatsenders NDTV zeigt nach seiner Rückkehr aus Gaza auf einem Video, wie die Hamas Raketen aus dicht bewohntem Gebiet abfeuert. Die Islamisten versteckten die Abschussrampe unter einem Zelt (http://is.gd/indischesfernsehenhamas). Um das Zelt herum seien viele Hotels und Wohnungen angesiedelt. „Sollte sich Israel dazu entschließen, das Feuer zu erwidern, hätte das ernsthafte Konsequenzen für die Sicherheit der Bewohner hier“, so der Inder.
Während eines Gesprächs des Fernsehsenders „France24“ mit dem französischen Korrespondenten Gallagher Fenwick ist zu hören, wie eine palästinensische Rakete unweit der Journalisten abgefeuert wird. Fenwick erklärte dazu später: „Raketen werden direkt neben Gebäuden mit einer Menge Einwohner abgefeuert.“ In dem Video zeigt Fenwick Raketenwerfer, die sich unweit eines Hotels mit ausländischen Journalisten und nur etwa 100 Meter von einer UN-Einrichtung entfernt befinden. Zu sehen sind außerdem mehrere Kinder, die sich an der Raketenabschussrampe aufhalten (http://is.gd/kinderanabschussrampen).
Der italienische Journalist Gabriele Barbati twitterte nach seiner Rückkehr aus Gaza: „Raus aus Gaza, weg von der Hamas-Vergeltung: fehlgeleitete Rakete tötet gestern Kinder in Schati. Ich bin Zeuge: Militante kamen und beseitigten die Trümmer.“ An den Sprecher der israelischen Armee twitterte Barbati, die Armee habe Recht mit ihrer Veröffentlichung über das Massaker in Schati – es sei nicht die Schuld Israels.
Objektivität kaum möglich
Der palästinensische Journalist Radjaa Abu Dagga berichtet, wie er zu einem Verhör durch bewaffnete Hamas-Vertreter ins Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza zitiert wurde. Unter anderem wurde er dazu befragt, ob er für eine israelische Zeitung schreibe. Sein Pass sei ihm abgenommen worden und er durfte den Gazastreifen zunächst nicht verlassen. Später habe er einen Artikel in der französischen Zeitung „Libération“ veröffentlicht, darin schrieb er, wie die Hamas einen Teil des Krankenhauses als Büros benutze und ihn gezwungen habe, Gaza zu verlassen. Aus Angst um seine Familie im Gazastreifen habe er die Zeitung später gebeten, den Artikel von ihrer Internetseite wieder zu entfernen.
Der deutsche Journalist Richard C. Schneider beschreibt seine Erfahrungen im Gaza-Krieg in einem Artikel für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Von den Journalisten würde „Neutralität“ und „Objektivität“ erwartet. Doch dieses Ziel sei im Alltag des Nachrichtenproduzierens fast unerreichbar. „Nicht weil wir Partei ergreifen – obwohl andere Kollegen dies manchmal doch tun –, sondern weil wir mit drei Hindernissen konfrontiert sind: die Macht der Bilder, die Propaganda von beiden Seiten, die vielen verschiedenen ‚Wahrheiten‘, die der palästinensisch-israelische Konflikt beinhaltet, und nicht zuletzt die Erwartungshaltung der Zuschauer daheim im sicheren Deutschland.“
Hamas zensiert Bilder
Laut Schneider hätten die früheren Kriege im Gazastreifen gezeigt, dass Agenturmaterial aus Gaza häufig von der Hamas zensiert werde. „Bilder, die der Hamas nicht genehm sind, werden nicht zugelassen (und Bildmaterial, das Menschen via Handy auf Twitter, Facebook oder YouTube ins Netz stellen, ist sowieso nie verifizierbar). Als Israel 2008 behauptete, die Hamas-Kämpfer würden in Zivil herumlaufen und somit sei die Zahl der Opfer manipuliert, weil es sich dabei nicht nur um Zivilisten, sondern auch um Hamas-Kämpfer handelt, war dies für uns erst dann nachweisbar, als wir von unserem Kameramann heimlich gedrehte Bilder erhielten, die zeigten, wie tatsächlich Hamas-Kämpfer in normaler Kleidung ihre Kalaschnikows unter der Jacke versteckten.“
Mit Dauer des Krieges und den immer schrecklicheren Bildern werde es auch schwieriger, die eigenen Gefühle zurückzustellen, schreibt Schneider. Texte seien gegen die Macht der Bilder so gut wie machtlos: „Der Zuschauer sieht das schreiende Kind vor der Leiche seines Vaters – und hört nicht mehr zu. Er sieht umgekehrt verschreckte Israelis, denen es im Vergleich zu Gaza gut geht und denkt: Was regen die sich so auf, es geschieht ihnen doch fast nichts. Und er vergisst, dass es dafür auch Gründe gibt: das Abwehrraketensystem, das die israelische Regierung entwickelt hat, Bunker in jedem Haus et cetera. Wohingegen die Hamas ihre Bevölkerung als menschliche Schutzschilde einsetzt und missbraucht.“
Laut „Yediot Aharonot“ hat die Hamas wiederholt versucht, Reporter zu beeinflussen. So habe sie Interviews mit einem ihrer Sprecher ausschließlich im Hof des Schifa-Krankenhauses zugelassen. Während die Journalisten warteten, wurden sie immer wieder Zeugen davon, wie zahlreiche Verletzte in das Gebäude gebracht wurden. Die radikal-islamische Gruppe habe den ausländischen Journalisten zudem keinen Zutritt zu ihren militärischen Stätten erlaubt, die von Israel angegriffen wurden. Tote oder verletzte Kämpfer durften laut dem Bericht nicht gefilmt werden. Dadurch entstehe der Eindruck, die Opfer seien alle Zivilisten.