Ein Hebräischkurs in Jerusalem. Eigentlich muss Orly Ben Ami-Oron ihren Schülern Grammatik und Vokabeln beibringen. Viele von ihnen bereiten sich auf die Einwanderung nach Israel vor. Doch wie im gesamten Land ist auch hier der Krieg gegen die Hamas das bestimmende Thema. Gerade hat die Lehrerin über den biblischen Schöpfungsbericht gesprochen, als das Gespräch erst auf den Holocaust – und dann auf den 7. Oktober fällt. Was verbindet diese so ungleichen Geschehnisse?
Im Judentum wird die Schöpfung nicht zwingend als historisches Ereignis verstanden. Anstatt „ist das wirklich passiert?“ fragen sich viele Juden eher „was hat das heute für mich zu bedeuten?“. Das dürfte auch daran liegen, dass im hebräischen Text der Bibel nur von „einem Anfang“ die Rede ist. Nicht von „dem Anfang“, wie es deutsche Übersetzungen wiedergeben.
Der Anfang der Welt
Aber zurück zum Thema: Beim Begriff „Anfang“ fühlten sich viele Israelis an den Holocaust erinnert, meint Ami-Oron. „Für Kinder von Holocaust-Überlenden ist das Ende des Holocaust wie der Anfang der Welt. Denn ihre Eltern mussten sich danach ein völlig neues Leben aufbauen, und erzählen auch nicht gerne, was geschehen ist.“ Hier lasse sich die Parallele zur Bibel erkennen: Sicher habe es auch vor der Schöpfung etwas gegeben. Aber Gott spricht nicht darüber.
Die Lehrerin blickt in fragende Gesichter, doch ihre Erklärung ist noch nicht zu Ende. „Am 7. Oktober hatten viele Israelis das Gefühl, sie würden tatsächlich das durchmachen, was ihre Eltern und Großeltern im Holocaust durchgemacht hatten. Als die Terroristen eindrangen und alle Juden ermordeten, sodass sie sich weder schützen noch wehren konnten.“
Ein schreckliches Trauma
Natürlich sei der Gazakrieg nicht identisch mit der Nazi-Zeit, nicht zuletzt, da es jetzt einen jüdischen Staat gebe, der seine Bevölkerung vor Terror schützen kann. „Aber es ist uns passiert und es ist unser Fehler. Ein schreckliches Trauma.“ Genau das sei der gemeinsame Nenner der ungleichen Ereignisse: Es handelt sich um Traumata, die sich nicht rückgängig machen lassen.
Ami-Oron zitiert nochmal den Bibeltext: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer… – „wie wir es jetzt in unserem Land und sicherlich in Gaza erleben, eine große Katastrophe“. Finsternis lag auf der Tiefe … „Das ist das Gefühl der Menschen heute, im Dunkeln.“
Der Genesis-Krieg
Aber der Bibeltext schenke auch Hoffnung, betont die Lehrerin. Er zeige, dass nach einem Punkt, an dem es kein Zurück gibt, ein ganz neuer Anfang möglich sei. Auch die Bibel verschweige ja, was vor ihrem Anfang passiert sei, als sei da irgendein Trauma gewesen. „Das zeigt: Jeder kann neu anfangen, sogar Gott.“
Wenn Ami-Oron dem aktuellen Krieg einen Namen geben dürfte, dann würde sie „Genesis-Krieg“ sagen. „Weil wir jetzt in Israel nach dem großen Trauma, das wir durchgemacht haben, anfangen und eine neue Welt für uns schaffen müssen. Wir müssen viel ändern, viele Dinge reparieren und viele Dinge von vorne beginnen.“
Valentin Schmid studiert derzeit an der Hebräischen Universität Jerusalem.
4 Antworten
Am Anfang war ja Tohuwabohu und sowas erschafft Gott eigentlich nicht.Und wann der Aufstand der abgefallenen Engel war kann man nicht herauslesen. Es ist faszinierent, auf was jüdische Ausleger so kommen.
@ J S R
Da kann ich Ihnen nur beipflichten. Gott schafft kein Chaos. Gott ist gut, ER ist Licht und in IHM ist keine Finsternis! Das menschliche Gottesbild ist meist falsch!
Danke für den Trost, der nicht vertröstet, sondern stark macht. Eine faszinierende Auslegung!
GOTT hat wirklich neu angefangen, ER hat vor fast 2000 Jahren Seinen Sohn auf die Erde gesandt, JESUS CHRISTUS, der Gesalbte, Messias. Also hat GOTT die Welt geliebt, dass ER Seinen „einzig geborenen Sohn“ in die Welt gesandt hat, auf dass alle die an IHN glauben errettet werden! (Joh.3,16)