JERUSALEM (inn) – „Prof. Agmon hat eine Generation von Mathematikern aufgestellt, die auf ihrem Gebiet in der Welt der Wissenschaft führend sind. Er hat der israelischen Mathematik seinen Stempel aufgedrückt.“ Mit diesen Sätzen begründete die Jury 1991 die Vergabe des Israel-Preises in exakten Wissenschaften an Schmuel Agmon. Nun ist der leidenschaftliche Mathematiker im Alter von 103 Jahren gestorben.
Schmuel Agmon kam am 2. Februar 1922 in Tel Aviv auf die Welt. Das Geburtsdatum lässt sich auch als 2.2.22 schreiben – somit war es seine erste Begegnung mit der für ihn später sehr faszinierenden Welt der Zahlen. Sein Vater Nathan Agmon (Bistrizki) war Schriftsteller und zionistischer Aktivist. Die Mutter Chaja Lavit Gutman war Zahnärztin.
Seine ersten Lebensjahre verbrachte er in Nazareth, wo seine Mutter arbeitete. Der Vater hingegen besichtigte im Auftrag des führenden sozialistischen Zionisten Menachem Ussischkin verschiedene Orte, an denen die Jugendbewegung „HaSchomer HaZair“ eine jüdische Besiedelung plante. Nach ein paar Jahren zog die Familie nach Jerusalem, wo der zweite Sohn Jakob geboren wurde.
Die Agmons siedelte sich nach mehreren Umzügen in Rechavia an. Der Dichter Nathan Alterman (1910–1970) nannte den Stadtteil in einem Gedicht ein Viertel, in dem „ein Doktor gegenüber einem Doktor wohnt“.
Im Jahr 1927 besuchte Schmuel mit der Mutter ihr Elternhaus in der Ukraine. Von dieser Reise sollte ihm der Aufstieg des sowjetischen Diktators Josef Stalin in Erinnerung bleiben.
Rechenbuch als Krankheitslektüre
Gemäß einem Bericht der Zeitung „Yediot Aharonot“ hatte der kleine Schmuel die erste Begegnung mit der Mathematik während einer Kinderkrankheit. Die Mutter wollte ihm ein Geschenk bringen, und er bat um ein Buch – in dem Fall um ein Rechenbuch von J. L. Baruch. Die alte Ausgabe bezauberte ihn.
Nach dem Abschluss des hebräischen Gymnasiums in Rechavia musste er in einer Kalisalzfabrik am Toten Meer arbeiten. Doch dies war ihm körperlich zu anstrengend. 1940 schrieb er sich für ein Mathematikstudium an der Hebräischen Universität Jerusalem ein – die damals auf dem Skopusberg etwa 800 Studenten hatten. Als weitere Fächer belegte er Physik und Philosophie. „Das war für mich der Eintritt ins Paradies“, sagte Agman über seine erste Studienzeit. „Erst dann verstand ich, was Mathematik ist.“
An der kleinen mathematischen Fakultät waren mehrere herausragende Wissenschaftler zu finden. Zu ihnen gehörte der Vater der Axiomischen Mengenlehre, der aus München stammende Mathematiker Adolf Abraham Halevi Fraenkel (1891–1965). Ein weiterer bedeutender Mathematiker war Jakob Levizki (1904–1956), der sich mit moderner Algebra befasste.
Wehrdienst unterbricht Studium
Angesichts des Zweiten Weltkrieges musste Schmuel Agman sein Studium unterbrechen, er wurde 1942 von der britischen Armee eingezogen. Später kämpfte er mit der Jüdischen Brigade in Zypern, Süditalien und Belgien.
Als er nach dem Armeedienst 1946 in Paris Urlaub machte, betrat er eine Buchhandlung und kaufte Bände der „Cours d’analyse mathématique“ – ein Werk des Mathematikers Edouard Goursat (1858–1936) zur Analysis. Dann nahm er sein Studium wieder auf. In der Abschlussarbeit befasste er sich mit der Funktionenlehre und dabei mit einem Beweis für das Hadamard-Produkt.
Abstimmung über Teilungsplan auf Schiff verfolgt
Auch privat lief es gut: Agmon heiratete Galia Jardeni. Deren Vater Ja’akov Jardeni war einer der ersten Zahnärzte in Jerusalem. Sie selbst wurde Schriftstellerin.
Ende 1947 fuhr das Ehepaar nach Paris, wo Agmon an der Sorbonne promovieren wollte. Auf dem Schiff verfolgten sie am 29. November im Hörfunk die Abstimmung über den UN-Teilungsplan, bei dem die Vereinten Nationen den Weg für die Gründung eines jüdischen Staates ebneten.
Die Promotion über die Singularität der Taylor-Reihen schloss Agmon binnen zwei Jahren ab. Es handelt sich um Potenzreihen, mit denen jede mathematische Funktion abgebildet werden kann. Da in Jerusalem keine Stelle frei war, bewarb sich der junge Wissenschaftler an der Rice-Universität in Houston im US-Bundesstaat Texas. Dort wurde er wegen seiner Herkunft als Kommunist verdächtigt, doch ein Senator sprach sich für ihn aus.
Söhne wurden Wissenschaftler
Da die Forschung zu komplizierten Funktionen auf dem absteigenden Ast war, spezialisierte sich Agman auf Differentialgleichungen. 1952 kehrte er nach Jerusalem zurück. Dort erteilte er Physikstudenten Kurse in Mathematik.
Das Ehepaar bekam drei Söhne. Noam wurde Professor für theoretische Chemie an der Hebräischen Universität, Ariel nahm eine Professur für Neurobiologie im US-Bundesstaat West Virginia an. Eitan wurde Musikwissenschaftler an der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan.
Doch Galia starb 1968 mit nur 43 Jahren. Danach fand Schmuel Agmon eine neue Partnerin: die Witwe Nechama de Schalit. Auch ihre Söhne schlugen eine akademische Laufbahn ein: Ehud wurde Schmuels Kollege an der Mathematischen Fakultät. Avner schloss sich ebenfalls der Hebräischen Universität an, aber als Politikwissenschaftler.
Partielle Differentialgleichungen
Von Agmons wissenschaftlichen Publikationen ist vor allem ein Aufsatz zu nennen, den er 1959 mit Avron Douglis und Louis Nirenberg veröffentlichte. Darin ging es um Abschätzungen der Lösungen in Randwertproblemen elliptischer partieller Differentialgleichungen. Diese Gleichungen beschreiben oft einen Zustand minimaler Energie. Zudem ist die „Agmon-Ungleichung“ nach ihm benannt. Auch nach seiner Emiritierung 1990 beschäftigte er sich weiter mit der Forschung.
Am 21. März starb Schmuel Agonen im Kreise seiner Familie – knapp einen Monat nach seinem 103. Geburtstag. (eh)
4 Antworten
Man muss jeden Tod beklagen. Ein Alter von 103 Jahren ist wirklich erstrebenswert. Über ein Jahrhundert gelebt! Wie hat er das nur gemacht? In unserer Familie sterben alle mit 60.
Erstrebenswert scheint mir so ein langes Leben nur, wenn man geistig noch relativ fit ist, körperlich wäre das auch wünschenswert.
Agmon hatte wohl beides. Sicherlich hat Gott ihm ein erfülltes Leben geschenkt. 🛐
Das Erbe Methusalems, selbst Überlebende der Shoah erreichen bisweilen noch dieses wahrhaft biblische Alter.
Gut hinbekommen, Alter Mann, die Ruhe hast du dir wahrlich verdient……..SHALOM
Lieber Otto das ist sehr schmerzlich, und sehr früh und die Gründe hat Gott verborgen. In Psalm 90 Vers 12 lesen wir :: Lehre uns unsere Tage zählen , damit wir ein weises Herz gewinnen. (Zürcher Bibel) Was bleibt, wenn wir von dieser Erde gehen ? Das Wissen um die Ewigkeit ! Das ist für Glaubende ein grosser Trost ! Gerhard Tersteegen schreibt : Ein Tag, der sagts dem andern, mein Leben sei ein Wandern zur grossen Ewigkeit. O Ewigkeit, so schöne, mein Herz an dich gewöhne, mein Heim ist nicht in dieser Zeit !