Wir waren in Frankfurt gelandet. Acht intensive Tage in Israel – Begegnungen, Besichtigungen und viele neue Eindrücke – lagen hinter uns. Die Reisegruppe ist müde, aber begeistert vom Heiligen Land. Als wir am Gepäckband stehen, hält mein Freund Andreas mich auf: „Ach, Uwe, bevor wir uns verabschieden, ich habe da noch was für dich.“
Aus seinem Rucksack zieht er einen flachen Sandstein, fünfzehn mal zwanzig mal fünf Zentimeter groß, zwei bis zweieinhalb Kilo schwer. Andreas hat ihn vom Ufer des Sees Genezareth mitgenommen. „Ich habe dich beobachtet, du standst direkt vor dem Stein, tief ins Gebet versunken. Es soll dich an den Moment erinnern.“
Was war das für ein Moment? Wir hatten einen Bibeltext gelesen:
Nachdem sie gegessen hatten, sagte Jesus zu Simon Petrus: „Simon, Sohn von Johannes, liebst du mich mehr, als die hier mich lieben?“ Petrus antwortete: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe.“ Jesus sagte zu ihm: „Sorge für meine Lämmer!“ Ein zweites Mal sagte Jesus zu ihm: „Simon, Sohn von Johannes, liebst du mich?“ „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe“, antwortete er. Jesus sagte zu ihm: „Leite meine Schafe!“ Ein drittes Mal fragte Jesus: „Simon, Sohn von Johannes, liebst du mich?“ Petrus wurde traurig, weil er ihn ein drittes Mal fragte: „Liebst du mich?“ Er sagte zu ihm: „Herr, du weißt alles, du weißt auch, dass ich dich liebe.“ Jesus sagte zu ihm: „Sorge für meine Schafe!“ (Johannes 21,15–17, Neues Leben Bibel).
Dieser Dialog zwischen dem Auferstandenen und Simon Petrus fand am See Genezareth statt. Natürlich kennt nach bald 2.000 Jahren niemand die genaue Stelle. Aber die biblische Szenerie lebt auf, wenn wir an Orten stehen, die es gewesen sein könnten. Hier war es eine Senke am Ufer, gut geeignet für Fischer wie Simon, um ihre Boote anzulegen. Und genau hier lasen wir den Text.
Jesus als Seelsorger
Petrus, der kurz zuvor seinen Herrn dreimal verleugnet hatte, und dann dessen Leiden und Sterben erleben musste. Jesus, der Seelsorger, der seinen Jünger mit dem mitunter überbordenden Temperament an die Seite nimmt, sich ihm zuwendet und ihn – ebenfalls dreimal – in seiner Aufgabe bestätigt: Pastor zu sein, die „Schafe zu weiden“, sich um die Gemeinde zu kümmern. Jesus, der die Vertrautheit nutzt, und die Grundlage für den (geistlichen) Dienst klärt: Was du tust, das tu aus Liebe zu mir. Wie könnten Gnade, Vergebung und ein Neuanfang sichtbarer werden als in diesem Gespräch?
In meinem Leben hatte diese Szene mehr als einmal eine Rolle gespielt. Bei meinen Überlegungen, Theologie zu studieren, hatte sie mir geholfen, meine Motive zu klären. Jahre später, in einer schweren Krise in der Gemeinde, als nicht mehr klar war, wer welche Fehler gemacht hatte, habe ich wieder die Passage in Johannes 21 gelesen. Und neu gelernt, dass es nicht um Schuldzuweisungen geht, sondern um die Frage nach der Liebe – zu Gott und den Menschen.
Hier, am See Genezareth, wiederholte sich meine Erfahrung, intensiver, authentischer, sinnlicher denn je. Es war als spräche Jesus nicht zu Petrus, sondern zu mir persönlich: „Hast du mich lieb?“ Ich hob meine Hände, still, meines eigenen Herzens ungewiss, und konnte doch mit Petrus antworten: „Herr, du weißt alle Dinge – dir kann ich nichts vormachen. Du kennst mein zögerndes, manchmal zauderndes Herz, du weißt, was mich alles ablenken kann, und wie oft es das tut – aber Herr, du weißt das ich dich liebhabe.“
Ein geschenkter Moment
Auch wenn das ein großes Wort sein mag: Es war nicht weniger als eine ganz persönliche Gottesbegegnung. Dort an diesem Tag am See Genezareth. Solche Momente kannst du nicht machen, sie sind ein Geschenk, ein seltenes, kostbares Geschenk. Und sie sind flüchtig, diese Momente. Man kann sie nicht festhalten, in der Rückschau werden sie unscharf, bald mischen Zweifel sich unter.
Doch was für ein Segen ist die Gemeinschaft. Denn ich hatte einen „stummen“ Zeugen: Meinen Freund Andreas. Und der wiederum half mir, den Moment festzuhalten, indem er ein Erinnerungszeichen für mich mitnahm – und den Sandstein im Handgepäck durch die aufwändigen Sicherheitskontrollen brachte.
Heute hat der Stein einen Ehrenplatz in meinem Büro. Er erinnert mich an den intensiven geistlichen Moment am Ufer des See Genezareth. Hier, wo Jesus Christus persönlich gelebt und gelehrt hat, hier wirkt noch heute der Heilige Geist. Er erinnert mich an meine Berufung, Christus und die Menschen zu lieben. Und an den Wert der Freundschaft, die mit einer wortlosen Geste in der Lage sein kann, das innere Erleben des anderen zu teilen.
Uwe Heimowski ist Beauftragter der Deutschen Evangelischen Allianz am Sitz des Bundestages und der Bundesregierung. Er engagiert sich im Vorstand der Christlichen Medieninitiative pro, zu der auch Israelnetz gehört.