JERUSALEM (inn) – Die israelische Regierung unter Premierminister Naftali Bennett (Jamina) steht rund ein halbes Jahr nach Amtsantritt in der politischen und öffentlichen Kritik. Am vergangenen Montag verlor die Acht-Parteien-Koalition eine Abstimmung zu angedachten Armee-Reform. Mit 54 zu 54 Stimmen musste Bennett eine Schlappe in der ersten Lesung des Gesetzes hinnehmen.
Inhalt des Armee-Gesetzes ist vordergründig die Einbeziehung von ultra-orthodoxen Juden in den Armeedienst. Sie sollen nach dem Willen der Regierung künftig eingezogen werden können. Des Weiteren sieht das Gesetz anpassbare Altersbestimmungen vor, damit Strenggläubige weiter die jüdischen Lehren studieren können. Ziel ist es, die Leistungsfähigkeit der israelischen Armee zu gewährleisten. Denn lediglich die Hälfte der 18-Jährigen startet eine Ausbildung als Soldat. Verteidigungsminister Benny Gantz (Blau-Weiß) beteuerte die Notwendigkeit der Reform für die Armee.
Innerhalb der Regierungsparteien wie auch von der Opposition äußerten Redner in der Parlamentsdebatte Kritik an der Reform. Um bei der Abstimmung der eigenen Regierung nicht in den Rücken zu fallen, kamen nicht alle Abgeordnete zur Stimmabgabe. Wenige Politiker der Regierungsparteien stimmten gar gegen den Antrag. Ex-Premier Benjamin Netanjahu (Likud) hatte sich zuvor für sein Fehlen bei vorigen Tagesordnungspunkten entschuldigen lassen, tauchte bei der Armee-Abstimmung aber auf. Es kam zum Patt und somit verfehlte die Regierung die Mehrheit. Da der Oberste Gerichtshof entschied, dass der Gesetzentwurf bis Ende des Monats verabschiedet werden muss, soll die Knesset in wenigen Tagen erneut über das Armee-Gesetz befinden.
Protest auf Straßen und im Netz
Inmitten der zahlreichen Spekulationen und Äußerungen um ein mögliches politisches Ende von Netanjahu und der steigenden Coronazahlen in Israel demonstrierten laut Organisatoren bis zu 20.000 Menschen landesweit auf Straßen, Plätzen und online in digitalen Räumen. Der Protest der Israelis ist vielfältig. Einige demonstrierten für die Fortführung des Prozesses gegen Netanjahu. Es hieß, er dürfe sich nicht mit einem Deal in die Freiheit retten, wie die „Times of Israel“ berichtete.
Andere Protestgruppen kritisierten die Regierung um Premier Bennett. So trafen sich hunderte Personen an der Harfenbrücke in Jerusalem oder an Verkehrsknotenpunkten im gesamten Land. Die rechts-gerichteten Organisatoren sagten: „Wir akzeptieren das Handeln der Regierung nicht“, die Regierung sei eine „Gefahr für die Existenz und Identität des Staates“.
Deutlich wurden einige Demonstranten, indem sie den Rücktritt Bennetts forderten. Der Vorwurf: Er würde mit nahezu allen Parteien regieren, um seine Macht zu behalten. „Times of Israel“ berichtet von Plakaten, auf denen stand: „Bennett ist eine Gefahr für Israel“.
Umfragen schwächen Bennett
Die Nachrichtenseite „Arutz Scheva“ berichtet von einer Umfrage, wonach die israelische Bevölkerung die Coronapolitik der Regierung schlecht bewertet. Die vom Umfrageinstitut Ma’agar Mohot durchgeführte Umfrage sieht die oppositionelle Likud-Partei, unter der Führung von Netanjahu, auf Platz 1. Sie könnte bei Wahlen 34 Sitze erreichen, zuletzt in Umfragen waren es 30. Sollte Netanjahu jedoch mithilfe eines Deals die Politik verlassen und der aussichtsreiche Likud-Abgeordnete Nir Barkat seine Rolle als Oppositionsführer einnehmen, käme der Likud nur auf die bisherigen 30 Sitze – keine Zugewinne.
Die Partei von Bennett Jamina fällt in der aktuellen Befragung weiter zurück. Außerdem würden lediglich 6 Prozent der Israelis behaupten, Bennett sei für das Amt des Premiers am besten geeignet. (joh)