BERLIN (inn) – Der Schock nach dem Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz sitzt tief. In einer ARD-Spezialsendung der Talkshow „Maischberger“ sprachen am Dienstagabend die geladenen Gäste zum Thema „Gehört Terror zu unserem Alltag?“. Neben dem saarländischen Innenminister Klaus Bouillon (CDU), der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt, dem „Welt“-Herausgeber Stefan Aust und dem bayerischen Finanzminister Markus Söder (CSU) war auch ein israelischer Professor als Terrorismus-Experte eingeladen.
Shlomo Shpiro lehrt an der Bar-Ilan-Universität in Tel Aviv und ist spezialisiert auf Geheimdienste in Israel und Europa. Er ist an der Universität stellvertretender Leiter des Zentrums für strategische Studien. „Der Anschlag in Berlin war Deutschlands 11. September“, sagte Shpiro in der Live-Sendung. Damit meine er nicht den zahlenmäßigen Vergleich der Opfer, die beim Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 umkamen, sondern die gesellschaftliche Veränderung, die sich durch den Anschlag in Deutschland einstellen werde. Jetzt sei der Terrorismus tatsächlich im Land angekommen.
Experte war selbst auf dem Weihnachtsmarkt unterwegs
Der israelische Professor war am Montagabend wenige Minuten vor dem Anschlag noch selbst über den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gelaufen. „Ich konnte auf dem Weihnachtsmarkt keine Sicherheitsvorkehrungen erkennen und habe auch keine Polizisten gesehen“, erzählte Shpiro. In Deutschland seien die Menschen mit Sicherheitsmaßnahmen noch viel zu vorsichtig. „Die Technologie gibt uns heute viele Möglichkeiten, uns zu schützen, ohne jemanden damit zu stören“, sagte der Israeli.
Der Terror-Experte beschrieb die Lehren, die sein Land Israel aus dessen Terroranschläge gezogen hat. Schon mit ein paar Betonklötzen hätte auf dem Weihnachtsmarkt etwas verhindert werden können, der Sattelschlepper hätte abgebremst und somit weniger Menschen getötet werden können, befand Shpiro: „In jedem israelischen Restaurant zahlt man auf die Rechnung einen Schekel extra. Das sind ungefähr 20 Cent.“ Mit diesem Geld werde der Wachmann an der Tür bezahlt.
Kritik am Föderalismus des deutschen Verfassungsschutzes
Ein großes Problem sieht Shpiro in den kontinuierlichen Sparmaßnahmen bei der deutschen Polizei. Die Bundesregierung habe in den vergangenen Jahren Polizeikräfte abgebaut. Die Maschinenpistolen der Polizisten stammten noch aus Zeiten des Terrors der Roten Armee Fraktion (RAF) in den 1970er-Jahren, die Polizeigebäude seien noch älter und existierten teilweise aus der Zeit der Großeltern der Polizisten.
Besonders kritisierte der israelische Gast die Strukturen des deutschen Verfassungsschutzes. „Warum braucht es 16 Einrichtungen des Verfassungsschutzes in Deutschland?“, fragte Shpiro. Er verstehe zwar, dass der Nachrichtendienst in Deutschland wegen der Geschichte einen schlechten Ruf habe. In diesem Zusammenhang nannte er die Stichworte Gestapo und Stasi. Shpiro kann trotzdem nicht nachvollziehen, wie in Deutschland zum Beispiel zehn Jahre lang die rechtsradikale NSU-Zelle „mordend durch die Republik ziehen konnte“, nur weil die Nachrichtendienste der unterschiedlichen Bundesländer nicht miteinander kommunizierten.
Von: Michael Müller